Publishing ist nicht tot. So sehr die Diskussionen wie “digitale Medien vs. Print” oder “Zeitungen vs. Google” von den Protagonisten gerne dramaturgisch zugespitzt werden: Die Frage, ob analoge Medien überholt sind, hat so niemand gestellt. Und sie mit Verve zu verneinen, bringt niemanden weiter bei der Entwicklung von zukunftsfähigen Konzepten. Umso lieber lesen wir, wenn Publishing-Profis sich tiefgehende Gedanken darüber machen, wohin die Reise gehen kann. Für das Mobile-Publishing-Update Juni 2014 fanden wir besonders bemerkenswert:
Das richtige Produkt entwickeln
Dass die Feststellung “The Publishing Industry isn’t dead” ausgerechnet vom Webdesign-Portal The Next Web als Schlagzeile benutzt wird, hat natürlich schon wieder seine eigene Ironie. Aber die Wege, die in diesem Artikel vorgeschlagen werden, um die Stärken des traditionellen Publizierens auch im Netz auszuspielen, sind überdenkenswert. Ebenfalls von erfahrenen Webdesignern kommt mit “Content isn’t king, content is a product” der Gedanke, die eigenen Inhalte unabhängig vom “Transportcontainer” bereits als Produkt zu sehen. Und auch so zu entwickeln.
Direkt aus der Praxis kommt dagegen ein Artikel des Guardian, der, ausgehend von Geschäftsmodell und Zielgruppenansprache über die Content-Analyse bis zum konkreten Mediendesign, wie die Zeitung die Gestaltung für ihre Digitalmedien im Web, auf ihrer Homepage und für Tablets/Smartphones entwickelt hat. Interessierte finden hier eine ausführliche Fallstudie für Content-Präsentation auf hohem Niveau.
Grundsätzlicher dagegen geht das Thema Frank Chimero an: In “Designing in the Borderlands” stellt hier ein langjährig erfahrener Designer, Typograph und Mediengestalter auf kluge und bedachte Weise seine Überlegungen darüber dar, wie medienübergreifendes Design unter den Bedingungen von Digitalmedien funktionieren kann. Und auch hier bleiben die Überlegungen nicht pure Theorie. Mit “The Shape of Design” ist eine zum Buch ausgearbeitete Fassung des Textes parallel als Print-Buch, eBook und Online-Veröffentlichung erschienen und kann als exzellenter Showcase für digitale Produktgestaltung gelten.
So entwickelt sich der Markt
Der eBook-Markt: Ist Deutschland inzwischen “in Digitalien angekommen”? Oder muss man von zaghafter Marktentwicklung oder gar “Trendwende” sprechen, wie der Börsenverein seine jüngste eBook-Studie kommentiert? Wir glauben: Der Trend zum eBook ist klar erkennbar. Und er wird auch nicht wieder weggehen. Wie sich die Zahlen aber in den einzelnen Segmenten genau entwickeln, kann nur ein differenzierter Überblick über die verschiedensten Studien zeigen. Und je mehr Quellen man dazu zur Verfügung hat, umso besser – auch und gerade aus neuen Marktbereichen, wie z.B. die höchst interessante Selfpublishing-Studie von Matthias Matting.
Der App-Markt: Im Bereich Mobile Apps setzen sich die Oligopol-Trends weiter fort – neben iOS und Android als den Giganten im Markt haben andere Player kaum eine Chance. Nach wie vor verteilen sich die Möglichkeiten für Content- und App-Anbieter in den großen Ökosystemen dabei höchst unterschiedlich: Obwohl Google mit Android als Mobilbetriebssystem in Deutschland mittlerweile bei 80% Marktanteil angekommen ist, machen iOS-Apps doch deutlich mehr Umsatz. Auch wenn der Android-Anteil etwas zugenommen hat, bleibt iOS die dominante Umsatzquelle. Dazu kommt, dass in beiden Ökosystemen der wesentliche Teil der Umsätze mit In-App-Käufen in Freemium-Apps gemacht wird – ein Grund mehr für Content-Anbieter, sich dieses Modell genau anzusehen.
Nach 6 Jahren Existenz bekommt der iOS-App-Store also erheblichen Gegenwind – auch und vor allem in Märkten außerhalb der USA und Europas. Bei netzwertig.com findet sich dazu eine interessante Analyse, wie Apple mit iOS 8 eben nicht nur versucht, neue Funktionen zu integrieren, sondern im Hintergrund auch die Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen vorzubereiten. Eine zentrale Rolle dabei werden die Technologien rund um das Smart Home spielen, die wir auch bei unserer Analyse der wearables und embeddables beschrieben haben.
Ebenfalls bei netzwertig.com wird eine spannende Studie von Nielsen kommentiert, die das Aufmerksamkeitsproblem in der Mobilwelt adressiert: Tendenziell verbringen Nutzer zwar mehr Zeit mit Apps, aber die verwendeten Apps werden dabei eher weniger. Fokussierung auf den Kundennutzen und die Aggregierung der eigenen Inhalte in Fremdanwendungen können Antworten sein, mit denen sich Content-Anbieter immer mehr beschäftigen müssen, um in Zukunft noch Sichtbarkeit zu erreichen.
