Trends von der 5. eBook-Konferenz der Buchakademie

Wer bei den ersten eBook-Konferenzen der Buchakademie dabei war, wird es freudig zur Kenntnis nehmen: Bereits zu Beginn in der Einführung und den Keynotes wird deutlich, wie tief im Mainstream das Thema eBooks angekommen ist. Entsprechend ändern sich die Schwerpunkte der Betrachtung. Wo in früheren Jahren oft noch die Sinnhaftigkeit der digitalen Medien diskutiert wurde, ist man heute mit ganz praktischen Fragen wie Prozessmanagement, Distribution, Autorenmanagement oder Mitarbeiterqualifizierung für die Herausforderungen des eBook-Marktes beschäftigt. Welche Trends zeigen sich hier für den Wandel der Verlagswelt?

Neben vielen Detailthemen waren insgesamt am spannendsten die Werkstattberichte von Verlagen, die mitten in der digitalen Transformation stehen und von den Chancen und Herausforderungen ihrer Entwicklung berichten können. Die drei Verlage, die sich hier vorstellen, zeichnen ein sehr unterschiedliches und facettenreiches Bild, das alle zentralen Aspekte des Wandels umfasst und sicher charakteristisch für die Veränderung der Branche insgesamt ist.

 

Carl Hanser Verlag

Dr. Hermann Riedel vom Fachbuchbereich des Carl Hanser Verlag sieht die Antwort auf die Herausforderung von steigender Komplexität bei stagnierenden Umsätzen in Produktivitätssteigerung, Reduzierung der Aufwände für Print-Produkte, dem Aufbau effizienter Prozessketten in Produktion und Distribution sowie dem Ausbau der digitalen Marketing-Kanäle. Hanser steht dabei mitten im Umstellungsprozess von der noch vorwiegend Word/LaTex-basierten PDF-Erzeugung zu einem in der Pilotphase betriebenen XML-first-Workflow mit paraller Produktion von PDF, EPUB und HTML-Daten für ein anspruchsvolles eLibrary-Modell. Da hier nicht nur verschiedene Endmedien erzeugt, sondern mit Bibliotheken, Endkunden und Händlern auch grundlegend verschiedene Distributionskanäle beliefert werden, sind die Vertriebsmodelle entsprechend komplex, die parallel entwickelt werden müssen. Mit Aptara als XML-Publkationssystem und Censhare als Web-CMS müssen gleich zwei schwere Systeme eingeführt und aufeinander abgestimmt werden, mit allen Herausforderungen, was Know-How-Aufbau und Schnittstellen angeht. Ist dann aber einmal ein entsprechender Automatisierungsgrad erreicht, ist es erfahrungsgemäß möglich, mehrere Medienformen mit insgesamt weniger Ressourceneinsatz zu erzeugen, als es früher noch beim Medium Print alleine der Fall war.

Im Auflagen- und Änderungsmanagement läßt sich eine erhebliche Qualitätssteigerung der Inhalte erreichen, wenn diese Hürden einmal gemeistert sind und aus allen Vertriebsplattformen dauernd Feedback an Lektorate und Autoren zurückfließt. Im Vertrieb an Fachnutzer im Grosskundenbereich bestehen große Chancen für neue Distributionskanäle, dort jedoch noch ohne fertig vorliegende Standard-Techniken und Geschäftsmodelle. Können die vielen denkbaren Rückkanäle vom Endkunden zum Verlag nicht nur für Feedback, sondern auch für die Vermarktung auf Basis der nun verfügbaren Kundendaten genutzt werden, sind neue Möglichkeiten des Online-Marketings und zielgenaue Produktangebote denkbar. Dies alles bedingt jedoch ein aktives Autorenmanagement und auch regelmäßige Revisionen der Verlagsverträge, um den sich andauernd ändernden Anforderungen von Prozessen und Distributionsformen gerecht zu werden. Gelingt jedoch das Prozessmanagement in dieser Transformation auf vielen verschiedenen Ebenen, ist deutlich zu erkennen, wie ein Fachverlag seine Ressourcen besser nutzen kann, um sich neben dem Print-Geschäft gleich mehrere neue Quellen der Wertschöpfung zu erschließen.

Dr. Hermann Riedel zu den betriebswirtschaftlichen Herausforderungen des digitalen Wandels

 

 

Verlagsgruppe Random House

Anne Stirnweis von Random House legt ihren Schwerpunkt auf die Prozesse, die erhebliche Bedeutung bekommen, wenn ein Verlag sein eBook-Geschäft erst einmal auf ein Sortiment von 6.500 Titel skalieren muss, die ohne XML-basierte Prozesse produziert und an nahezu alle relevanten Vertriebsplattformen distribuiert werden. “Die Beta-Phase dauert für immer”, heißt hier das Motto und das Prozessmanagement für ein Geschäft mit dieser Größenordnung zieht sich durch alle Verlagsbereiche, die so auf ihrer Seite das Gegenstück zur Komplexität der digitalen Ökosysteme zu sich ins Haus bekommen. Tut sich ein Verlag zunächst schon bei Fragen wie der Abgabe der Layouthoheit an den Leser und seine Einstellungsmöglichkeiten im eReader am Anfang schwer, wird es erst richtig spannend, sobald Vertrieb und Marketing komplett auf digitale Modelle eingestellt werden: Vertriebsmetadaten über alle Plattformen hinweg korrekt ausgeliefert zu bekommen und dafür zu sorgen, dass die Interpretation durch den Partner eindeutig erfolgt, ist nicht nur anspruchsvoll und geschäftskritisch, sondern oft auch eine Frage mit echten juristischen Konsequenzen.

