Egal ob ein Unternehmen im Kerngeschäft Content anbietet und dieses über Content Marketing vertreiben will – oder ob ein Produkt außerhalb des Content-Geschäftes die Marke ausmacht: Beide Bereiche haben komplementäre Probleme.
Für die Vermarktung von physischen Produkten müssen redaktionelle Strukturen und Abläufe aufgebaut werden. Die Kommunikation zum Kunden gehorcht plötzlich den Regeln einer verlagsartigen Arbeitsweise.
Für Content-Anbieter aus dem Verlags- und Medienumfeld stellt sich das Thema umgekehrt. Die Erzeugung von Inhalten war immer schon Kerngeschäft – aber die Aufbereitung, die Verteilung an den Kunden und die Konzeption der Kommunikationskanäle muss nun nach fundamental anderen Regeln erfolgen.
Wie können die beiden Bereiche von ihren jeweiligen Stärken lernen? Einige Beispiele aus dem Content-Marketing von Branchen außerhalb der Verlagswelt:
Filmbranche
Nach dem Welterfolg der “Herr der Ringe”-Trilogie war letztlich bereits im Vorfeld des Drehs von “Der Hobbit” klar, dass auch dieses Filmprojekt ein Kassenschlager werden würde. Und ähnlich wie bei den ersten Filmen, die Steve Jackson für die Tolkien-Romane gedreht hat, war klar, dass auch für den “Hobbit” multimediale Vermarktung, Merchandising und entsprechende Events sowohl für breitere Sichtbarkeit als auch für zusätzliche Einnahmequellen neben den Kinokassen sorgen würden.
Als Element zum Anheizen des Kundeninteresses im Vorfeld nutzte Steve Jackson beispielsweise die Möglichkeit, bereits weit vor dem Ende der Dreharbeiten regelmäßig Video-News vom Filmset zu drehen und über Youtube zu verteilen. Ideal passend zum ohnehin visuellen Medium des Endprodukts wurde so eine Art Video-Tagebuch für die Vorab-Vermarktung erstellt – und gleichzeitig Zusatz-Content für “Making Of” und DVD-Edition erstellt.
Neben der Video-Vorschau wurde parallel zum Film eine App veröffentlicht, mit der nicht nur Marketing betrieben, sondern ein eigenständiges, werthaltiges Produkt auf den Markt gebracht wurde. Bei den zu erwartenden Mengen an Fans und Käufern macht dieses Vorgehen natürlich sehr viel Sinn, denn auch hohe Entwicklungskosten dürften sich in diesem Bereich auf jeden Fall lohnen.
Als Verlagsanbieter hat man solche Optionen natürlich in den seltensten Fällen. Wenn der Erfolg wie im Fall der “Hobbits” hoch wahrscheinlich ist, lohnen sich auch aufwändige Nebenprodukte wie die Umsetzung der Filmbücher mit iBooks Author, die durch Klett Cotta in Deutschland parallel zum Filmstart realisiert wurde. Aber auch für Verlagsprodukte mit kleineren Verkaufszahlen können Modelle wie das Auslagern der App-Entwicklung in ein Lizenzgeschäft, die Erstellung eigenständiger, hochpreisiger Produktformen über Verwertungsgesellschaften Wege sein, wie sich anspruchsvolle Apps dennoch realisieren lassen.
Autoindustrie
Auch Industrieunternehmen aus der Automobil-Branche steigen zunehmend ins Content Marketing ein und nutzen Social Media-Kanäle für die Kundenansprache. Beispiele aus der jüngsten Zeit sind etwa die Social Reader-Anwendungen von Mercedes Benz und von Audi. Beide Angebote sind relativ ähnlich und vereinen unter einer Pinterest-artigen Tapeten-Darstellung Beiträge zu den Marken aus den firmeneigenen Plattformen, Facebook, Twitter, Youtube, Google+, Instagram und anderen sozialen Netzwerken.
Konzeptionell wohl gewollt, wirkt die bloße Einbindung und automatische Aggregierung der Social Media-Kanäle in diesem Fall stellenweise etwas arg zufällig. Eine weitere Ausbaustufe könnten hier Angebote über kuratierte Kanäle sein, etwa ein Channel auf einer Plattform wie Flipboard, das in seiner jüngsten Version 2.0 auch nutzerkuratierte, virtuelle Zeitungen erlaubt.
