Will ich ein gläserner Leser sein?

Was denkt eigentlich Ihre Zielgruppe über Ihre Produkte?

Weil die Sicht des Kunden darüber entscheidet, ob Ihre Angebote künftig Erfolg haben werden, stellen drei Absolventinnen des Masterstudiengangs Buchwissenschaften der LMU München hier ihre Untersuchungen vor: zu einem Facebookauftritt, den Anforderungen an eine Lehrplattform und den “gläsernen” Leser im Big Data-Strudel. Die Beiträge vereinen bewusst die fundierte Recherche mit einer persönlichen Stellungnahme. Für weitere Fragen stehen die Autorinnen zur Verfügung und können über die angegebenen Adressen erreicht werden.

Veronika Martin geht der Frage nach, ob und wann sie ihre Daten preisgeben möchte. Durch die Sammlung von Daten können Verlage viel mehr erfahren über Leser als je zuvor. Und die Hoheit über Kundendaten wird zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Wer weiß, was sein Kunde macht, wie er sich in den digitalen Medien bewegt, was er ablehnt und was er sucht, der kann die entsprechenden digitalen Produkte anbieten. Aber wollen das auch die Leser? Spätestens wenn Google Glasses dieses Jahr auf den Markt kommen sollte,  werden wir eine heiße gesellschaftliche Debatte um die Hoheit von Daten haben:

Der gläserne Leser – ein Schlagwort, das seit Langem für Diskussionsstoff sorgt. Das Internet und die Nutzung von digitalen Medien überhaupt bringen neue Möglichkeiten mit sich, gewaltige Mengen an Daten zum Leseverhalten zu erheben. Was einst einen hohen empirischen Aufwand bedeutete, oder teilweise gar nicht erst möglich war, entsteht heute praktisch von selbst: die Leserbiografie. Ich sehe mich nun wie jeder Leser mit der Frage konfrontiert, ob ich das tatsächlich sein möchte: gläsern. Wenn ich ein E-Book lese und bestimmte Funktionen aktiviere oder nicht bewusst deaktiviere, erfahren Verlage, Händler und Autoren nämlich eine ganze Menge über mich.

Unternehmen wie Amazon können, sobald ich meinen Reader im Online-Modus nutze, problemlos feststellen, in welcher Reihenfolge und wie lange ich schmökere, wie oft ich zurückblättere, welche Passagen ich überspringe beziehungsweise mehrfach lese und an welchen Stellen ich aufhöre. Außerdem weiß Amazon genau, zu welchen Zeitpunkten ich den Reader typischerweise nutze, etwa abends beim Einschlafen, wie schnell ich lese und welche Textpassagen ich favorisiere.

 

Neue Anbieter treten auf den Markt, um Verlagen Kundendaten zu digitalen Produkten zu verkaufen

Zur Aufarbeitung dieser umfangreichen Daten ist mittlerweile ein neues Geschäftsmodell entstanden. Unternehmen wie Publit, Hiptype und Bookseer bieten statistische Analysen, die Verlage für ihre zukünftige Programmplanung nutzen können. Publit, ein schwedisches Portal für Verlage und Self-Publisher, liefert in seinem Widget Shop detaillierte Analysen wann, wo und von wem ein Buch gekauft wurde, wie Kunden auf die jeweilige Website aufmerksam geworden sind oder welche Zeitspanne die Kaufentscheidung in Anspruch genommen hat.

gläserner leser

Kundendaten per Knopfdruck – Publit liefert nicht nur Verkaufszahlen

Verlage erhalten Zugang zu einer für sie spezifizierten Datenbank und können so Vergleichswerte zu Formaten und Preisentwicklungen abrufen, um daraus beispielsweise Strategien für weitere Werbemaßnahmen abzuleiten. Ähnlich verfahren Hiptype  mit einem analytischen Plugin-Tool für E-Books und Bookseer , das seinen Fokus auf Medienberichterstattung legt. Obwohl die Auswertung der Daten meist anonym erfolgt, gefällt es mir persönlich dennoch nicht besonders, dass meine Lesegewohnheiten auf diese Art genutzt werden, da ich mich in meiner Privatsphäre gestört fühle. Und dabei spielt es auch nicht wirklich eine Rolle, dass das zukünftige Buchangebot so besser auf meine Lesebedürfnisse angepasst werden kann.

Ganz anders sieht die Sache allerdings beim digitalen Lernen aus. Für mich als Studentin ist der Nutzen in diesem Fall natürlich klar ersichtlich. Ein gut umgesetztes Beispiel dafür ist die Plattform studium digitale der Goethe-Universität.

gl

 

 

 

 

Das Angebot beinhaltet Workshops, eine Projektdatenbank, ein Tutorenprogramm und vieles mehr. Besonders hilfreich sind außerdem die Vorlesungsaufzeichnungen, das Autorensystem LernBar mit einem Angebot an Online-Kursen für verschiedene Studienfächer, die virtuellen Seminarräume OLAT für Studenten und Moodle für Lehrende, die Tools zur Produktion multimedialer Inhalte und Anleitungen zur Bedienung von Webseiten und Programmen, ein Online-Self-Assessment für Informatik und Psychologie sowie natürlich die Diskussionsrunden in den Blogs.

gläserner leser1

Verzeichnis der aufgezeichneten Vorlesungen

Alles in allem sind diese Serviceangebote sehr hilfreich für Studierende. Und in Zukunft wird technisch noch viel mehr möglich sein. Aber bereits jetzt sind sie für mich interessant. Auch wenn ich befürchten muss, dass meine Professoren dann eher mit meinen auch mal dummen Fragen konfrontiert werden, wenn ich sie in einem Blog zur Diskussion stelle. Durch den Mehrwert, den mir gemeinsames Lernen in einer Gruppe bietet, nehme ich das in Kauf. Ich persönlich halte digitales Lernen und die damit verbundene Weitergabe meines Lernverhaltens für sinnvoll, denn so kann ich von der Motivation anderer und der Ausmerzung eigener Fehler profitieren.

Wie man sieht, empfinde ich das Phänomen des gläsernen Lesers als  zweischneidiges Schwert, auf das man in der digitalen Zeit immer wieder trifft. Ich bin mir noch nicht sicher, ob für mich die Vor- oder die Nachteile überwiegen. Ich werde aber sicherlich versuchen, bestehende Angebote zu meinem Vorteil zu nutzen.

 

Veronika Martin hat in München bereits eine Ausbildung zur Sortimentsbuchhändlerin sowie das Bachelorstudium in Buchwissenschaft absolviert und macht nun den Master Buch- und Medienforschung. Nebenbei arbeitet sie beim Beck-Verlag in der Schlussredaktion. Sie ist erreichbar unter veronika.martin@campus.lmu.de.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.