Digitalisierung und der Buchmarkt in Lateinamerika

Die Digitalisierung erfasst die ganze Welt. Das hat für uns persönlich zur Folge, dass wir plötzlich nicht nur den US-Markt verfolgen, sondern selber auch in diesem Jahr in Indien, Südamerika und Asien Vorträge hielten und Projekte durchgeführt haben. Denn die Herausforderungen gleichen sich, auch wenn die Lösungen so vielfältig sind, wie es Möglichkeiten in der digitalen Welt gibt. Mit diesem Artikel erörtern wir in Vorbereitung auf die Buchmesse unsere Einschätzungen der Lage in Venezuela, Peru, Kolumbien und Argentinien.

Wer sich näher mit den Märkten befassen will und Kooperationen und Markteintritte in Erwägung zieht, dem sei auch die Studie von Javier Celaya über den lateinamerikanischen Markt empfohlen, die mit der Unterstützung von bookwire zum Download zur Verfügung steht.

Zusammenfassend lassen sich die folgenden Merkmale erkennen:

  • Die Digitalisierung erfasst alle Bereiche in diesen Gesellschaften und eröffnet neue Marktchancen. Vor allem die Entwicklungen in Spanien und dem spanischsprachigen Markt in den USA werden einen großen Einfluss auf diese Länder haben, weil deren digitale Angebote keine sprachlichen Barrieren überwinden müssen und mit mehr Finanzkraft Innovationen vorantreiben.
  • Digitale Angebote sind noch nicht ausreichend sichtbar und vermarktbar. Hier müssten Bibliotheken, Buchhandelsketten und Onlineshops zusammenarbeiten, um Produktinformationen und Metadaten richtig aufzubereiten.
  • Nationale Wirtschaftsgrenzen wie in Venezuela oder Argentinien verhindern (noch) einen Anschluss an die internationale Entwicklung, weil sich die einheimischen Unternehmen dem Wettbewerb von Amazon, Apple und Co. nicht stellen müssen. Das bietet aber auch den Vorteil, dass sich eigene Ökosysteme bilden können und Luft für “kleinere” Investitionen bleibt.
  • Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf dem Thema Bildung. Hier prägen vor allem staatliche Investitionen den Markt, aber auch zahlreiche private Initiativen zeigen sich innovativ. Sie sind alle getrieben von dem Bildungshunger und den unternehmerischen Möglichkeiten durch Skaleneffekte. Staatliche und städtische Subventionen und Programme sind der beste Hebel für eine Gestaltung in diesen Märkten.
  • Viele junge Menschen erhalten dadurch Zugang zu digitalen Medien. Doch das Angebot gut gemachter blended learning-Programmeist überschaubar, denn die Verlage und Autoren sind wie überall darauf nicht vorbereitet.
  • Die klassischen Medienhäuser konnten bisher noch wenig Kompetenz aufbauen und ihre Angebote und die Erwartungshaltung der Kunden klaffen noch auseinander. Die oben erwähnten sozialen Netzwerke und digitalen Bildungsangebote führen jedoch bei Lesern und Autoren zu anderen Kundenerwartungen.
  • Die sozialen Netzwerke prägen wie in Europa oder den USA das gesellschaftliche Leben. Sie verändern das Verhalten der Kunden und die Nutzung ist in Teilen höher als in Deutschland.
  • Der klassische Buchmarkt und damit auch der eBook-Markt können nicht mit denen in Deutschland oder den USA verglichen werden. Deshalb geht die einfache Gleichung “leichter Rückgang Print + Zuwachs eBook” nicht auf.
  • Für Kurzentschlossene gibt es am Donnerstag, den 15.10. auf der Buchmesse in Halle 5.1, Stand B-116 die Möglichkeit zur Diskussion mit digitalen Vorreitern aus Argentinien wie Carlos Gazzera und Luis Seia sowie Martin Schmitz-Kuhl (Herausgeber des Bandes “Books&Bookster”, das ins Spanische übersetzt wird).

