Unternehmen 2.0 – Wird Social Business Software unser Arbeiten verändern?

Erinnern Sie sich noch an die interne Hauspost, Memos und Faxe? In zwei Jahren wollen manche Firmen keine e-Mails mehr. Eine Utopie?
An meinem ersten Arbeitstag vor nicht ganz 20 Jahren lernte ich als eines der ersten Dinge das Funktionsprinzip der konzerninternen Hauspost und die notwendigen Regularien beim Schreiben interner Memos oder Faxe kennen. Ein wesentlicher Teil der Kommunikation unter Kollegen ruhte in jener Zeit auf dieser Säule – und doch war sie wenige Jahre später komplett verschwunden. Stehen wir heute vor der nächsten Revolution der Arbeitswelt?

Der französische IT-Riese ATOS hat „ZERO EMAIL“ als strategischen Ziel bis 2014 ausgerufen. Da reibt sich mancher Augen und Ohren – Ein Leben ohne E-Mail? Das scheint für unseren heutigen Arbeitsalltag ungefähr so weit weg, wie die Besiedelung des Mars. Dem letzteren widmet sich die Menschheit gerade mit „curiosity“ – also nähern wir uns auch einer Welt ohne E-Mail mal mit kindlicher Neugier:

Herzstück in der ATOS-Vision (die in ähnlicher Form auch anderswo diskutiert wird) ist –natürlich- eine neue Art von Software. Diese noch recht neue Kategorie hat auch schon einen Namen: „Social Business Software“. Wie die Bezeichnung andeutet, geht es darum, die Prinzipien, die wir heute unter „social“ zusammenfassen, in die Arbeitswelt zu transportieren. „Facebook“ für Unternehmen werden entsprechende Angebote daher auch häufig – wenn auch nicht ganz zutreffend- genannt. Anders als in sozialen Netzwerken, geht es den Pionieren in diesem Bereich darum, Effizienzen zu heben, die dem Web 2.0 auf manchmal verblüffende Weise zum Erfolg verholfen haben.

Die SLATES-Prinzipen
Auch für diese Grundmechanismen des Web 2.0 gibt es ein neues Wort: SLATES – ein Akronym, welches die 6 Kernmechanismen zusammenfasst, die im Social Web wirken:

Search – die Suche nach Informationen nach dem Google-Prinzip ist meist effizienter, als sich in der durch einen zentralen Administrator vorgegebenen Struktur zurechtzufinden. Am Beispiel E-Mail haben IBM-Forscher dies sogar empirisch nachgewiesen. Die anderen „Slates“-Prinzipien helfen im Übrigen dabei, die Trefferquote zu erhöhen.

Links – mit einer  kontextbasierten Verlinkung von Inhalten steigt die Relevanz der Suchergebnisse stark an. In der Kombination von Maschinen-Intelligenz (Such-Algorithmen) und menschlicher Intelligenz (Verklinkung von zueinander passenden Inhalten) wird jede Recherche viel schneller und damit effizienter

Authoring – Gemäß der Logik des Web 2.0 wird jeder zum Autoren, egal of Mitarbeiter oder CEO. Inhalte in Dokumenten, Präsentationen und anderen Unterlagen sind per Definition erst einmal für ein breites (internes, aber ggf. auch externes) Publikum zugängig. Nur wenn die Vertraulichkeit es unbedingt erfordert, schränkt der Autor den Kreis der Berechtigten ein.

Ein spannender (Neben-)Effekt: Wie im Web auch, kann nun jeder gehört werden, der etwas zu sagen hat. Die Beeinflussung einer Firma kann zunehmend durch diejenigen erfolgen, die die besten Antworten parat haben – das sind nicht immer unbedingt die Personen, die man im Organigramm an den zentralen Punkten findet…

Tags – auch ganz einfach: Wenn jeder Autor durch das Hinzufügen von Tags, also zentralen Begriffen und Kategorien, sein Dokument klassifiziert, wird es schneller auffindbar – das geht schnell und hilft allen.

