App-Entwicklung: Nativ, Web oder Hybrid? Teil 2: Web- und Hybrid-Apps

Im ersten Teil unserer Artikelserie zur App-Entwicklung haben wir vor allem die Umsetzung nativer Apps betrachtet. Oft muss dieser Ansatz bei aufwändigen Produktkonzepten gewählt werden, obwohl er durchaus seine Nachteile für Vertrieb und Projekt-Kosten hat. Mit Web-Apps und hybriden Ansätzen stehen jedoch Entwicklungspfade zur Verfügung, die für leichtgewichtige Projekte viele Vorteile mitbringen. Im zweiten Teil unserer Artikelserie geben wir deswegen einen Überblick über die Alternativen zur nativen Entwicklung:

Web-Apps – die App als “Bürger erster Klasse” im Netz

Gegenüber den nativen Apps verwenden Web-Apps als Entwicklungspfad nahezu in jeder Hinsicht entgegengesetzte Konzepte: Technisch gesehen sind Web-Apps eigentlich gar keine Apps, sondern “nur” responsive, mobil optimierte Websites. Der Nutzer installiert dabei keine eigenständige Anwendung, sondern ruft die App über den System-Browser unter einer URL auf. Unter iOS und Android lässt sich eine Web-App auch als Bookmark mit einem Icon auf dem Homescreen platzieren und aufrufen, Android behandelt Web-Apps und native Apps auch in vielen Systemfunktionen mittlerweile fast identisch. Bei der Programmierung werden in der Regel Konzepte, Systeme und Sprachen aus der Webentwicklung verwendet und die App mit ihren Funktionen serverseitig zur Verfügung gestellt. Der Entwickler ist dabei sehr viel flexibler und kann oft einfachere Verfahren nutzen – es ist aber kein hoher Optimierungsgrad für bestimmte Betriebssysteme möglich.

Die technische Umsetzung von Web-Apps:

  • Die Umsetzung kann rein mit modernen Webtechnologien erfolgen, oft kann dabei auf vorhandenes Knowhow, bestehende CMS-Umgebungen oder ohnehin vorhandene Server-Applikationen zurückgegriffen werden. Dazu sind gute Web-Entwickler in größerer Zahl verfügbar und damit sinkt in der Regel auch das Projekt-Budget.
  • In der App sind keine Funktionen möglich, die nur in den Betriebssystem-Bibliotheken von iOS oder Android verankert sind. Für die Nutzung von Geräte-Hardware ist die Situation mittlerweile um einiges besser geworden, da inzwischen einige APIs auch im Browser nutzbar sind, die noch vor wenigen Jahren nativen Apps vorbehalten waren. Bei der Bewertung dieses Themas ist jedoch immer noch große Vorsicht geboten, wenn die Nutzerfunktionalität zentral davon abhängig ist.
  • Für eine Web-App ist meist eine Online-Verbindung notwendig; Offline-Funktionalität ist meist nur eingeschränkt und mit oft problematischer Usability realisierbar. Abhilfe versprechen hier in jüngster Zeit die sog. “Progressive Web Apps” – ein Design-Konzept, das sich aber meines Erachtens erst noch in der Breite am Markt bewähren muss.
  • Im Ausgleich zur eher problematischen Offline-Nutzung steht der Content einer Web-App offen im Netz zur Verfügung, wenn das vom Anbieter gewünscht ist: Suchmaschinen-Indexierung und SEO müssen nicht eigens implementiert werden, der Übergang in soziale Netzwerke ist unproblematisch.
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Web-Apps im Überblick: Statt in einer selbständig lauffähigen App wird die Applikation im Mobil-Browser ausgeführt, sowohl User Interface als auch die zugrundeliegende Business-Logik wird mit Web-Technologien umgesetzt.

 

Vertriebliche Implikationen von Web-Apps

  • Der Vertrieb (und damit auch jede Monetarisierung) ist über eigene Web-Plattformen unter der Hoheit des App-Anbieters möglich – muss aber auch zwingend darüber erfolgen. Web-Apps können nicht über App-Stores vertrieben werden.
  • Der direkte Kundenkontakt und damit auch die Kundendaten bleiben ebenfalls in der Hoheit des App-Anbieters. Umgekehrt gibt es aber auch keinerlei Unterstützung im Vertrieb durch die großen Ökosysteme.
  • Auch B2B-Vertriebsmodelle sind nach eigenem Ermessen umsetzbar, aber wie bei jedem Direktvertrieb gilt: Man kann zwar alles in eigener Regie bestimmen – muss aber auch alles selber machen.

