Treibt Facebook die Menschen in die virtuelle Isolation?

Die “Digital Natives” kommunizieren nur noch online und wissen nicht mehr, wie man sich von Angesicht zu Angesicht unterhält. Wirklich? (Die sehr viel Älteren unter uns können sich an derartige Diskussionen erinnern, als die Menschen plötzlich Zeitungen kauften und sich im Zug nicht mehr miteinander unterhielten.)

Jan-Hinrik Schmidt hat in einer Studie des Bredow Instituts darauf hingewiesen, dass es die Nutzung der Sozialen Netzwerke auf alle Altersgruppen zutrifft. Und dass vielmehr die Einschätzung von Privatsphäre je nach Alter unterschiedlich ausgelegt wird. Den “Digital Native” gibt es nicht, denn im virtuellen Raum sind wir alle unterwegs.

Und die starke Nutzung von Facebook und Co. durch Jugendliche liegt viel mehr an den klassischen Problemen in dem Alter und dem aktuellen Leitbild der Gesellschaft, dass man unbedingt sozial vernetzt sein muss, um es zu etwas zu bringen. Man muss paradoxerweise eine “vernetzte Individualität” entwickeln.
Eine Untersuchung in den USA bestätigt dies. Sie zeigt, dass in diesem Jahr 72% aller Internetnutzer auch in sozialen Netzwerken aktiv sind. Und je jünger die Personen sind, desto wahrscheinlicher ist es: Bei den unter 29-jährigen sind es sogar 89%.

Social networking use by age group

Und wenn man sich die Nutzerzahlen genauer ansieht, so kann man kaum Unterschiede erkennen zwischen den Geschlechtern, den sozialen Klassen und der Herkunft. Das Gesamtbild ist relativ ausgewogen. Nur bei denen, die sich über mobile Endgeräte in die Netzwerke einloggen, kann man leichte Tendenzen erkennen: Besserverdiener und Personen mit einem höheren Abschluss, Personen mit lateinamerikanischen Wurzeln und die Altersgruppe zwischen 18 und 29 nutzen das Smartphone häufiger.

social networking on mobile phones

Vor allem bei der Verhaltensanalyse schneiden die Nutzer sozialer Netzwerke jedoch erstaunlich gut ab:

  • Sie sind es gewohnt, ihre Kontakte zu pflegen, verfügen in der Regel über enge Freundschaften, aktivieren alte, und sind meist weniger isoliert als der Rest.
  • Sie vertrauen anderen mehr und sind politisch engagierter. 39% äußern sich zu politischen oder gesellschaftlichen Themen und teilen diese mit anderen. Im Vergleich zu 2008 ist das politische Engagement deutlich gestiegen.
  • 56% von ihnen erstellen selber Fotos oder andere Inhalte (die “Kreativen”) oder nutzen die anderer (die “Kuratoren”), d.h. sie sind Sender oder Multiplikator.
  • Sie erhalten Unterstützung aus ihrem Netzwerk und ziehen mehr Nutzen als dass sie einbezahlen.

Vor allem der letzte Punkt ist wichtig. Er verdankt sich der Tatsache, dass die sogenannten Power-User immer mehr Inhalte und Engagement in die sozialen Netzwerke einbringen. Damit ist der klassische Gefühlshaushalt zwischen Geben und Nehmen in den sozialen Netzwerken immer im Haben. Das macht sie so attraktiv.

  • So haben zwar 40% schon einmal eine Freundschaftsanfrage gestellt, aber 63% haben auch schon mal eine erhalten.
  • 14% haben schon mal den “like”-Button gedrückt, wurden selber aber schon 20 mal “geliked”.
  • Und auch wenn in der Regel nur 9 Nachrichten versandt wurden – 12 hat man erhalten.
  • Noch deutlicher wird es bei den Fotos, auf denen man auftaucht: 12% haben Freunde darauf markiert, stolze 35% wurden aber selbst schon markiert auf den Fotos anderer.

Zugleich scheint sich die These zu erhärten, dass die Personen, die immer schon ihre sozialen Netzwerke gepflegt haben, dies auch im virtuellen Raum tun und eher ein weiteres Werkzeug in den Händen halten. Offen ist und bleibt die Frage, ob die sozial Isolierten durch die virtuellen Netzwerke Zugang finden zur Gesellschaft oder sich nur in einer Scheinwelt befinden.
Die Herausforderung im digitalen Raum wird wie immer in Gesellschaften darin liegen, das richtige Verhältnis zwischen Austausch und Gruppenzwang zu finden: Martin Weigert hat auf Phänomen hingewiesen, dass die Schnelligkeit im Netz die Teilnehmer verführt, gedankenlos Meinungen zu verstärken und zu kommentieren, ohne werthaltige Argumente zu liefern. Entschleunigung ist im Netz noch mehr gefragt als sonst im Denken, um den Vor-urteilen und Vor-verurteilungen auf die Schliche zu kommen.

(Umfangreiches Zahlenmaterial zum Verhalten in sozialen Netzwerken in Deutschland bietet auch die Studie der BITKOM.)

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.