Wird die digitale Zweitverwertung zum Standard, beschäftigt die Rechteeinholung dafür gerne einmal halbe Mitarbeiterstäbe, insbesondere bei komplexen Projekten mit vielen Rechteinhabern. Hat man die dazugehörigen Systeme aber einmal aufgesetzt und insbesondere die digitale Distribution hinreichend automatisiert, kann man in den Vertriebskanälen ungeahnte Möglichkeiten des Endkunden-Marketings und der Reichweiten-Steigerung durchspielen. Zunächst experimentelle Produktformen wie originäre eBooks, digitale Serien a la Kindle Serials, Prequels/Sequels zu regulären Produkten wie auch die diversen enhanced-Modelle sind letztlich erst sinnvoll und im Vergleich auswertbar, wenn die Basis für Content-Produktion und Distribution eine so solide und breite Basis hat. Ein Publikumsverlag wie Random House hat hier schon aufgrund der Content-Mengen und Zielgruppen natürliche Vorteile, aber auch andere Herausforderungen, was Skalierbarkeit und Robustheit seiner Prozesse angeht.

Anne Stirnweis über enhanced eBook-Modelle

 

 

Haffmans & Tolkemitt

Till Tolkemitt von Haffmans & Tolkemitt sieht wie viele andere das Buch in einer Phase des Bedeutungsverlustes gegenüber anderen Medien, setzt aber insofern eigene Akzente, als er verwandte Medien wie eBook/Hörbuch in diesem Trend eingeschlossen und im Gegensatz dazu visuelle/webbasierte Medien im Aufwind sieht. Eine strategische Konsequenz daraus ist denn auch, auf Basis eines Erfolgstitels aus dem Erotik-Bereich den Ausbau vom klassischen Verlagsgeschäft zum Multimedia-Anbieter zu realisieren: In Kooperation mit der Autorin und einer Filmproduktionsfirma wird eine themenorientierte Verwertungsgesellschaft ausgegründet, die ausgehend vom Print-Titel TV- und Radio-Formate entwickeln, die Kanäle Internet und App mit Content bespielen und in angrenzenden Bereichen wie Talkshows/Vortragsreihen Dienstleistungen anbieten soll. Der Ansatz ist beeindruckend, weil strategisch sehr konsequent gedacht und vom Geschäftsmodell her stimmig umgesetzt – er dürfte aber nur dort umsetzbar sein, wo es möglich ist, ganze Themengebiete über alle denkbaren Medien hinweg zu besetzen.

Korrespondierend zu den Veränderungen in der Vermarktung von eBooks und dem Bedeutungsverlust des stationären Buchhandels präsentiert Tolkemitt ein weiteres Modell: Beim “HardcoverPlus”-Vertrieb werden Buch und eBook grundsätzlich zusammen miteinander angeboten – im Buch ist schlicht der Download-Code für eine personalisierte, aber nicht DRM-geschützte eBook-Datei enthalten. Damit verbunden ist der Ausstieg aus dem ausschließlichen Print-Angebot. Haffmans & Tolkemitt bietet inzwischen nur noch HardcoverPlus und reines eBook an. Das Modell erscheint zunächst nicht übermäßig innovativ, besticht aber dadurch, dass es einer Reihe von echten Kundenbedürfnissen entgegenkommt, verhältnismäßig einfach realisierbar ist und für den Verlag das Tor zu Direktmarketing-Kanälen öffnet.

Tillmann Tolkemitt zum Wandel der Leitmedien

 

Trends und Tendenzen

Über alle Vorträge hinweg lassen sich einige Trends ausmachen, die den Kern des digitalen Wandels kennzeichnen:

  • Wie sehr das eBook im Alltag Einzug genommen hat, zeigt sich schon daran, wie stark mittlerweile alle Abteilungen und Bereiche der Verlage von den Umstellungen auf digitale Modell betroffen sind. Während es in einigen Bereichen nur um zusätzliche Prozesse geht, müssen sich viele grundlegend wandeln, je mehr Anteil die digitalen Medien an der gesamten Wertschöpfung haben. Die Vielfältigkeit der Vorträge zeigte, dass sich inzwischen kein Fachbereich mehr dem Wandel entziehen kann.
  • Alle anwesenden Verlage haben in mehr oder weniger hohem Maße dieselbe Quadratur des Kreises zu bewältigen: Unter höherem Kostendruck und bei stagnierenden oder sinkenden Umsätzen müssen vielfältigere und anspruchsvollere Endmedien angeboten werden. Auf der einen Seite kann dies mit Systemeinführung/Automatisierung abgefangen werden, zur kompletten Nutzung der Potenziale ist aber immer auch eine deutliche Professionalisierung der Fachabteilungen und nicht zuletzt die kreative Entwicklung von neuen Produkten auf Basis von digitaler Medienkompetenz erforderlich.
  • Die Übergangsphase zwingt die Beteiligten zwar in den Leidensdruck der alten und der neuen Medien, rückt aber auch den einzelnen Mitarbeiter und seine Kompetenzen wieder in den Vordergrund. So anspruchsvoll und fordernd der Wandel auf der einen Seite ist, so sehr bietet dieser Prozess auch persönliche Chancen für jeden einzelnen. Überall dort, wo man dauernde Veränderung und die permanente Beta-Phase als spannend empfinden kann, wo Kreativität und Innovation belohnt werden, entstehen auch interessante Berufsbilder und ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten.

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.