Content Management 2.0 bis 4.0 – warum Inhalte digitalisiert werden sollen (Teil 1)

Strategisch gesehen wird die Digitalisierung der Inhalte immer bedeutender. Um zu verstehen, warum Investitionen in ein CMS und eine Digitalisierung sinnvoll sind, hilft ein Blick auf den Kunden und seinen Umgang mit Content. Wenn man weiß, was möglich ist und gewünscht wird, lassen sich die richtigen Strategien ableiten.

Das Internet hat sowohl unsere Kommunikation als auch unsere Erwartungen an Informationssysteme grundlegend verändert. Immer öfter hört man z.B. von Facebook- und Twitter-Nutzern: „E-Mails sind sooo Neunziger …“, weil sie inzwischen die Effizienz und Geschwindigkeit neuer Technologien kennengelernt haben und nicht mehr missen möchten. Und Unternehmen wie ATOS wollen die e-Mails gleich ganz abschaffen.

Wenn wir das Internet gewissermaßen als das größte uns bekannte Content Management-System begreifen, bietet sich ein Blick auf dessen Entwicklung an, um diese Prinzipien auf den Bereich der Enterprise Content Management-Systeme zu übertragen.

Die Entwicklung des Internets wird herkömmlich in vier Stufen beschrieben. Alle haben ihre Berechtigung. Als ECM-Anbieter in der ersten festzuhängen, ist dennoch uncool. So uncool, wie in vielen Fällen die Realität.

Web 1.0

Das „Web 1.0“ ist geprägt von HTML-Seiten, deren Inhalt überwiegend festgelegt ist. „Fest“ im Sinne von „immer gleich“. Egal wann, egal wer darauf mit welchem Interesse zugreift – immer dasselbe. Zwar ermöglichen so genannte (!) Content Management-Systeme in gewisser Hinsicht dynamische Seiten, indem Bestandteile der Seiten aus Quellen wie Datenbanken eingebunden werden können, der Inhalt einer Seite sich also permanent ändern kann. Dieses Prinzip wurde aber bislang nur halbherzig auf die eigentlichen Inhalte übertragen: Texte beispielsweise als wichtigste Informationsträger werden fast ausnahmslos als „Container“ gespeichert, also als Dokumente, Seiten oder Absätze. Die in diesen Text-Containern enthaltenen Informationen, um die es „eigentlich“ geht, wie einzelne Sätze/Aussagen, werden in der Regel nicht als solche von einer Datenbank verwaltet, sondern nur der sie umfassende Container.

Da die Text-Informationen selbst nicht in einer Datenbank verwaltet werden, lassen sie sich auch nicht steuern oder „managen“. Insofern greift der Begriff „Content Management“ selbstüberschätzend zu weit, passender wäre die ehrlichere Formulierung „Container Management“. Auf dem Weg zum tatsächlichen Management des Contents, also dem der einzelnen Informationen und Informationsbestandteile, ergibt sich damit die erste und fundamentale Anforderung, nämlich eine höhere Feingliedrigkeit der zu speichernden Objekte (höhere „Granularität“). Erst diese ermöglicht eine größere Steuerungsmöglichkeit der Content-Zusammensetzung und damit mehr Management in eigentlichen Sinn.

Web 2.0

Unter dem Web 2.0 wird, wie wir alle wissen, das so genannte Mitmach-Web verstanden: Nutzer verlassen ihre Rolle als reine Informationsempfänger und bringen sich aktiv in die Informationsherstellung oder -gestaltung mit ein. Dadurch wird eine zweite Anforderung deutlich: Es geht nicht mehr nur um den Content, den es zu managen gilt, sondern zunehmend auch um Dienste, die z.B. die Kommunikation oder Zusammenarbeit der Nutzer ermöglichen.

Voraussetzungen

Hilfreich für eine Zusammenarbeit unterschiedlichster Nutzer ist zum einen der Einsatz von Open Source-Lösungen, am ehesten in Form einer Browseranwendung. Möglichst keine proprietäre Lösung, da die Einrichtungs- und Wartungskosten einfach zu hoch sind.

Weiterhin hilfreich ist die Möglichkeit, ein bereits vorhandenes Nutzerkonto verwenden zu können. Um vielen Menschen einen Zugang zu ermöglichen, bietet sich zum Beispiel der Pakt mit dem Bösen, aka Facebook-Connect an: Der Nutzer braucht kein neues Profil einzurichten, sondern setzt sein Facebook-Nutzerkonto ein, um sich einzuloggen. Kontrollverlustangst ist vorprogrammiert, schon klar. Aber was taugt ein System ohne Nutzer? Und die sind mit ihren Herzen bei Facebook.

Nutzer erwarten zunehmend, „immer und überall“ auf ihre Daten zugreifen zu können. Schließlich können sie das bei anderen Diensten auch. Und sogar mobil, und zwar sowohl um Informationen abzurufen als auch um sie zu verändern oder herzustellen. Aus ihrer Sicht sollten Daten in einer von überall aus erreichbaren zentralen Datenbank („Cloud“) bereitstehen. Und zwar als selbstverständliches Grundprinzip.

Möglichkeiten eigener Beiträge

Manche Nutzer möchten sich einbringen, indem sie mit anderen Nutzern über den Content kommunizieren. Alarmglocken läuten: Was? Wir sollen die Kontrolle aus der Hand geben und die Nutzer reden lassen? Naja, sie reden ja ohnehin. Wir können es nur zulassen und unterstützend moderieren, oder wir können sie wie Drogenabhängige in die Subkultur drängen. Aus der Erfahrung heraus wissen wir: Ans Licht damit! Immer heraus mit den Anliegen! Offene Kommunikation ist eine wunderbare Möglichkeit, echte Kundenbindung aufzubauen und sich ein bisschen von dem aufzubauen, worum es in unserer immer stärker digitalen Welt im Kern geht: Vertrauen.