Musikvermarktung
Mit Tocotronic hat sich eine Band aus dem deutschen Sprachraum hervorgetan, die Social Media-Kanäle besonders virtuos nutzt. Eine regelmäßig bespielte Facebook-Seite und ein Twitter-Stream sind neben der Band-Homepage fast schon selbstverständlich. Daneben treten experimentelle Modelle für die Nutzung von Netzwerken und Medienkanälen: Für das neueste Album gibt es wie inzwischen oft verschiedenste Ausgaben bis hin zur Deluxe-Edition der CD mit Poster, Aufklebern und beigelegtem exklusivem T-Shirt. Im Vorfeld wurde das Album durch einen eigenen Twitter-Stream angeteasert und vorab zur CD-Veröffentlichung über Spotify als Pre-Listening-Event zur Verfügung gestellt.
In Spotify werden aber nicht nur die Alben als Stream vertrieben, daneben treten Events wie eine von der Band moderierte virtuelle Radio-Sendung, in der sowohl eine Best-Of eigener Titel, als auch die Lieblingssongs der Musiker gefeaturt werden. Originell ist auch die Nutzung von Soundcloud als Musiknetzwerk: Statt wie sonst oft nur Demos, Previews und ähnliches zur Verfügung zu stellen, erklärt in “The Young Persons Guide To Tocotronic” der Sohn des Gitarristen in bewusst überzogenem Readers Digest-Stil die Klangarchitektur der Band.
Modelle für Verlage und Autoren
Wie können solche und ähnliche Mechanismen auch für Content-Anbieter aus dem Verlagsbereich sinnvoll genutzt werden?
- Den Leser bereits am Schreibprozess teilhaben lassen: Ähnlich wie Steve Jackson könnte ein Autor bereits in der Entstehungsphase seine Produktes die künftigen Leser einbeziehen – in Extremform z.B. von der Fantasyautorin Silvia Hartmann praktiziert, die ihren Roman während des Schreibens bereits auf Google Docs zur Verfügung gestellt hat.
- Events um das Produkt herum vorab vermarkten und nachher medial aufbereiten: Zusätzlich zur klassischen Lesung sind Produkt-Launch-Events auf allen möglichen Social Media-Plattformen denkbar. Idealerweise bindet man den Leser dazu noch ein und läßt ihn korrespondierenden Content in Bild, Audio und Video produzieren.
- Verwandte Medien intelligent kombinieren: Ob per geolokalisiertem Content, durch multimediale Ergänzung oder andere Erzählformen – wo immer sich andere Medien nutzen lassen um das Leser-Erlebnis zu erweitern, lohnt dieses Experiment. Im Extremfall kann selbst ein Modell wie die “Spotify-Playlist zum Buch” für Reichweite sorgen.
[box type=”shadow”] Exkurs: Die Top 10 der Bücher, zu denen eine Spotify-Playlist ideal passen würde
- Nick Hornby: High Fidelity
- Konstantin Wecker: Uferlos
- Oliver Uschmann: Hartmut und ich
- Irvine Welsh: Trainspotting
- Hunter S. Thompson: Fear and Loathing in Las Vegas
- Hallgrimur Helgason: 101 Reykjavik
- Gilles Smith: Lost in music
- Chuck Klostermann: Eine zu 85% wahre Geschichte
- Anonymus: Buch ohne Namen
- Nick Hornby: Juliet, Naked
(Hommage an Nick Hornby)
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Tipps zur erfolgreichen Umsetzung
Idealerweise dienen bei derartigen Projekten alle verwendeten Medienformen auch gleich der Content-Erstellung für eine spätere Line-Extension. Sowohl der eigene, als auch von Fans beigesteuerter Content kann als Materialsammlung für “extended Editions”, Werkschauen/Making-Ofs, zur Ergänzung der eigenen Web-Plattform oder der Vorbereitung einer “enhanced Print”-Version dienen.
Wichtig ist dabei aus unserer Sicht:
- Content und Kampagne müssen zur Marke, dem Produkt, dem Autor passen. Was nicht authentisch ist und nicht zum Gesamtbild passt, wird im besten Fall deplaziert, schlimmstenfalls unfreiwillig komisch wirken.
- Die Inhalten müssen für sich genommen attraktiv und interessant sein. Wahrgenommen wird nur, was einen Eigenwert besitzt, der die Zeit der Beschäftigung lohnt – ob intellektuell oder ästhetisch.
- Je mehr die Verbreitung der Inhalte gewünscht ist, umso mehr muss darauf geachtet werden, dass der Content sowohl technisch wie inhaltlich teilbar und mitteilbar ist. Was nicht in sinnvoller Weise über soziale Netzwerke verteilt werden kann, wird niemals viral werden.