Mobile Publishing: 10 Trends zur Frankfurter Buchmesse 2015

Zur Frankfurter Buchmesse gehört eine Trend-Schau. Natürlich spielen die Bücher die Hauptrolle. Aber die Zukunft verlangt nach einem Blick auf die digitale Welt. Für einen Vortrag bei unserem Partner SilkCode hat jeder von uns (Fabian Kern und Harald Henzler) fünf Trends ausgewählt – die aus unserer Sicht zentralen Entwicklungen im mobilen Publizieren für 2015. Wir möchten Ihnen die Erkenntnisse in Form eines Artikels nicht vorenthalten, denn die Trends gehören nicht nur auf die Messe – sondern ins alltägliche Arbeiten mit den digitalen Medien:

1.  Apps, Apps, Apps

Im deutschsprachigen Raum gibt es mittlerweile 1.000.000.000 Apps. Ziemlich viele. Und die werden immer mehr. Denn die Kunden verbringen immer mehr Zeit mit ihrem Smartphone. Und sie verbringen auch immer mehr Zeit mit Apps. Aber:  The winner takes it all. So lautet der Wehrmutstropfen. Denn neben den sozialen Netzwerken, Messenger-Diensten und Newsportalen bleiben nicht viele Apps. Und nur die wichtigsten werden regelmäßig genutzt. Da heißt es dran bleiben, am App-Marketing (wie seit Jahren eben).

 

chartoftheday_3835_top_10_app_usage_n

Die App-Nutzung nimmt zwar insgesamt zu, aber verdichtet sich auch bei Intensiv-Nutzern stark auf die Top 10 der persönlichen Favoriten-Apps. Wer langfristig in der Nutzung bleiben will, muss dafür hart arbeiten. (Quelle/Copyright: www.statista.com)

 

2. eBooks sind out, wirklich?

Ein Artikel der New York Times hat die Diskussion wieder angefacht: Legt man die Zahlen der AAP zugrunde, schrumpft der eBook-Markt in den USA. Wie ist diese Aussage zu bewerten? Spricht man mit amerikanischen Verlegern, wird die Entwicklung sehr viel gelassener gesehen. Zum einen haben alle großen Verlage in letzter Zeit neue Agency-Verträge abgeschlossen und dabei z.T. sehr ordentlich die Preise erhöht – mit natürlichen Folgen für den Absatz in Stückzahlen. Zum zweiten ist inzwischen die Zahl der Selfpublising-Titel im Markt so sehr angestiegen, dass der Marktanteil der AAP-Verlage einfach nicht mehr repräsentativ für den Gesamtmarkt ist – wie immer wieder in Hugh Howeys “Author Earnings”-Report nachzulesen ist.

Zu guter Letzt boomen in den USA Vertriebs- und Rezeptionsformen wie Abomodelle und Flatrates, Bibliotheken-Onleihe, Content-Lizensierung an Großkunden, Marketing-Partner, Airlines, Kaffee-Ketten etc., die mit den aus dem Buchmarkt gewohnten Stückzahlen-Verkaufs-Statistiken einfach nicht mehr sinnvoll erfassbar sind. Dies alles sollte jedoch nicht zu dem Schluss verleiten, dass das digitale Lesen zurückgeht – ganz im Gegenteil, alle diese Trends sind auch in Deutschland wirksam und zeigen, dass das digitale Lesen eher vielfältiger wird, sich ausdifferenziert, dabei aber auch schwerer über Statistiken erfassbar wird.

 

authorearnings

Die Verkaufszahlen von Selfpublishern und Indie-Verlagen steigen an, die der Großverlage sinken – eine Folge der Marktkonsolidierung in den USA. (Quelle/Copyright: www.authorearnings.com)

 

3. Metadaten

Um gefunden zu werden, muss man sichtbar sein. Um sichtbar zu sein, muss man die für den Kunden relevanten Schlagworte bieten. Man muss die richtigen Metadaten bereit halten. Klingt einfach. Ist es auch. Nur muss man eben für Kataloge in Bibliotheken und Buchhandlungen traditioneller Art eine Form von Daten sicherstellen. Das VLB belohnt die fleißigen Verlage auch, wenn sie schon mal von thema gehört haben und sich auch sonst bemühen, brav alle Felder auszufüllen, die in der Regel nur widerwillig von Lektoren oder Vertrieblern gefüllt werden.