Extensions – „Personen, die sich für diesen Buch interessiert haben, haben auch folgende Dinge gekauft:…“ – in Anlehnung an die von amazon & Co. verwendeten Algorithmen lassen sich durch eine intelligente Erweiterung der Suchergebnisse schneller Verknüpfungen relevanter Inhalte herstellen. Unter Anwendung von Tags, Links und intelligenter Suche kommen Suchender und Inhalte viel schneller zusammen.

Signals – Aus Blogs kennt man das Prinzip: Indem ich einer Webseite mitteile, was mich interessiert, kann diese sich immer dann bei mir melden, wenn es passende Neuigkeiten gibt. Diese intelligenten Signale kommen z.B. über RSS-Feeds zu mir, aber auch durch Abo- oder „Like“-Funktionen, wie sie bei Facebook völlig normal sind. Ich suche also nicht länger nach einem Inhalt – der Inhalt findet mich

Ein Tag im Unternehmen 2.0
Soweit die Theorie. Um sich ein konkretes Bild von einer Firma ohne E-Mail und mit „sozialen“ Arbeitsprozessen zu machen, hilft die folgende fiktive Geschichte eines Arbeitstags im Unternehmen 2.0:

„Es ist ein heißer August-Montag im Jahr 2018. Auf dem Weg ins Büro nehme ich im Newsfeed auf meinem Smartphone zur Kenntnis, dass die Entwickler in Indien schon eine Reihe von Ergänzungen an meinem Prozessdokument vorgenommen haben, welches ich am Freitagabend zur Abstimmung hochgeladen hatte.

Am Arbeitsplatz angekommen, blinkt ein Prio1 Update in meinem zentralen Nachrichten-Feed auf: Die Marketing-Kollegen haben offenbar eine Anfrage ins Unternehmen gestartet, die genau meine Kern-Kompetenzen betrifft. Ich schicke dem Projektleiter einen Link zu meinem zentralen Profil, damit er sieht, dass ich und einer meiner Mitarbeiter ab kommender Woche noch verfügbar sind. Ich poste noch ein paar relevante interne und externe Links dazu – offenbar ist den Kollegen noch nicht bewusst, wie weit unsere Wettbewerber in diesem Thema schon sind.

Mein erster Termin steht an. Auf meinem Tablet habe ich die Agenda und alle relevanten Unterlagen für die Teambesprechung dabei, weil sie im zentralen Workspace abgelegt und zum Termin verlinkt sind. Ich suche noch schnell nach ein paar Schlagworten, um beim Agendapunkt „Quartalsbericht“  nicht nur die offizielle Präsentation, sondern auch die Presse- und Analystenkommentare parat zu haben.

Direkt nach dem Meeting sehe ich, dass mein Chef mir zwei neue Tasks eingestellt hat. Einer der vorgeschlagenen Fertigstellungstermine ist nicht zu halten. Ich schlage einen neuen vor und markiere mir das Thema für meinen morgigen Jour Fixe. Die andere Aufgabe kann ich direkt in zwei Teile zerlegen und an mein Team delegieren.

Ich erinnere mich, dass für diesen Vorgang früher eine ganze Reihe von E-Mails nötig waren – mein Gott, was waren wir doch damals unproduktiv…“

Fallstricke und Voraussetzungen bei der Einführung
Der Umstieg auf eine solche neue Arbeit kommt nicht über Nacht. Eigene Erfahrungen mit dem testweisen Einsatz solcher Tools zeigen vor allem zwei Dinge:

1)     Social Business Software lässt sich nicht einfach „neben“ bestehende Tools stellen, denn dann wird sie nicht genutzt. Nur wenn sich wesentliche Arbeitsprozesse auf die neuen Tools verlagern MÜSSEN (z.B. weil die bisherige Software abgeschaltet wird), kann der Umstieg gelingen. Zu groß sind die Vorteile eines eingeschwungenen Systems. Zu gering die kritische Masse, wenn nur einige wenige ihre Arbeitsweise ändern.
In dieser Hinsicht ist die Vision von Atos sehr konsequent – erst wenn das E-Mail System abgeschaltet wird (oder völlig in der neuen Welt aufgeht) wird ein Unternehmen 2.0 tatsächlich passieren.

