Strange Digit – Der eklektische Jahresrückblick

Gerade puhle ich die letzten Nikolaus-Nüsse aus der Schale, da fällt mir siedend heiß ein, dass der Jahresrückblick noch nicht geschrieben ist. Große Medien machen daraus ja ein Spektakel, ich trage mein Scherflein durch ein kleines, subjektiv geprägtes Stück bei. Aus Gründen der Gerechtigkeit ist es all jenen Lesern gewidmet, die uns, den Autoren von smart digits, im Geiste zurufen: Jetzt lasst es mal gut sein mit eurem In-die-digitale-Zukunft-Blicken. Wir fanden sie schön, die gute alte Zeit! Als ein Buch noch ein Buch war und nicht auf so verwirrende Weise als „elektronische Druckvorlage“ (Michael Krüger) durch die Konsumwelt geisterte.

Die Botschaft ist angekommen: Wir schreiben über das Gute, das noch nicht verschwunden ist. Sowieso sollte man dieses Feld nicht Manufactum überlassen. Dort ist alles Mögliche gut, nur weil es noch da, wieder da oder immer noch da ist. Ein Label-Automatismus, dem ich schon KT’s wegen widersprechen muss, auch wenn er sich kürzlich in einem Buch hat gutinterviewen lassen. So gut, dass er als Talent in Brüssel anheuern darf.

Was gab es 2011 – noch? Ich fange mal weiter hinten im Alphabet an.

Straßenatlas Deutschland, Österreich, Schweiz, Europa: Früher haben Männer darin geblättert, die nicht nach dem Weg fragen wollten. Heute wirft er sich verzweifelt in den Kampf gegen die elektronische Konkurrenz. Seine Waffen sind veraltet: Größe, Gewicht, Spiralbindung. Ich habe ihm Treue versprochen, bis dass die Zerfledderung uns scheidet. Denn als Beifahrerin überträgt er mir eine wegweisende Funktion. Ein Navi degradiert mich zur Stewardess, die die Getränke reicht.

Vinyl: Das können nicht nur DJs gewesen sein: Der Bundesverband der Musikindustrie vermeldet für 2011 über 1,65 Millionen verkaufte Schallplatten – so viel wie die letzten 17 Jahre nicht. Platten sollten vom Arzt verordnet werden, denn ihre 33 Umdrehungen pro Minute tragen wohltuend zur Entschleunigung des Lebens bei. Dass sich ausgerechnet Sebastian Vettel als Vinylliebhaber outet, zeigt mir, wie paradox das Leben oft ist.

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Wolle: Wolle erlebt eine Renaissance, seit der Weltweite Tag des öffentlichen Strickens erfunden wurde. Eine 22-jährige (!) Amerikanerin wollte Strickbegeisterte dazu ermutigen, ihrem Hobby ungeniert nachzugehen. Leider ist Wolle sagenhaft teuer geworden. Das liegt sicher daran, dass Stricken jetzt „Yoga für die Finger“ heißt und von der ZEIT geadelt wurde als Weg, um dem Internet zu entrinnen. Zudem hat Magdalena Neuner ihre Finger im Spiel. Lieber Strickikone als Sportskanone, wird sie sich gedacht haben, weil wenn es in den Alpen überhaupt nicht mehr schneit, kann ich mir die Trainerstelle abschminken. Fragt sich nur, wer all die Mützen, Handschuhe und Schals dann noch braucht.

Yahoo: Weil Yahoo von einer Renaissance so weit entfernt ist wie KT von einer selbstgestrickten Dissertation, schreibe ich über etwas anderes mit Y. Das Yak. Ich mache es kurz und rufe zur Rettung des wilden Grunzochsen auf. Gleichzeitig bedanke ich mich bei Alfons Kohl aus Taufkirchen und Alexander Appel aus Schotten-Eschenrod für ihr Engagement auf dem Gebiet der deutschem Hausyak-Zucht.

Zeitungszusteller: Vergessen Sie bitte nicht, Ihrem Zeitungsausträger rechtzeitig vor den Feiertagen einen Umschlag zuzustecken. Und bestellen Sie um Gottes Willen die Papierausgabe im nächsten Jahr nicht ab.

Wir wünschen unseren Lesern Frohe Weihnachten. Und uns allen, dass das gedruckte Buch nicht verschwinden möge. Falls es doch so weit kommen sollte, dann sind wir sicher: Es wird auferstehen. Hoffen wir nur, dass unsere Nachfahren ihre Lieblingsautoren nicht für teures Geld bei Manufactum kaufen müssen.

Noch gute Vorsätze für 2012 gesucht? Der ZEIT-Artikel über Wege aus dem Internet ist zwar schon im Januar 2011 erschienen, doch die Vorschläge sind so zeitlos wie alle Neujahrsvorsätze.