Anders sieht es da schon bei Amazon aus. Denn die erstellen ihre eigenen Listen und wollen wie immer ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Die kann sich schnell auszahlen. Wenn man bedenkt, welcher Katalog der wichtigste ist. Und dann gibt es da ja auch noch Google, einem Dienst, von dem es heißt, dass er den Menschen das Denken abnehme, weil sie sich selbst bei der Rechtschreibung über autocomplete helfen lassen. Künftig wird das sowieso über Sprachsteuerung erfolgen. Dumm nur, dass man dann dem Volk sehr genau aufs Maul schauen muss, um zu verstehen, was die wirklich wollen.

 

kindle samurai

Für Selfpublisher gibt es genaue Anleitungen, wie sie ein Samurai werden – im Sinne der besseren Auffindbarkeit auf Amazon natürlich. (Quelle: http://sale.kindlesamurai.net/)

 

4. Sichtbarkeit

Warum sind Metadaten für die digitale Erschließung von Verlagscontent so zentral? Abgesehen davon, dass über alle Medienformen hinweg die Menge verfügbarer Inhalte so explodiert, dass Content schlicht kein knappes Gut mehr ist – auch für den Verlagsmarkt im engeren Sinne zeigt sich: Die Neuerscheinungen der traditionellen Verlage gehen leicht zurück, während die Selfpublisher-Titel stark ansteigen. Gleichzeitig haben alle großen Verlage hohe Summen investiert, um ihre Backlist digital verfügbar zu machen.

Die Folge: Die Gesamtzahl der lieferbaren Titel im Digitalen ist insgesamt wesentlich höher als noch vor 10 Jahren im Print – und das bei stabiler Nachfrage. Die Verlage müssen immer mehr Aufwand ins Marketing stecken, damit Titel überhaupt noch wahrgenommen werden. Gleichzeitig wächst eine Zielgruppe heran, die bei jeder denkbaren Fragestellung eine Google-Suche absetzt – und für die alles, was nicht unter den ersten 10 Treffern erscheint, de facto nicht mehr existiert. In dieser Situation noch für Sichtbarkeit zu sorgen, kann ohne erheblich vergrößerte Ressourcen für Marketing nur über Metadatenvergabe für eine automatisierte Erschließung von Content funktionieren.

 

selfpublishing

Auch in Deutschland steigt die Zahl der Selfpublishing-Titel stark an, die Veröffentlichungen der traditionellen Verlage gehen zurück. (Quelle/Copyright: Sönke Schulz, tredition.de)

 

5. Streaming

Jetzt, wo der Buchclub gestorben ist, jetzt werden die Abodienste nochmal richtig sexy. Sie heißen jetzt Streaming und verdanken ihre Renaissance der Musik und dem Video. Immer wieder neue Lieder zu entdecken oder die alten Schlager immer wieder hören zu können, das geht am einfachsten über streaming. Denn dann schwebt man schon über den Wolken. Und bei den Serien heißt es bei netflix oder Amazon eh schon lange – same procedure as every year?

 

streaming

Streaming bleibt im Trend: In den USA übersteigen die Umsätze durch Musik-Streaming erstmals die Umsätze physischer Tonträger. (Quelle/Copyright: www.statista.com)

 

6. Connectivity & Shareability

Der Trend hat in den sozialen Medien begonnen: Content muss nicht einfach nur werthaltig in Inhalt und Ästhetik sein, sondern sich auch gut teilen und mitteilen lassen. Aber auch für Content-basierte Apps gilt: Content-Silos, die nur monolithisch Inhalte von A nach B transportieren, sind out – moderne Apps sind untereinander über Schnittstellen und auf Betriebssystem-Ebene vielfältig vernetzbar.

Und für jeden Nutzer wird es wichtiger, Inhalte eben nicht nur innerhalb einer proprietären App verwenden, sondern auch in andere Productivity-Anwendungen übergeben und dort weiter arbeiten zu können – ob dies in Form von Kontakte/Termine-Anwendungen, Reader-Apps, Speicherdiensten, Notiz-/To-Do-Listen-Apps oder anderen Werkzeugen erfolgt. Wer Content in Apps zur Verfügung stellt, sollte diese Funktionen auch bieten, um für den Kunden attraktiv zu bleiben.

 

feedly

Der RSS-Feedreader “Feedly” als Beispiel für den Connectivity-Trend: Die App ist nicht deswegen so gut, weil sie Content gut präsentiert und aggregiert, sondern weil sie die vielfältigsten Schnittstellen zu anderen iOS-Apps bietet. (Quelle/Copyright: feedly.com)

 

7. Social Traffic

Der Anlass, auf eine Nachrichtenseite zu gehen, kommt heute oft aus den sozialen Netzwerken. Schau mal, was ich da und dort entdeckt habe! Und wusstest du schon, dass das und jenes passiert ist? Mund-zu-Mund heißt heute Smartphone-zu-Smartphone und unterstreicht die Bedeutung der sozialen Netzwerke für jede Form der Kommunikation und Sichtbarkeit im Netz.