Im folgenden skizzieren wir einige der kürzlich bereisten Länder und stellen beispielhaft einzelne Angebote vor, um so das Spektrum der Angebote sichtbar zu machen. Heben wir in Kolumbien die Bibliotheken hervor, in Peru und Argentinien die eigenen Shoplösungen für  die eigene Literatur oder in Venezuela und Chile die Weiterbildung – so heißt das nicht, dass es genau diese Ansätze nicht auch in den anderen Ländern gäbe.

 

Kolumbien

Wie kaum ein anderes Land der Welt hat Kolumbien in den letzten Jahren Geld in die Bildung und Bibliotheken investiert, um durch Leuchtturmprojekte wie auch eine breit angelegte Initiative mit vielen Helfern in sozialen Brennpunkten zu wirken: Am Beispiel der Bibliothek Virgilio Barco hatten wir dies in einem der letzten Artikel beleuchtet. Die Bibliotheken sind hier schlagkräftiger aufgestellt als die Verlage. Sie verfügen über einen guten Zugang zu Fördergeldern und werden selber aktiv als Plattformen für den kulturellen Austausch. Eigene verlegerische Tätigkeiten zeigen, dass sie hier oft weiter denken können als Verlage.

Das wird an Beispielen deutlich wie dem von Fundalectura mit dem ICBF (Instituto Colombiano de bienestar Familiar) entwickelten Programm an enhanced eBooks: Hier werden staatliche und private Fördergelder genutzt für die Förderung des Lesens. Enhanced eBooks lassen sich im freien Markt schwer vermarkten, weil Kundenerwartungen, Aufwand durch Verlage und Distributionswege noch nicht zueinander gefunden haben.

Über Fördergelder können sie jedoch hervorragend eingesetzt werden, weil gut gemachte enhanced eBooks für Kinder die Begeisterung für das Lesen und die Kombination von Musik, Rhythmus und Bildern ideal unterstützen. Zudem können so die verschütt gegangenen Traditionen der ersten Volksgruppen in Kolumbien durch die mehrsprachige App und die integrierte Musik bestens wiederbelebt werden.

 

enhanced eBooks colombia

Wenn Verlage (noch) nicht in der Lage sind, attraktive, digitale Angebote zu machen, dann bieten sich Möglichkeiten für andere Anbieter. Stiftungen und die öffentliche Hand bieten kostenlos enhanced eBooks in mehreren, auch indigenen, Sprachen an, um das Lesen zu fördern und allen zugänglich zu machen. So wie hier Fundalectura in Kolumbien.

 

Peru

Ca. 30 Mio Einwohner, wachsende Wirtschaftskraft, steigende Alphabetisierung und ein Anstieg der Buchproduktion von 1390 Titel im Jahr 2001 auf 6491 Titel im Jahr 2013. Was tun, um die eigene Literatur und die Angebote sichtbar zu machen? Man baut einen eigenen Shop, so wie Kiputeka, librosperuanos oder PeruBookstore. Und präsentiert dort prominent ein peruanisches Programm.

Die Herausforderungen liegen dabei in zwei Punkten: Zum einen gibt es einen Reihe rechtlicher Reglementierungen, die einen Export erschweren. Vor allem aber spielt die schnelle Entwicklung all der Merkmale, die einen Shop zum Erfolg führen, eine nicht geringe Rolle. Neben den Standards wie A/B-Testing und Usability-Entwicklung z.B. eine kundenorientierte Trefferliste, eine kontinuierliche Pflege und Anpassung der Metadaten, ein Empfehlungsmarketing etc. etc.

Die dafür erforderlichen Investitionen bringen viele kleine Plattformen in einem überschaubaren Markt nicht auf. Es bleiben die Nischen und die Möglichkeiten für größere Anbieter, hier durch Kooperationen einen Markteintritt zu sichern. Aber: Die Chancen liegen in der Nähe zu Autoren und Selfpublishing. Hier sind lokale Bezüge und die Nähe zu Lesern und Produzenten gefragt. Für Investitionen in diesem Bereich und Kooperationen ein gutes Umfeld.

