Strange Digit – Das langsame Verschwinden des Computadors

Wir leben in einer Zeit der Unachtsamkeit. Den ganzen  Tag erledigen wir wichtige Dinge, über die wir nicht nachdenken. Erst im Bett geraten wir ins Grübeln: Irgendetwas lief komisch heute. Es dauert, bis wir draufkommen. Und dann erschrecken wir: Der Computer. ER WAR DEN GANZEN TAG AUS. So fängt es an. Und wie so oft, wenn wir Besserung geloben, lassen wir es erst recht schleifen. Immer seltener drücken wir jetzt auf die An-Taste und sortieren, während die Maschine vertraute Geräusche von sich
gibt, unsere Gedanken. Stattdessen greifen wir schon nach dem Aufwachen zum Smartphone und schicken eine Facebook-Statusmeldung auf den Weg. Später stellen wir
befriedigt fest: Sieben Minuten früher als der Kollege.

Den Computer aber, den brauchen wir kaum mehr. Und so vergessen wir ihn schließlich. Es wird keine fünfzig Jahre dauern, dann werden die romanischen Sprachen fabelhafte Wörter verloren haben. Dann wird kein Portugiese mehr nuschelig über seinen „computador“ schimpfen, kein Spanier mehr seinen “ordenador” lieben und hassen. Junge Französinnen werden an Rechenschieber aus der Vorkriegszeit denken, wenn der Großvater, mit Glanz in den Augen, von „mon premier ordinateur“ schwärmt. Dabei ist der Computer gar nicht weg. Er ist einfach nur klein und kleiner geworden. Klitzeklein, ein Stäubchen. Er ist geworden wie die Luft, die wir atmen. Wir brauchen ihn in jeder Sekunde, nur wissen wir nicht, dass er da ist. Und was er einmal war. Substitution ist die grausamste aller Tötungsarten.

penis growth

Vielleicht geschieht ja ein Wunder. Wie das Wunder von Lausanne. Dort wurde CORA 1, ein in der Schweiz entwickelter Ur-Computer, vor dem Vergessen gerettet. Aus einem Keller geholt, wo er jahrzehntelang die Worte „je suis un ordinateur“ vor sich hinmurmelte. Denn das Ungarisch seines Entwicklers hat er in der kurzen Zeit seines Einsatzes nicht erlernen können. Das Wunder von Lausanne ist mindestens so bedeutend wie das Wunder von Bern. Denn CORA 1 ist ein Siegertyp. Ein robuster Kerl, für die Armee entwickelt und so groß wie ein Kühlschrank. Es gibt nur wenige von seinem Schlag. Jahrelang hat er sich vorgestellt, wie ihn die Rekruten doch noch ins Feld schleppen. Hat von seiner großen Zeit geträumt, damals 1964, als er auf der Landesausstellung alle Blicke auf sich zog.

Jetzt ist er zurückgekommen, ins Musée Bolo. Hier ist seine Botschaft an uns: „Handelt schnell. Verhindert unsere Auflösung. Versteckt uns nicht im Keller und nicht auf dem Dachboden. Baut uns lieber ein Museum. So eins wie hier, da ist es schön. Und versprecht mir: Auch wenn meine Schaltkreise vom Feinsten sind, bringt mich niemals auf den Wertstoffhof!“

Meldung: http://futurezone.at/digitallife/5858-historischer-computer-in-der-schweiz-entdeckt.php

Bilder von CORA 1: http://www.bolo.ch