 

social-traffic

Vor gut einem Jahr kamen mehr Kunden auf die Webseiten der großen Zeitschriften und Zeitungen über die sozialen Netzwerke als über eine gezielte Suche. (Quelle/Copyright: http://fipp.s3.amazonaws.com/media/documents/FIPP%20World%20Media%20Trends_Special%20Report_Social%20Media.pdf)

 

8. Social News

In diesem Jahr haben die sozialen Netzwerke Nachrichten als zentrales Genre für sich entdeckt: Parallel zur Diskussion über Online-Werbung und Ad-Blocker bemühen sich Facebook, Apple und Twitter, News-Publisher als Lieferanten für exklusiven Content für sich zu verpflichten. Direkte Integration der Nachrichten in die Ökosysteme gegen das Recht, Werbung darin selber zu vermarkten oder sehr viel bessere Konditionen zu erhalten, heißt der Deal, der hier angeboten wird.

Natürlich führt dieser Trend weg vom offenen Web und ist darauf angelegt, die Bindung an die jeweiligen Netzwerke noch zu verstärken – für alle beteiligten Seiten. Gerade deswegen wird es in den nächsten Jahren extrem interessant sein, zu beobachten, ob diese Entwicklung zum Erfolg führt oder eine Sackgasse ist. Dennoch wird sich jeder News-Anbieter recht schnell überlegen müssen, welche Position er zu Social News einnimmt – denn unbeteiligt wird hier niemand bleiben.

 

social-news

Ob die App nun Facebook Instant Articles heißt, oder Apple News: Die großen Anbieter versuchen massiv, News exklusiv in ihre Ökosystem zu integrieren. (Quelle/Copyright: Facebook/Apple)

 

9. Cognitive Computing

Die Zukunft des Schreibens ist digital. Wenn die Computer jetzt schon sogar Fußballspiele zusammenfassen können, wie sieht dann die Zukunft aus? Ob sie dann auch irgendwann mal Weltmeister werden, selber eine Meisterschaft organisieren und dabei Bestechungsgelder fließen lassen? Oder sich irgendwann traurig in ein Eck verziehen, weil noch mächtigere Computer von anderen Planeten ganz andere Texte schreiben werden? Dann können sie sich zumindest bei den jetzigen Journalisten Rat holen, wie man mit derlei Krisen umgeht.

 

ny times

Computer oder Mensch? Die NY Times hat ihre Kunden gefragt, ob sie den Unterschied erkennen. Probieren Sie es selbst. (Quelle: http://www.nytimes.com/interactive/2015/03/08/opinion/sunday/algorithm-human-quiz.html)

 

10. Smart Apps

Mit Siri hat es vor einigen Jahren schon begonnen, inzwischen hat jeder große Anbieter seinen mobilen Assistenten im Portfolio: Google Now on tap, Cortana von Microsoft oder Facebook M sind Beispiele für einen neuen Typ von Mobile-App. Die Anwendungen haben keine Bedienungsoberfläche mehr im klassischen Sinne, werden sprachgesteuert, arbeiten mit Predictive-Analysis-Verfahren, um die zentralen Alltagssituationen der Nutzer und das daraus folgende Informationsbedürfnis möglichst gut vorausahnen zu können. Und immer öfter wird auch klassischer Content von Ihnen erfasst, verarbeitet und aggregiert – selbst wenn er sich in nativen Mobile-Apps befindet.

Für Content-Anbieter hat dies zwei Folgen: Zum einen sollten Inhalte so gestaltet werden, dass sie über Metadaten und die Mechanismen zur Content-Indexierung der Mobilbetriebssysteme für die Assistenten verarbeitbar sind. Zum anderen sollten diese intelligenten Funktionen auch in das Design von eigenen Content-basierten Apps einbezogen werden – denn erfahrungsgemäß werden Nutzer zwar im Consumer-Bereich an neue Funktionen gewöhnt, erwarten diese dann aber nach einiger Zeit selbstverständlich auch im professionellen Bereich.

 

smart-apps

Ob sie nun Siri heißen, Google Now on Tap, oder Facebook M – mit den sprachgesteuerten mobilen Assistenten entsteht ein neuer Typus App, den man ernst nehmen muss. (Quelle/Copyright: Apple/Google)

 

 

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.