Von Lügenpresse bis Trump: Algorithmen, soziale Netzwerke und Medien

Im Interview mit CJR hat der Historiker Timothy Garton Ash auf die dramatische Entwicklung in den Medien hingewiesen. Brexit und der Wahlkampf in den USA, die Diskussionen um Pegida und die Lügenpresse – all das sind Symptome für eine nötige Neugestaltung der Medien als essentielle Mittel der Demokratie. In den Debatten scheint es zur Zeit kein “sowohl-als-auch”, sondern nur ein “entweder-oder” zu geben, bei dem sich die Gegner gegenseitig um die Wette beleidigen. Nun gab es schon immer Schlammschlachten der Zeitungen, Hetze über den “Volksempfänger” und manipulierte Nachrichten der staatlichen Sender – das ist nicht neu. Die Frage ist, welche Rolle hier die Digitalisierung spielt und ob sie die negativen Trends verursacht, verstärkt oder sogar bremsen kann. Denn Algorithmen und die sozialen Netzwerke spielen eine wichtige Rolle bei der Meinungsbildung.

Der Einzelne und seine Filter-Bubble

Für jede noch so abwegige Ansicht findet man schnell Gesinnungsgenossen in der ganzen Welt. Konnte man sich früher nur abwenden von den Mainstream-Medien und im Schrebergarten aufblühen, so lassen sich nun auf Knopfdruck Unterstützer finden. Jedes Lager lebt so in seiner eigenen Filterblase: Die sozialen Netzwerke bestärken jeden in der Wahrnehmung, dass die eigene Sicht die richtige sei. Und das nur aufgrund der Tatsache, dass man nie mehr alleine ist – und die Reaktion auf jede Selbstäußerung in der Regel im Sekundentakt erfolgt. Die größte Hürde bei der Meinungsbildung ist nämlich schnell genommen: Man muss nicht alleine einen Standpunkt vertreten, sondern fühlt sich bestätigt. Die Last der Einsamkeit ist genommen.

 

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In den USA misstrauen die Jugendlichen den Nachrichtenquellen eher. Diese grundlegend kritische Haltung ist keineswegs nur negativ. Je besser jemand über die Quelle nachdenkt und sie nicht per se schon für richtig einstuft, desto höher ist die Chance, dass diese Person sich nicht so leicht vereinnahmen lässt. (Hier der Link zu unserer Übersicht der Studien im deutschsprachigen Markt)

 

Der selbstverstärkende Effekt der Netzwerke

Dabei bestärkendie großen Plattformen diese Tendenz in der Regel, indem sie jedem die für ihn “relevanten” = “passgenauen” Informationen zuspielen. Algorithmen filtern unsere Wahrnehmung stärker als je zuvor. Relevant ist, was häufiger zur Interaktion führt und was häufiger von anderen aufgegriffen und genutzt wird. Das sind einfache Regeln, die alle Medienunternehmen, Google und Facebook, Twitter und Amazon für sich nutzen. Natürlich folgen die einzelnen Netzwerke hier unterschiedlichen Gesetzlichkeiten: Während bei Facebook der Selbstverstärkungs-Effekt extrem stark ausgeprägt ist, baut man sich bei Twitter etwa seine Filter-Bubble eher selber.

Aber alle Netzwerke begünstigen den Traffic, der zur Meinung der Nutzer passt –  weil dadurch mehr Werbung geschaltet werden kann und mehr Werbung heißt mehr Geld. Wo viele Kunden sind, ist auch mehr zu holen. Und die Qualität des Journalismus hinkt hier der Realität hinterher, denn auch der Journalist muss seine Miete bezahlen. Hier bezahlt man am Ende den Preis dafür, dass die Werbefinanzierung der Massenmedien online nach noch härteren Marktregeln erfolgt als im Papier-Journalismus.