Wer daneben noch einen Blick auf Trends und die weltweite Entwicklung im Mobil-Bereich werfen will, dem empfehlen wir die Studie “Mobile Megatrends 2014” – neben dem Download bei visionmobile.com hier auch per Slideshare eingebunden:
eReader vs. Tablets/Smartphones: Sind eReader ein nachhaltiges Produktmodell? Oder doch nur eine Brückentechnologie? Zwischen dieses Polen bewegt sich die Diskussion um die dedizierten eBook-Geräte schon seit längerer Zeit. Erneut angefacht wurde die Debatte jüngst durch den Artikel “Why E-Readers Are the Next iPods” bei Mashable. Obwohl die hier zitierten Marktzahlen nicht von der Hand zu weisen sind, bemerkt Nate Hoffelder auf The Digital Reader zu Recht, dass es in diesem Bereich noch zu früh für Grabgesänge ist. Auch Johannes Haupt auf lesen.net können wir nur zustimmen: eReader als Geschäftsmodell jetzt schon zu beerdigen wäre fatal und würde eine Umsatzquelle schließen, die Verlage und Content-Anbieter gerade jetzt dringend brauchen können. Wir meinen: bei der Frage eReader oder Tablet/Smartphone kann es für eBook-Anbieter momentan nur ein klares “sowohl als auch” als Antwort geben.
Die Technologien zur Umsetzung
iOS, Android und Creative Cloud: Viel diskutiert wurden in den letzten Wochen die vielen Neuerung, die Google auf der I/O für die aktuelle Android-Generation angekündigt hat. Alles wichtige dazu zeigt Wired in seinem Kommentar zur I/O-Keynote. Besonders spannend erscheint uns dabei, wie der Konzern versucht, die Grenze zwischen nativen Apps und Web-Apps aufzuheben. Eine gute Zusammenfassung über alle relevanten Neuerungen in iOS 8 kann man dagegen bei ZDNet nachlesen. Und als dritter im Bunde hat Adobe aktuell mit der Creative Cloud 2014 die jüngste Generation seiner Produktionstools vorgestellt – bei CNET findet sich eine kompakte Übersicht dazu.
eBook-Umsetzung: Während die Erstellung von einfachen, Text-orientierten eBooks in Belletristik und Genre-Literatur mittlerweile mit vielen Werkzeugen effizient möglich ist und fast schon zum Standard-Repertoire der entsprechenden Verlage gehören sollte, sieht das für viele spezialisiertere Produkttypen noch anders aus: Am Beispiel des Kinderbuch-Bereichs zeigt die neu gegründete Webplattform wasmitebooks.de, wie viel sich hier bereits getan hat – aber auch, wie viel noch zu tun ist, wenn man einmal über das iPad als Plattform heraus produzieren will. Martin Kraetke von le-tex beschreibt in seinem ebenso ausführlichen wie lesenswerten Artikel “EPUB ist das neue PDF” die Herausforderungen bei der eBook-Produktion für Wissenschaftsverlage.
Bei dpc-consulting.de zeigen wir daneben, wie der Stand bei der Erstellung von enhanced eBooks mit EPUB3 Mitte 2014 ist, und welche Hindernisse hier noch zu nehmen sind. Der stets lesenswerte Sanders Kleinfeld von O’Reilly zeigt auf Medium Optimismus und beschreibt auf übergeordneter, technologiestrategischer Ebene, warum eBooks seiner Meinung nach einen goldene Zukunft vor sich haben – ein wohltuender Blickwinkel für jeden, der sich sonst im Produktionsalltag mit den vielen kleinen Stolpersteinen des digitalen Lesens beschäftigen muss.
Dieses Produkt will der Kunde
Überraschende Erkenntnisse durch Big Data: Dass zwischen dem Kauf eines Produktes und seiner Nutzung ein riesiger Unterschied besteht, weiß jeder Verlag, der nach der Publikation von Online-Datenbanken die ersten Nutzerstatistiken ausgewertet hat. Wie dieser Effekt im Buchbereich aussehen kann, beschreibt das Wall Street Journal: Anhand der Amazon-Funktion “Popular highlights” wurde hier ausgewertet, welche eBooks zwar gekauft, aber von der Lesermehrheit nie zuEnde gelesen wurden. Der Titel mit dem höchsten “Hawking Index” gewinnt hier also sozusagen die goldene Himbeere – und der Verlag lernt, welches Produkt der Kunde eben nicht will. Dass diese Methode der Auswertung natürlich noch in den Kinderschuhen steckt, das zeigen auch erste Reaktionen von Lesern, wie bspw. hier bei der FAZ. Ebenso lesenswert ist die vom Pew Research Center vorgelegte Studie, die das Nutzerverhalten im Internet von älteren Menschen untersucht.
So erreiche ich den Kunden
Firefly und kein Ende: Bereits vor einigen Wochen hat Amazon mit dem Fire Phone den Smartphone-Markt betreten. Eine der bemerkenswertesten neuen Funktionen dabei ist dabei Firefly – eine App, die per Kamera versucht, alle Objekte in der Umwelt zu erkennen, die sich bei Amazon kaufen lassen. Mobile Zeitgeist beschreibt dazu ausführlich, wie solche und ähnliche Funktionen den eCommerce verändern werden. Und auch Joe Wikert kommentiert die Bedeutung des “one click buy” in der realen Welt.
Wir wünschen wie immer eine anregende Lektüre!