 

peru

Zahlreiche Shops und Plattformen ergreifen die Möglichkeiten des digitalen Marktes. Die steigende Anzahl an eBooks, Selfpublisher und Angebote der Bibliotheken und staatlichen Institutionen bieten genug Futter. Die Fokussierung auf Dienstleistungen oder spezielle Themengebiete wird wie hier bei der Plattform Kibuteka eine der Herausforderungen sein bei der Weiterentwicklung.

 

Argentinien

Auch der argentinische Buchmarkt wächst (5% Wachstum in der Titelanzahl auf 27.757 gemeldete Titel innerhalb eines Jahres von 2013 auf 2014) und kann auf eine feste Verankerung des Lesens in der Gesellschaft bauen. Der digitale Markt zeigt Steigerungsraten auf 4427 eBook-Titel in 2014 und bleibt doch hinter seinen Möglichkeiten zurück. Vor allem die Beschränkungen bezüglich Import und Export verhindern eine größere Dynamik und die Wirtschaft erwartet gespannt mögliche Veränderungen bei den jetzt anstehenden Wahlen.

 

argentinien

Verlage wie eduvim zeugen von dem innovativen Potenzial, das vor allem in den Nischen und rund um die Bildungseinrichtungen sichtbar ist.

 

Verlage wie eduvim entstehen aus einem universitären Umfeld und entwickeln schnell digitale Angebote und Kooperationsmodelle mit ihren Autoren. Universitäre Einrichtungen wie die Academia Nacional de Educación haben eine eigenes, digitales Publikationsangebot. Plattformen wie eBookargentino,  Rashmidan oder cosa de brujas schaffen wie im peruanischen Markt einen neuen Zugang für Selfpublisher oder konzentrieren sich wie bajalibros auf eine Verbesserung der Metadaten und des Zugangs zu internationalen Texten. Plattformen wie yourownstory erweitern ihr Angebot Zug um Zug vom klassischen Fotobuch hin zum Verlag mit Fotobuch.

Aber erst wenn viele einen leichten und schnellen Zugang zu digitalen Medien haben und das Angebot groß genug ist, wird auch der Markt sprunghaft ansteigen.

 

Venezuela

Publishing Perspectives hat dem Verlagsmarkt dort eine dreiteilige Serie gewidmet, die vor allem den Kampf kleinerer Verlage dokumentiert, mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage umzugehen. Die Geldknappheit, die sinkende Kaufkraft der Kunden, fehlendes Papier – all das sind Herausforderungen, denen sich Verleger hierzulande nicht stellen müssen. In schwierigen Verhältnissen behaupten sich jedoch die kreativen Geister und deshalb verdienen einige Initiativen Beachtung: So die kreativen Ideen zum Guerilla-Marketing bei libros del fuego, die Nutzung der sozialen Netzwerke weltweit bei FB Libros, die Förderung der Literaturvermittlung auf in der Entwicklung befindlichen Plattformen wie wikiliterature  oder die Konzentration auf lokale Geschichten und die Kombination von Selfpublishing und professionellem Verlagsgeschäft bei Negro sobre Blanco.

In diesem schwierigen Umfeld wachsen internationalen Plattformen wie edmodo oder staatlichen Initiativen wie bei Enlaces Chile, die eine breite Bildungsoffensive möglich machen. Projekte wie teachlr.com stehen am Start, educatablet kann schon auf einiges an Erfahrung zurückgreifen bezüglich der digitalen Lehre und Verwaltung von Schul- und Unterrichtsmaterialien. Staat und Ausbildungsstätten sind dort die ersten Verleger, weil der Staat die Mittel hat und die Parteien über diesen Weg auch Wähler an sich binden können.

 

venezuela

Edmodo, eine der vielen Möglichkeiten, die digitale Lehre auf einfache Weise mit anderen zu entwickeln. Ähnlich wie Moodle, aber in der Anmutung eben schon ein paar Schritte weiter, wird hier auf Kollaboration gesetzt, um den Austausch zwischen Lehrenden, Lernenden und Eltern zu erleichtern.

 

 

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.