Die digitale Schule – oder wie man aus dem Buch ein digitales Angebot macht

Die Kultusminister in Deutschland drängen auf “mehr” digitale Bildung und haben sechs Schlüsselkompetenzen formuliert, in denen sich Schüler künftig beweisen müssen. Die öffentliche Meinung fordert mehr Wissen (siehe die Beispiele der SZ oder von Spiegel online), die Lehrer sind oft überfordert, weil sie zwischen Inklusion, renitenten Eltern und Schülern, schlechter Infrastruktur und oft fehlendem Wissen selber ratlos sind. Die Eltern fordern einer Umfrage der BitKOM zu Folge mehr digitale Kompetenz (und wollen blauäugig zugleich aber auch keine Einbußen an anderer Stelle). Und die Schüler sind sowieso schneller auf WhatsApp als jede Lehrkraft, auch wenn das überhaupt nichts über die digitale Kompetenz aussagt, wie jüngstens wieder eine Studie bemängelt. Die Gemengelage ist alles andere als leicht. Aber was bedeutet sie für die digitalen Bildungsangebote?

Scratch ist eines von mehreren Beispielen für OER-Angebote, die Schülern das Programmieren beibringen. Die Oberfläche ist einfach gestaltet und fordert zum spielerischen Ausprobieren auf. Durch die einfache Benutztrlogik können Schüler sehr schnell etwas programmieren und den Erfolg sofort sehen. Digitale Kompetenz kann hier mehrfach gelernt und gelehrt werden: Das Programmieren selbst und das Verstehen von Algorithmen ist der fachlich relevante Aspekt, aber auch die Benutzerführung, der Austausch mit anderen oder das Ausprobieren und Testen sind hier wichtige Kompetenzen für die zunehmend digitalere Gesellschaft. Siehe hierzu z.B. auch das Skript von Christiane Schicke auf der “Sandbank” zum Programmieren in der Grundschule.

 

Der Schulunterricht verändert sich naturgemäß langsamer als die Gesellschaft. Bis sich Ministerien, Schulen, Lehrer und Eltern gefunden haben vergeht immer Zeit. Das ist per se nicht schlecht, denn nicht jede Mode muss gleich an den Schülern ausgelassen werden. Bei der Digitalisierung macht allen Marktteilnehmern besonders der Bruch mit dem Buch zu schaffen. Es war bisher der gelernte Modell, um Schüler zu unterrichten und die Geschäfte zwischen den Verlagen, Schulen, Lehrern und Ministerien zu regeln. Das Buch war der roten Faden im Unterricht, die Vorlage für das abzufragende Wissen und die Einheit für die Verrechnung von Leistungen zwischen Verlag und Staat. Das erodiert an verschiedenen Stellen: OERs haben schon längst den Markt erobert (wir haben schon öfter darüber berichtet) und die großen Ökosysteme locken ihre Kunden mit Bildung, ob Amazon mit Inspire oder Apple, Google oder Microsoft mit ihren jeweiligen Sonderbereichen für Lehrende und Schüler. Das bringt die Verlage unter Zugzwang und erinnert an die Situation der Loseblattanbieter vor 15 Jahren: Noch verdient man am alten Produkt, aber den Markt gestaltet man damit schon lange nicht mehr. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Die einen ändern sich radikal (Bsp. Haufe) und wachsen überdurchschnittlich, andere bleiben in der Nische und optimieren dort kleinteilig. Und je nach Nische kann das gut oder weniger gut ausgehen.

lehrer-online wurde mit Mitteln vom BMBF aufgebaut und bietet seit 17 Jahren Online-Materialien für die Gestaltung des Unterrichts. Im Hintergrund steht die Eduversum GmbH. Die Plattform ist mehr als ein Buch und doch in die Jahre gekommen, was man nicht nur bei der Bedienung erkennt. Zwar kann man Teile einzeln herunterladen, aber sie bieten noch keine Zugewinn in der Wissensvermittlung. Im Vergleich zu scratch liegt der Kern der Wertschöpfung im Content, aber noch nicht im neuen Zusammenspiel von Content und digitalem Tool.

Zahlreiche Plattformen versuchen sich an einem neuen Geschäftsmodell: learnattack will ganz gezielt die Vorbereitung auf Prüfungen unterstützen. Die Online-Nachhilfe folgt dem klassischen Motto von Klett, “verstehen, üben, prüfen”. Multimedial, jederzeit verfügbar und über digitale Kanäle wie Laptop und Smartphone nutzbar, soll der Schüler besser werden. Sogar WhatsApp wurde integriert, um die Schüler dort anzusprechen, wo sie sind. Ähnliches bieten Westermann mit kapiert.de, FINALE online oder dem Prüfungsportal an oder eDidact (Olzog bzw. Mediengruppe Oberfranken), arbeitsblätter online (Bergmoser&Höller), skook (Cornelsen), die BiBox und  learnscape (Westermann).

Folgt man dem SAMR-Modell von Puentedura, so sind das vielfach noch 1:1-Übertragungen der Angebote aus der gedruckten Welt in die digitale – mit dem Unterschied, dass man jetzt Einzelteile erhält. Das dürfte in vielen Fällen für die Suche nach einer schnellen, unkomplizierten Lösung reichen. Aber es wird mit Sicherheit nicht dem Anspruch der Kultusminister gerecht, digitale Kompetenzen zu fördern. Denn diese fordern zu Recht ein Einüben und Ausprobieren mit digitalen Tools für gleich sechs Schlüsselkompetenzen:

  1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
  2. Kommunizieren und Kooperieren
  3. Produzieren und Präsentieren
  4. Schützen und sicher Agieren
  5. Problemlösen und Handeln
  6. Analysieren und Reflektieren

Und das heißt, dass völlig andere didaktische Konzepte nötig sind. Denn schon ein Blick auf die Kompetenzen zeigt, dass Content alleine nicht ausreicht. Er muss erfahrbar werden, in digitale Werkzeuge eingebettet. Und die Erfahrung lehrt, dass Inhalte aus gedruckten Werken bei einer Überführung in die digitale Welt fast immer angepasst werden müssen. Das trifft sogar in überschauberem Maße auf die Belletristik zu. Es wird jetzt viel davon abhängen, wie die jeweiligen Bundesländer diese Vorsätze auch nachhaltig einfordern. Dazu bedarf es schon vorab viel digitaler Kompetenz auf beiden Seiten. Denn nicht nur der produzierende Medienanbieter muss liefern, auch der approbierende Staat muss richtig beurteilen können.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.