Warum “content” nicht “Inhalt” ist und “social” nicht “sozial”

Zwei Mythen verstellen heimlich den Blick auf die Schönheit dessen, was wir mit gelungenem Content Management an Mehrwert eigentlich bieten könnten: „content=Inhalt“ und „social=sozial“.
Es ist an der Zeit, mit diesen Mythen aufzuhören.
Denn die sich immer höher aufbäumende Informationsflut und der Anspruch der Nutzer an die User Experience durch den täglichen Umgang mit Systemen wie Google und Facebook erfordern eine neue Informationsarchitektur – und damit ein anderes Verständnis.

Mythos 1: Content = Inhalt

Manche Übersetzungen sind verlockend – und dennoch falsch. So zum Beispiel, wenn „Content“ im Rahmen von Content Management mit „Inhalt“ übersetzt wird. So naheliegend diese Übersetzung auch ist: Beim Content Management ist Content stets eine mediale Repräsentation (Text, Bild etc.), letztlich eine physische Manifestation, Daten auf einem Datenträger, an dem man Sacheigentum haben kann, während sich „Inhalt“ auf Bedeutung, Sinn und Zweck bezieht und insofern lediglich Gegenstand „geistigen“ Eigentums sein kann, z.B. in Form von Geschichten, Ideen oder Rechten hieran. Content (materiell) und Inhalt (ideell) sind insofern ihrem Wesen nach grundverschieden.

Eine Informationsarchitektur für Content ist umso besser, je ähnlicher ihre Struktur dem Inhalt ist, den sie zu verwalten anstrebt. Anders ausgedrückt: Datenmodell und abzubildende „Realität“ sollten einander möglichst weitgehend entsprechen. Das klingt trivial, wird in den meisten Systemen aber eher halbherzig umgesetzt, mit der Folge, dass Content durch Container isoliert ist und nicht Gegenstand von Management, also auch nicht von Nutzer-Interaktion sein kann.

Mythos 2: social = sozial

Ein weiterer folgenreicher Übersetzungsfehler bietet sich beim Begriff „Social Media“ geradezu an. Wer hier „social“ mit „sozial“ im althergebrachten Sinn übersetzt, verkennt die eigentliche Bedeutung dieses Ausdrucks. „Sozial“ ist so alt wie die Menschheit, selbst Adam und Eva waren schon zu zweit. Um sozial im Sinne von gemeinschaftlich kann es bei Social Media also nicht gehen. Selbst maschinelle Übersetzungen wie Google Translate oder Linguee lassen „Social Media“ daher unangetastet, d.h. unübersetzt. Social Media setzt als verhältnismäßig neue Mitmach-Bewegung vielmehr voraus, dass

  1. die Rezeption oder Erstellung öffentlich stattfindet, wobei „öffentlich“ weltweit oder innerhalb einer Firma oder Gruppe bedeuten kann;
  2. die Teilnehmer vielfältige und erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten haben.

Kurz gesagt: Öffentliche Interaktion.

Phänomene wie „Social Reading“ oder „Social Writing“ meinen gerade nicht die seit Jahrhunderten gelebte soziale Praxis, dass man sich über Gelesenes austauscht oder kollaborativ an einem Schriftstück arbeitet. Reading wird vielmehr erst dann „social“, wenn die Information, wer was wann liest, sowie die Interaktionen der Leser (z.B. Markierungen, Kommentare) innerhalb einer Gruppe einsehbar sind und die Leser prinzipiell die Möglichkeit der Teilhabe haben, z.B. durch Diskussion. Writing wird dementsprechend erst „social“, wenn der Schreibprozess öffentlich stattfindet und nicht nur die designierten Autoren, sondern auch Leser oder sonstige Beteiligte aktiv am Schreibprozess teilhaben, z.B. durch Vorschlags- oder Schreibrechte.

Mit „sozial“ im herkömmlichen Sinn hat das dem Anspruch nach nichts zu tun. Es handelt sich bei „social“ vielmehr um die formale Beschreibung einer bestimmten Art der Kommunikations-Infrastruktur. „Social“ ist also keine (statische) Content-Qualität, sondern eine (dynamische) Prozess-Qualität. Hierfür sind viele Systeme nicht vorbereitet.

 

Veröffentlicht von

www.paux.de

Michael Dreusicke, Geschäftsführer der PAUX Technologies GmbH. Das Berliner Unternehmen entwickelt Technologien für semantisch angereichertes Content Management, Social Media Integration und E-Learning-Lösungen für Verlage, Behörden und Unternehmen. Kunden sind z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, die DekaBank, das Juristische Repetitorium Hemmer sowie das Bundesministerium für Bildung und Forschung.