Kommunikation beginnt damit, dass ein Nutzer ein beliebiges Content-Element (kleinteilig bis auf Satzebene, s.o., und nicht den ganzen Artikel) in eine zentrale Plattform oder an anderer Stelle einbetten, mit einem Kommentar oder einer Bewertung versehen und damit die Kommunikation eröffnen, also etwas mit anderen „teilen“ kann. Hier beginnt also das Risiko, das Abenteuer. Und die Chance.

Das setzt voraus, dass Content-Elemente zitierfähig sind, also „Adressen“ haben. Adressen wie die Häuser und Wohnungen in einer Straße: Wenn ich die kenne, kommt ein Päckchen sehr wahrscheinlich an. Idealerweise geschieht das, denn glücklicherweise haben sich brave Leute hierüber schon viele Gedanken gemacht, durch so genannte Uniform Resource Identifier („URIs“), also durch Internetadressen für Dinge aller Art, wie sie vom World Wide Web Consortium (W3C), der für die Standards im Internet zuständigen Behörde, vorgeschlagen werden.

Um aus dem initialen Posting eine lebendige Diskussion entstehen zu lassen, müssen andere Nutzer auf dieses Posting durch Bewertung und/oder Kommentare öffentlich antworten können. Und um Schwung in die Sache zu bringen (Reichweite und Viralität), werden diese Antworten auf Wunsch auch in ihrem sozialen Netzwerk angezeigt, also z.B. auf ihrer Facebook-Pinwand. Dort können auch ihre Facebook-Kontakte antworten (und herrlich lästern). Diese Antworten der Facebook-Kontakte sollten dann im Ausgangswerk wieder angezeigt werden („Rückkanal“), damit dort das kommunikative Zentrum entstehen kann („Community Building“). Wer seinen Content zum Magneten für Nutzer macht, hat gewonnen. Egal, ob gute oder schlechte Kommentare: Hier ist Masse King. Denn Aufmerksamkeit ist eine der neuen Leitwährungen.

Andere Nutzer möchten den Content, so verwegen es auch klingt, an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen, („customizen“), also Inhalt oder Aussehen verändern. Und wieder andere Nutzer kommen auf die irrwitzige Idee, den Content komplett selbst erstellen zu wollen („User Generated Content“; prominentestes Beispiel ist Wikipedia) oder bringen sich in die Content- oder Produktentwicklung ein („Customer Co-Creation).

Egal ob Teilhabe durch Kommunikation, Individualisierung oder Herstellung: Die Rolle des Nutzers kann sich vielfältig ändern. Chefs werden zu Zuarbeitern, Pförtner zu Experten. Alles ist im Fluss, Kompetenz beweist sich nicht durch Amt, sondern durch Beitrag und Wert. Letztlich bedeutet dies die Integration von Customer Relationship Management (CRM) in das Content Management-System, weil damit die Kundenbeziehung (genauer: die unterschiedlichen Rollen von Menschen) ebenfalls zu einer steuerbaren Größe wird, zu einer Eigenschaft und einer zusätzlichen Schicht des Contents … und damit Mehrwerte schafft und Kontrolle ermöglicht. Kontrolle durch Kenntnis und Transparenz.

Incentivierung

Da nicht alle Nutzer gleichermaßen und ausreichend für eine Teilhabe motiviert sind, sollten Spielelemente mit dem Content verknüpft sein („Gamification“), und zwar sowohl durch Auszeichnungen („Badges“) als auch durch ein Punktesystem, dessen Stand in die sozialen Netzwerke gepostet werden kann, um eine Wettbewerbssituation zu ermöglichen. Spiele sind nicht nur was für Kinder. Wer´s nicht glaubt, soll die Downloadzahlen im Appstore ansehen.

Eine zweite (die erste ist Foursquare) Manifestation des Prinzips „Zeig mir deine Punkte und ich sage dir, was es kostet“ ist z.B. der Klout-Score, eine Maßeinheit für Erfolg (Reichweite und Einfluss) in sozialen Medien. Dieser Score hat inzwischen Auswirkungen auf „reale“ Geschäfte des täglichen Lebens, indem Nutzer mit einer höheren Punktzahl günstigere Hotelmieten, Versicherungsbeiträge, kostenlose Produkte zum Test etc. bekommen, weil deren öffentliches (!) Urteil für wirksamer gehalten wird als herkömmliche Werbung.

Digitale Identität ist also nicht nur Spielerei, sondern handfeste Münze. Hier entsteht in gewisser Weise eine weitere neue Währung, die z.B. auch Anwendung bei Lizenzkosten finden könnte (hoher Klout-Score: geringer Preis bzw. kostenlose Lizenz).

Konsequenz

Zusammenfassend wird Content, der keine umfangreichen Interaktionsmöglichkeiten zulässt, immer weniger Gegenstand digitaler Wertschöpfungsketten sein können, was eine grundsätzliche Änderung der Informationsarchitektur von Content Management-Systemen erforderlich macht.

Im zweiten Teil geht es um das Web 3.0 und die Möglichkeiten der Interaktion.

Veröffentlicht von

www.paux.de

Michael Dreusicke, Geschäftsführer der PAUX Technologies GmbH. Das Berliner Unternehmen entwickelt Technologien für semantisch angereichertes Content Management, Social Media Integration und E-Learning-Lösungen für Verlage, Behörden und Unternehmen. Kunden sind z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die DekaBank, das Juristische Repetitorium Hemmer sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung.