Alles ist eine Kopie – alles ist einmalig. Was die Urheberrechtsdebatte aufzeigt

Die Heftigkeit der Urheberrechtsdebatte ist wohl nur dadurch zu erklären, dass es eine Gruppe gibt, die sich Vorteile erhofft durch eine verstärkte Nutzung von fremden Inhalten, durch einen Zugang zu geschütztem Wissen und durch eine Gleichstellung von Self-Publishing im Netz und von Verlagen kuratierten Inhalten. Und dass es eine andere Gruppe gibt, die einen Verlust fürchtet. Wie in einer Revolution.
Und sie berührt zwei zentrale Fragen.
Gibt es schützenswerte Inhalte?
Und was halten wir von Geschäftsmodellen, die auf dem Urheberrecht beruhen?

Aller Fortschritt im Leben beruht auf der Kopie, der Veränderung derselben und der Verknüpfung.
Einen interessanten Beitrag hierzu hat Kirby Ferguson geliefert, der mit seiner Serie von vier Videos “Everything is a Remix” schon im Titel das Programm vorgibt.
Es gibt nichts Neues unter der Sonne, sagt schon Kohelet im Alten Testament und dem folgend ist alles Kommende eine Abwandlung, eine Änderung, eine Fortschreibung. Bestenfalls eine Neukombination. Aber es gibt nichts ohne Vorlage.
Das kratzt natürlich am Bild des Schöpfers, des Genies, des sich selbst seiner Unmündigkeit entledigenden Menschen, wie es in westlichen Kulturen nach wie vor stark wirkt. Eher östlich geprägte Kulturen kennen das Schimpfwort “copycat” nicht und für sie sind weniger einzelne Werke UNESCO-Kulturerbe, sondern die handwerkliche Fähigkeit zur Schöpfung.
Man könnte versucht sein, jetzt auch zu folgern, dass es mithin kein Recht gäbe, der Allgemeinheit etwas vorzuenthalten, was nur durch die Allgemeinheit erst möglich geworden sei. Alles Neue bedient sich des Alten.
Ergänzt man jetzt noch die globalen Probleme der Menschheit wie Klimawandel, Hunger, Krieg etc., dann scheint es logisch, dass die gemeinsame Suche nach der Lösung geboten ist und niemand proprietäre Rechte verwalten darf.

Kreativität braucht Schutz und Aussicht auf Belohnung
Gerade der Blick auf die Gemeinschaft, und dass es keinen isolierten Schöpfer gibt, zeigt aber auch, dass jedes neue Werk auch deshalb erschaffen wurde, weil der Urheber damit seinen Platz in der Gemeinschaft definiert. Es steht immer in Beziehung zu anderen Gedanken, Vorstellungen, Werken. Es sucht immer seinen Platz, die Anerkennung der Umwelt. Sei es in Form von Lorbeerkränzen oder Banknoten.
Gibt es keinen Schutz und alles fließt sofort in einen großen Topf, fehlt der Anreiz, etwas zu schaffen. In Diktaturen flüchten die schöpferischen Geister ins Ausland oder ins Private. Niemand leistet etwas für eine Gemeinschaft, die er nicht akzeptiert.
Schöpferische Kräfte erhalten deshalb durch Unternehmen oder öffentliche Einrichtungen eine persönliche Förderung und Anerkennung. Das Produkt kommt dann der Allgemeinheit zu Gute. Und diese findet das so gut, dass sie dafür zahlt und/oder Lob spendiert.

Das Geschäft mit der Allgemeinheit
Die Allgemeinheit kann jetzt in Konkurrenz zu Unternehmen kreative Leistungen durch Stipendien, Verbeamtung oder bürokratische Apparate sicherstellen. Die Erfahrung zeigt aber, dass entweder militärische oder wirtschaftliche Erfolgsaussichten oder eine besondere gesellschaftliche Stellung des Künstlers meist die stärkeren Antriebsfedern waren.
Will die Allgemeinheit profitieren, so muss sie den Schöpfern des Neuen eine Anerkennung zollen oder sie wirtschaftlich belohnen – sieht man einmal von militärischen Erfolgen ab, denn diese sind immer gegen andere Menschen gerichtet und damit gegen die globale Allgemeinheit. Und die wirtschaftliche Belohnung überlässt sie am besten einem mehr oder weniger freien Markt, also den Verwertern. Über Angebot und Nachfrage ergeben sich dann auch schnell ein Preis und ein florierender Markt.
Jared Diamond hat in “Arm und Reich” eindrucksvoll dargelegt, dass Innovationen in der Menschheitsgeschichte nie losgelöst entstehen und die Gesellschaft dafür reif sein muss. Und dass der Schutz von Patenten und Urheberrecht einer von zehn Faktoren ist, der Innovationen fördert.

Die digitale Produktion und Distribution
Ein Buch zu kopieren konnten sich Studenten leisten, die über viel Zeit und wenig Geld verfügten. Ein eBook zu kopieren kann sich jeder leisten.
Dem Werk ist im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit nicht nur seine Aura abhanden gekommen, weil es nur an einem Ort war. Ihm ist jetzt auch fast jede Hürde der Distribution genommen. Und weil jeder im Netz Autor und Schöpfer von Bildern und Texten ist, liegt es nahe, die eigenen Produktionen auf dieselbe Stufe zu stellen wie die anderer. Der andere hat ja auch nur kopiert und ich verändere alles ja auch leicht.
Und wenn ich meine Inhalte allen zur Verfügung stelle, warum soll ich dann nicht auch alle anderen Inhalte kostenlos erhalten? Die Versuchung ist groß, so zu denken.
Aber es muss ein Verständnis dafür geben, dass geistige und künstlerische Arbeit auch einen Wert hat, einen Preis, will man die kreativen Geister wecken. Es gibt einen Unterschied zwischen schnell mal kommentierten Urlaubsfotos und einem einstudierten Musikstück, einem lange entwickelten Roman, einem anspruchsvollen Kurzfilm. Natürlich hat jeder schnell eine Meinung zu einer Krankheit und hat schon mal ein Vertragsmuster gesehen. Aber seinen Kindern würde jeder doch lieber ein Lehrwerk von einem ausgewiesenen Experten an die Hand geben.

Es braucht Grenzen
Es liegt auf der Hand, dass jeder Autor, der Geld für seine Inhalte will, jemanden beauftragen kann, seine Rechte zu schützen. Nur wenn es diesen Schutz gibt, dann werden viele Leute daran interessiert sein, hier für alle mitzudenken. Nur was einen Wert besitzt, dafür lohnt die Anstrengung.

Bisher galten Verlage ja deshalb auch als Hüter der Kultur. Sie beschützten den Schöpfer.
Solange ihre Wertschöpfung klar und aufwändig war (Ideenfindung + Lektorat und Betreuung + Produktion + Vermarktung + Distribution), hatte auch niemand etwas dagegen. Aber jetzt mischt sich unter die Frage nach der Sicherung der Rechte auch die der Wertschöpfung. Was macht ein Verlag denn heute noch, außer die Hand aufzuhalten und die Rechte zu verwalten? Wo doch das Lektorat so wenig Einfluss nimmt, es viel günstigere Dienstleister für Produktion und Distribution gibt und der Autor sein Werk eh selbst über Facebook vermarkten muss!?
Ist der Verlag “nur” noch ein Wirtschaftsunternehmen?

Der Schutz des Eigenen – und die Wertschöpfung für andere
In der Diskussion gilt es zwei Dinge zu trennen.
Jemand, der Neues schafft, soll dafür belohnt werden dürfen. Das Urheberrecht, das Patentrecht versuchen dies zu regeln. Dass dabei die Frage nach dem Neuen schon immer schwer zu lösen war, das wissen alle, die sich schon länger damit befassen. Es ist keine Neuigkeit, dass die Grenze zwischen Kopie und Neuerschaffung fließend sind und die Rechtsprechung mal mehr mal weniger glücklich agiert. Das Problem wird immer bleiben.
Aber dieses Recht muss auch für digitale Werke gelten, weil es unabhängig von der Produktform ist. Und ein Blick in die Diskussionsforen der Self-Publisher verdeutlicht, dass hier sehr wohl differenziert argumentiert wird. Und es niemandem gefällt, wenn sich jemand mit fremden Federn schmückt. Verwerter müssen die Möglichkeit erhalten, die Rechte der Urheber durchzusetzen.

Aber zugleich müssen Verlage ihre Wertschöpfung klar und neu definieren. Sie erscheint vielen nicht mehr so deutlich. Auch vielen Urhebern.
Natürlich ist dies schwieriger geworden, weil Unternehmen entdeckt haben, dass sie durchaus kostenlos wertvolle Inhalte an ihre Kunden geben können, ohne sich selbst zu schaden. Denn sie verdienen, anders als Verlage, ja eben meist an anderen Produkten.
Die Verlage haben mit dieser doppelten Konkurrenz durch Unternehmen und Urheber als Selbstverleger zu leben.
Der Weg führt nur über den Nachweis von besserer Qualität (als die frei verfügbaren Angebote) und einem guten Service (gegenüber den Autoren und Kunden).

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.