Mobile Apps: Bin ich wichtig genug für einen Platz auf dem Homescreen?

Die App-Stores sind für Content-Anbieter über die letzten Jahre nicht eben zu einfacheren Pflastern geworden: Die Konkurrenz ist immens, die Sichtbarkeit ein ungelöstes Problem, das Preisniveau niedrig und die Margen schmal. Oft haben wir hier schon Tipps für App-Projekte gegeben, um die schwierigsten Hürden zu umgehen – aber für viele Content-basierte Angebot muss die Frage mittlerweile wohl inzwischen lauten: Sollte ich überhaupt eine App erstellen? Oder ist eine gut gemachte responsive Website nicht letztlich der sinnvollere Weg?

Mit vielen Fragen mussten sich Verlage und Medienhäuser in den letzten Jahren auseinander setzen, wenn App-Projekte anstanden: Was ist die beste technische Implementierung für welchen Typ von Apps? Welche Entwicklungen von Angebotsmodellen und Marktumfeld sind wichtig? Was ist bei der Projektierung und Umsetzung zu beachten? Wie vermarktet man Apps am besten?

Und angesichts der Entwicklungen in der Google-Suche und dem Versuch von Facebook, mit den Instant Articles auch die Publisher zu vereinnahmen, muss für jeden Content-Anbieter klar sein, dass eine solide Online-Strategie kein “nice to have” mehr ist, sondern Überlebensgarantie für die Zukunft.

Bei den vielen Aspekten, die bei einem App-Projekt zu bedenken sind, fand ich es sehr wohltuend, in einem Artikel von Benedict Evans eine Entscheidungshilfe zu lesen, die alle wichtigen Themen ganz untechnisch auf eine einzige zentrale Frage reduziert:

 

Do people want to put your icon on their home screen? 

 

Das klingt zunächst einmal sehr einfach und fast banal, beinhaltet aber eine tiefe Wahrheit, wenn man die Entwicklung der App-Nutzung in den letzten Jahren betrachtet. 2014 veröffentlichte Nielsen eine Studie mit einer spannenden Zahl: Während sich seit 2011 die Zeit um etwa 50% gesteigert hat, die Smartphone-Nutzer mit Apps auf ihrem Gerät verbringen, ist die Zahl der dabei verwendeten Apps nur unwesentlich höher geworden und dabei über die letzten zwei Jahre nahezu konstant geblieben. Mit etwa 26 scheint eine “magische Grenze” von Apps erreicht zu sein, die der durchschnittliche Nutzer noch sinnvoll parallel und regelmäßig verwenden kann. Auf aktuellen iOS-Geräten entspricht das ziemlich genau einem Homescreen voll Apps.

 

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Nutzungszeit von Mobile Apps vs. Menge genutzter Apps: ein schwieriges Ringen des Content um die Aufmerksamkeit der Nutzer. (Quelle/Copyright: Nielsen)

 

Evans’ einfache Frage lässt sich insofern übersetzen als:

  • Bin ich als Marke / Produkt so wichtig für meinen Kunden, dass er überhaupt in Erwägung zieht, meine App zu installieren? Wie groß ist die Chance, dass ich einen Platz auf dem Homescreen bekommen?
  • Ist mein Produkt so nützlich und mein Angebot so überzeugend, dass mein Kunde die App auch dauerhaft nutzt und auf dem Homescreen lässt?
  • Und in der Konsequenz: Von welchem Anteil an Kunden kann ich ausgehen, für den ich diese Frage mit “Ja” beantworten kann?

Und so selbstverständlich ist es eben in der Praxis nicht unbedingt, dass sich diese Fragen mit “Ja” beantworten lassen. Nicht umsonst unternehmen Anbieter auf ihren mobilen Websites alles, um die Nutzer auch auf die App-Varianten hinzuweisen – nicht durchgehend mit Erfolg.

 

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Auch eine “mobile first”-Plattform wie Medium versäumt es nicht, auf ihrer mobilen Website darauf hinzuweisen, dass sie eigentlich gerne auf den Homescreen möchte…

 

So banal die Fragestellung zunächst scheint, in der Konsequenz kann sie eine sehr einfache Markscheide sein, mit der man bei ehrlicher Beantwortung den Weg in kostspielige Fehlinvestitionen vermeiden kann. Dann erst spielt die Frage eine Rolle, ob und wie ich die App bzw. ihre Inhalte auch monetarisieren kann. Denn ohne Installation gibt es auch keine Monetarisierung.

Wie gewohnt müssen nach dieser ersten Weichenstellung natürlich alle Fragen bezüglich Geschäftsmodell und handwerklicher Umsetzung genauso gut beantwortet werden. Für die Entwicklung der App-Nutzung ist es immer sinnvoll, die Übersichten von Analytics-Providern wie AppAnnie zu konsultieren. Interessant ist hier aktuell für den deutschen Markt, dass Apps im Umfeld des Themas “Kommunikation” dominieren – im Gegensatz zu Asien und den USA, wo Spiele und soziale Netzwerke einen deutlich größeren Schwerpunkt bilden.

Und für die konkrete Projektierung sei noch der umfassende Erfahrungsbericht des App-Entwicklers Stuart Hall empfohlen: In fünf sehr ausführlichen Blogposts beschreibt er alle Details eines wirklich aufschlussreichen App-Projektes von der Idee bis zu den verschiedenen Versionen und geht dabei insbesondere auf die Vermarktung und die Experimente mit verschiedenen Angebotsformen ein. Auch für erfahrene Digitalmanager eine spannende und lehrreiche Lektüre. Und wer noch nie ein App-Projekt betreut hat, hat danach eine recht klare Vorstellung, auf was er sich einlässt.

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.