Die Netzwerke nehmen Partei in der politischen Auseinandersetzung

Facebook und Twitter prägen den US-Wahlkampf, wie die NZZ in gewohnt nüchterner Art darlegt. Und dabei sind die großen Netzwerke parteiisch. Denn weder Algorithmen noch eine kurierende Redaktion sind neutral. Im Falle von Facebook ist die kurierende Redaktion deshalb problematisch, weil Facebook Offenheit und Transparenz suggeriert, dies jedoch nicht leistet. Die berühmten blanken Busen sind das eine, aber schon im Falle der Satire wird es ernst, bei der Löschung von Hasskommentaren sowieso.

De facto spielt das Unternehmen dadurch längst eine politische Rolle, obwohl es sich in der öffentlichen Diskussion versucht, als neutrale Plattform zu darzustellen – aber gerade weil es als Plattform so allumfassend ist, bekommt jede Lenkung des Content sofort politischen Charakter. Die Gewaltenteilung in der digitalen Sphäre muss neu gedacht werden. Denn die Netzwerke spielen eine Macht aus, die wie jede politische Macht ein Gegengewicht braucht.

Aus der Sicht von Ash müssen die Medienunternehmen hier zusammenstehen. Sie liefern den kuratierten Content, der mehr ist als das: Guter Journalismus kann ein Licht auf die Dinge, die Beweggründe, die Menschen werfen, der mit Anteilnahme und Anspruch der Wahrheit näher kommen kann. Dieses Gut unserer Kultur müssen wir pflegen, damit die Meinungsbildung nicht verkommt. Das ist bislang nicht gelungen, denn Medienunternehmen kooperieren selten.

 

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Die junge Generation liest nicht mehr? Weit gefehlt. Sie liest nur mehr online – und nähert sich von dort den Podcasts und Videos. Je jünger die Zielgruppe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auf den verschiedensten Kanälen die unterschiedlichsten Formate zum Tragen kommen (Quelle: Pew Research Center).

 

Wie kann es weitergehen?

Die Gründe für aufgeheizten Schlammschlachten und die Radikalisierung sind so vielfältig, dass es falsch ist, hierfür die digitalen Medien verantwortlich zu machen. Hunger und Diktaturen, globale Vergleichbarkeit und geweckte Sehnsüchte, Überforderung durch zu viele Informationen und Wunsch nach Sicherheit – der Ängste und Antriebe sind zu viele, um hier eine einfache Lösung zu bieten. Die Medien bedienen alle Lager, für den verantwortungsvollen Gebrauch ist nach wie vor jeder einzeln gefragt.
Die Hoffnung liegt darin, dass die wenigsten Menschen getäuscht werden wollen. Das wird Mechanismen hervorbringen, die Ashs Forderungen nach Transparenz nahe kommen. “Authentizität” (die ja, wenn es sie geben sollte, immer nur für einen Zeitpunkt möglich ist) und “Offenheit” werden sicher Vokabeln sein, die wir in Zukunft häufiger zu hören bekommen. Um sie dreht sich der Drang nach verlässlichen Informationen, die es einem ermöglichen, sein Leben besser zu führen und zu leiten.

Die digitalen Medien führen auch dazu, dass sich die Nutzer der Manipulation besser bewußt sind als früher. Denn sie können selber Informationen manipulieren. Jedes junge Mädchen weiß schnell, welche Filter sie über ihre Fotos legen muss und fällt auf die Filter der anderen nicht so schnell rein. Darin liegt die Hoffnung: in der klugen und besseren Nutzung durch viele. Die Befragungen zur Nutzung von Medien in den USA durch das Pew Research Center zeigen in diese Richtung.

Vorsicht ist auf alle Fälle angebracht. Wir erinnern an unsere Darlegung zu Kundendaten und den TED-Talk von Ekström zur Macht von Google. Am Beispiel der Bearbeitung des Fotos von Michelle Obama nach dem Wahlsieg hatte Google eingegriffen, nach Breiviks Attentat in Oslo nicht. Das bedeutet Macht und die Aufgabe, verantwortungsvoll damit umzugehen.

 

 

 

 

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.