 

Das Beispiel Forecast.io: Die Wetter-App wird unter einer URL kostenlos im Netz zur Verfügung gestellt, muss sich in Bezug auf Design und Usability aber nicht hinter nativen Apps verstecken – sie ist kaum von einer iOS-App zu unterscheiden. Bei Ablage eines Links auf dem Homescreen des Mobilgerätes merkt der User in der Regel nicht einmal, dass er im Hintergrund “nur” einen Link aufruft – außer es ist gerade keine Online-Verbindung vorhanden. (Quelle/Copyright: forecast.io)

 

Was spricht für den Einsatz von Web-Apps?

Web-Apps bieten sich damit als Umsetzungsweg an, wenn folgendes Anforderungsprofil gegeben ist:

  • Vertrieb über die großen App-Stores ist nicht notwendig bzw. nicht gewünscht – für die Monetarisierung muss dafür aber beim Anbieter eine eigene eCommerce-Infrastruktur zur Verfügung stehen.
  • Der Nutzen der App liegt vor allem im darin enthaltenen Content, die App dient ausschließlich Marketing/Promotion oder erfüllt eine ähnliche Funktion wie eine Landingpage im Netz – Sichtbarkeit im Netz und SEO-Effekte haben eine kritische Bedeutung für das App-Modell.
  • Den direkten Kundenkontakt oder die Kundendaten unter eigener Hoheit zu haben ist kritisch für das Geschäftsmodell des Produktes.
  • In einer contentorientierten App sind zusätzlich häufige Aktualisierungen von Content, intensive Anbieter/Nutzer-Kommunikation oder dauernde Client-/Server-Interaktion notwendig.
  • Die funktionalen Anforderungen sind dagegen so niedrig, dass eine Implementierung auch ausschließlich auf Basis moderner Web-Technologien möglich ist. Die Offline-Nutzung spielt keine oder nur eine untergeordnete Rolle.

Insgesamt ist für viele contentbasierte Angebote die Sichtbarkeit im Netz ein zentraler, erfolgskritischer Faktor. Und Content, der in proprietären App-Silos eingesperrt ist, ist für Sichtbarkeit eher ein Nachteil als ein Vorteil. Zumal inzwischen erwiesen ist, dass auch moderne Technologien wie App-Indexing zur Suchmaschinen-Erfassung von In-App-Content dazu nur sehr bedingt beitragen, wie eine aktuelle Fallstudie des Smashing Magazine zeigt. Gut auf den Punkt gebracht hat diesen Effekt z.B. der t3n-Artikel “Deshalb braucht dein Kunde eine responsive Website, aber keine App” von Ende letzten Jahres.

Beispiel KanbanFlow: Die leichtgewichtige Kanban-Board-App ist als responsive Web-Applikation gestaltet und erweist sich auf allen getesteten Geräten als exzellent mobil optimiert. Eine einfacher Einsteiger-Version ist kostenlos, für größere Teams und komplexere Funktionen wird ein Abo-Modell über die eigene eCommerce-Präsenz angeboten – ein Paradebeispiel für das Freemium-Modell. (Quelle/Copyright: kanbanflow.com)

 

Hybrid-Apps: das Beste aus beiden Welten?

Das Modell der Hybrid-App versucht, die Optimierungs-Vorteile der nativen Apps mit der Flexibilität und Offenheit von Web-Apps zu verbinden und so das Beste aus beiden Welten zu bieten. Eine Hybrid-App wird dafür quasi in zwei Schichten entwickelt: Der Nutzer erhält eine “echte” lauffähige Anwendung für iOS oder Android, die im Betriebssystem ausgeführt wird – damit wird der Vertrieb über die App-Stores möglich und auch Betriebssystem-Schnittstellen können genutzt werden. Content und Business-Logik ist aber zu wesentlichen Teilen in Webtechnologien entwickelt und kann über die Systemgrenzen hinweg identisch eingesetzt werden; die App nutzt dafür ein intern eingebettetes Browser-Fenster, in dem die Applikation zu großen Teilen arbeitet.