2)     Arbeitsweisen sind vor allem kulturelle Phänomene – ein sehr hierarchisch arbeitendes Unternehmen wird niemals erfolgreich Social Business Software einführen können. Nur wenn ein Management-Team in der Lage (oder sogar gewohnt) ist, sich voll und ganz auf die Expertise und die Selbstorganisation der Fachleute in ihrem Unternehmen zu verlassen, kann der Schritt gelingen.
Kein Mitarbeiter wird darüber hinaus sein Wissen teilen, wenn das Unternehmen ihn dafür nicht belohnt. Wer Relevantes zu sagen hat, der muss gehört werden und Vorteile daraus ziehen können. Das ist letztlich eine spieltheoretische Fragestellung: Verhalten sich alle kooperativ und offen, dann gewinnen auch alle – einschließlich des Unternehmens.

Anbieter auf dem „SBS“-Markt
Ein schneller Blick noch auf den Markt: Es haben sich schon eine Reihe von Spezialisten in diesem neuen Software-Segment herausgebildet (Telligent, Jive…). Gleichzeitig versuchen etablierte Anbieter von Kommunikations-Software (Microsoft, IBM…) ihre eigenen Produkte in diese Richtung weiterzuentwickeln. Nach meiner eigenen –nicht vollumfassenden- Analyse gibt es dabei weder einen eindeutigen Champion, noch einen Königsweg bei der Einführung. Insofern kann auch die untenstehende Gartner-Matrix allenfalls als Ansatzpunkt für die eigene Suche nach einer passenden Lösung dienen.

Smart digits unterstützt gerne bei der individuellen Analyse und Auswahl möglicher Werkzeuge und Einführungsstrategien. Wie bei jedem Werkzeug kommt es bei der Auswahl vor allem darauf an, wie und wo man es einsetzen möchte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Vorstellung, dass in Unternehmen auf eine kooperative und damit effizientere Weise zusammengearbeitet wird, klingt spannend und eigentlich logisch. Die Tools und Möglichkeiten sind da, aber der Weg zur Umsetzung einer solchen Vision ist steinig. Wer glaubt, mit solchen Instrumenten arbeiten zu können, ohne sich Gedanken über die Unternehmenskultur, das Miteinander, die gemeinsame Grundhaltung oder einen strukturierten und konsequenten Einführungsprozess zu machen, der irrt. Erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung einer konsequenten „Enterprise 2.0“-Strategie sind herzlich willkommen! In deutschen Landen sind nach meinem Kenntnisstand bisher nur experimentelle Versuche am Start, aber das wird sich sicherlich ändern.

Am Ende ist es so wie mit den internen Memos und der E-Mail: Irgendwann schaut man zurück, und kann sich nicht mehr so richtig vorstellen, wie das (Arbeits-)Leben eigentlich vorher funktioniert hat…

Veröffentlicht von

Ulrich Coenen ist seit über 20 Jahren in unterschiedlichen Funktionen in Technologie-Unternehmen tätig, davon 14 Jahre in der Telekommunikation. Als Chief Innovation Officer der E-Plus Gruppe kümmerte er sich um neue Technologien und Geschäftsfelder. Er ist CEO & CO-Founder bei Flipintu GmbH und seit 2010 Inhaber von Ulrich Coenen Consulting & Coaching. Er ist seit 2015 Bereichsleiter Digitale Transformation bei der Commerzbank AG (Mittelstandsbank / Corporate Banking).