Die technische Umsetzung von Hybrid-Apps

  • Hybrid-Apps werden immer sowohl mit Web-Technologien als auch nativen Code-Anteilen entwickelt; dieser Vorteil ist umso größer, je höher der Content- und Web-Anteil des Projektes ist, denn dieser Anteil ist ohne nochmalige Programmierung unter mehreren Betriebssystemen nutzbar. Hybrid-Apps sind damit in der Regel schneller und günstiger realisierbar.
  • Der Nachteil an diesem Ansatz ist allerdings, dass die beteiligten Entwickler auch fit in zwei unterschiedlichen Technologien sein müssen. Dazu bewegt man sich immer in der technischen Abhängigkeit von zwei verschiedenen Komponenten: sowohl Browser als auch Betriebssysteme haben ihre eigenen Versionszyklen, die beachtet werden wollen.
  • Hybride Apps tun sich tendenziell etwas schwerer mit optimierter Usability und Performance als native Apps, auch wenn dieser Faktor durch die Entwicklung der Frameworks für eine hybride Entwicklung an Bedeutung verloren hat. Dafür sind die Anbieter/Nutzer-Interaktion und integrierte Client/Server-Kommunikation tendenziell etwas leichter realisierbar als mit rein nativen Apps.
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Das 2-Schicht-Modell von hybriden Apps: Der Nutzer installiert eine native “Container-App” aus dem App-Store, während große Teile von User Interface und Business-Logik mit Web-Technologien implementiert sind.

 

Hybrid-Apps werden wie native Apps über die großen App-Stores vertrieben – haben dabei aber den Vorteil, dass direkter Kundenkontakt und B2B-Modelle etwas leichter realisierbar sind.

Was spricht für den Einsatz von Hybrid-Apps?

Hybrid-Apps bieten sich also für folgende Anforderungen an:

  • Alle Apps, die das „Beste aus beiden Welten“ benötigen, d.h. sowohl die Funktionstiefe von nativen Apps besitzen, als auch einen wesentlichen Content-Anteil haben und die Flexibilität bzw. Offenheit von Web-Apps nutzen müssen.
  • Die App beinhaltet einen hohen Anteil von Web-Content oder von Ressourcen, die oft aktualisiert und über Web-Server/CMS-Systeme ausgeliefert werden müssen.
  • Im Interaktionsmodell der App sind Schnittstellen zu Web-Datenbanken, anderen Web-Applikationen oder Drittanbieter-Lösungen von zentraler Bedeutung für den Kunden-Nutzen.
  • Die Verwendung von eigenen Kundendaten oder Schnittstellen zu eigenen CRM-Anwendungen sind notwendig, um geschäftskritische Funktionen zu realisieren.

Ein wesentlicher Teil der mobilen Web-Nutzung findet übrigens mittlerweile in eingebettenen Browser-Fenstern von Hybrid-Apps statt: Im Artikel “Browsers, not apps, are the future of mobile” wird eine große Zahl von Fallbeispielen genannt, bei denen der User fließend zwischen nativer Funktion und In-App-Browser wechselt und dies in der Regel kaum oder gar nicht bemerkt. Und im Mobile Overview Report des Analytics-Anbieters scientiamobile wird herausgearbeitet, dass der Zugriff der Facebook-Apps auf Web-Links über den eingebauten In-App-Browser einen ganz wesentlichen Anteil am gesamten Mobile-Traffic hat: Grund genug, sich dieses Modell bei einem App-Projekt gut anzusehen.

Der RSS-Feedreader “Feedly” als typisches Beispiel für eine Hybrid-Anwendung: Die Agreggierung und Auswertung von RSS-Feeds aus einem Nutzerkonto erfolgt in einer nativen Schicht – bei Anzeige eines Artikels aus dem Feed wechselt der Nutzer in einen integrierten In-App-Browser. (Quelle/Copyright: feedly.com)

Sie wollen mehr wissen?

Lesen Sie bei Interesse gerne auch den ersten Teil unseres Artikels zur Entwicklung nativer Apps – unsere Artikelserie wird in den nächsten Wochen hier fortgesetzt. Wenn Sie Bedarf an weiterem Knowhow für Ihre App-Projekte haben, sehen Sie sich gerne unsere Seminare im Programm der Akademie der deutschen Medien und bei der XML-Schule an, z.B. im Mai 2017 zum Thema “Web oder App? Digitale Content-Produkte entwickeln und umsetzen”. Daneben stehen wir Ihnen natürlich für Projektberatung, Workshops und Inhouse-Seminaren zur Verfügung – kommen Sie dazu gerne jederzeit auf uns zu!

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.