Im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse bereitet sich die deutsche Verlagsbranche wie jedes Jahr auf die Leistungsschau der analogen Content-Haptik vor. Und wie immer drehen die großen mobilen Ökosysteme jeden Monat an der Innovations-Schraube. Von den News von Amazon, Apple und Google über die Diskussionen im US-eBook-Markt, von neuen Publishing-Tools bis zu Marketing-Trends für Kindermedien – wie jeden Monat kommentieren wir die zentralen Trends und Entwicklungen im Mobile Publishing:
Das richtige Produkt entwickeln
Grundsätzliches zum Herbst: Immer wieder gibt es in unseren Themen spannende Longreads zu den großen Entwicklungslinien im digitalen Publizieren von Autoren, die über den Tag hinaus denken – diesmal möchten wir gleich vier davon empfehlen: In seinem Beitrag “Wie Verlage zu Tesla werden” zieht Helmut Müller bei Pulse grundlegende Vergleiche zwischen der Verlags- und der Automobilbranche und zeigt, wie ähnlich (oder wie unterschiedlich) sich Disruption in verschiedenen Wirtschaftsbereichen auswirken kann. Publishing-Doyen Craig Mod fragt in seinem Essay “Future Reading” im Aeon Magazine “Will digital books ever replace print?” und stellt eine breit angelegte Reflektion über das analoge und das digitale Lesen an.
Baldur Bjarnason sammelt in seiner Online-Veröffentlichung “This is not a book” zusammen mit seinem Kollegen Tom Abba elaborierte Ideen und langjährige Erfahrung aus dem digitalen Schreibung und Publizieren – die Aufsatzsammlung wird laufend ergänzt und ist sehr viel mehr als ein Longread, aber auf jeden Fall eine klare Leseempfehlung. Der ebenfalls stets lesenwerte Benedict Evans wagt mit “Forget about the mobile internet” eine steile These: Lange war man es gewohnt, das mobile Internet als eine Art weniger funktionales Subset des gesamten Internet anzusehen – inzwischen hat sich dieses Verhältnis aber umgedreht. Das mobile Netz hat inzwischen sowohl mehr Möglichkeiten als auch mehr Reichweite. Nur die Content-Publisher sind dieser Entwicklung noch nicht hinterher gekommen.
So entwickelt sich der Markt
Amazon, Apple, Google – das machen die großen Drei: Apple hat wie üblich im Herbst sein großes Produkt-Feuerwerk abgebrannt und die jüngste Technologie-Generation vorgestellt. Aller Neuerungen im Überblick zeigen wir in unserem Artikel dazu, daneben empfehlen wir zum vielleicht spannendsten Produkt iPad Pro die Einschätzung von Fast Company, sowie zum Zukunftspotenzial von iOS die strategische Analyse von TechPinions.
Amazon dagegen hat bei der Entwicklung der Fire Phones und Tablets bisher wenig Geschick bewiesen und ist vom Markt abgestraft worden. Im Tablet-Bereich führt die Entwicklung klar in Richtung “race to the bottom” und selbst skuril anmutende Modelle wie der Tablet-Verkauf im Sixpack stehen ernsthaft zur Debatte. Dagegen boomen der eCommerce-Bereich und der eigene Online-Shop – mit Zuwachsraten, die Amazons Shopping-App zu einem Problem für Googles Werbeprogramm machen könnte.
Googles großes Thema dieser Tage ist die Transformation zum Technologie-Mischkonzern Alphabet – auch dazu haben wir eine ausführliche Analyse erstellt. Doch so sehr das Unternehmen boomt, der eBook-Bereich scheint davon nicht betroffen: Google Play Books ist zum Spielfeld der Piraterie geworden (wir berichteten schon vor längerem auf bookbytes darüber) und das Google Books-Programm ziemlich in Vergessenheit geraten. Schade, denn beim Potenzial dieses Ökosystems wären hier mehr Chancen für Publisher drin gewesen.
Rauf oder runter? Der eBook-Markt in den USA: Ausgehend von einem Artikel in der New York Times geht einmal wieder eine breite Diskussion über die eBook-Marktentwicklung durch die amerikanischen Medien. Mit den Zahlen der AAP als Basis wird hier die These aufgestellt, der eBook-Markt in den USA würde wieder schrumpfen. Das Problem dabei: Der Verlegerverband AAP erfasst mit den Zahlen seiner Mitglieder längst nicht mehr den gesamten Markt, insbesondere alle Selfpublisher werden schlicht nicht mitgezählt – beim Boom des Selfpublishing in den USA ein Faktor, der zu erheblichen Verzerrungen führen kann.
Und natürlich spielen auch die nach Abschluss neuer Agency-Verträge durch die US-Großverlage z.T. erheblich gestiegenen eBook-Preise dabei keine geringe Rolle. Wer sich neben den großen Headlines für die Details dieser Entwicklung interessiert, dem empfehlen wir die klugen Kommentare von Ben Thompson und Thad McIllroy – oder die Lektüre von Hugh Howeys “Author Earnings”-Report, der das Thema von der Autorenseite her beleuchtet. Die zentrale Folie aus der regelmäßig erscheinenden Studie hier vorab:
Das Ende von Oyster: Bereits einige Male waren die vieldiskutierten eBook-Flatrate-Modelle dieses Jahr in den Branchenmedien, z.B. wegen den Änderungen im Geschäftsmodell von Scribd oder der Anpassung der Autorenvergütung bei Kindle Unlimited. Nun hat das Startup-Sterben den Flatrate-Anbeiter Oyster erwischt, der in den nächsten Monaten seinen Geschäftsbetrieb einstellen wird. Und obwohl im Fall von Oyster die Vermutung naheliegt, dass Google hier mit einer umfangreichen Personalakquise nachgeholfen hat, gibt das Ende eines weiteren interessanten Publishing-Startup doch zu denken: Kann eBook-Abo wirklich als nachhaltiges Geschäftsmodell realisiert werden? Vor allem, wenn das Unternehmen wie im Fall von Oyster umso mehr Geld verbrennt, je erfolgreicher es beim Kunden ist? Wir sind skeptisch.
Die Technologien zur Umsetzung
Neue Versionen, neue Tools, neue Plattformen: Im Herbst zeigt sich einmal wieder Bewegung bei den Publishing-Tools. Nach langem Stillstand hat sich Quark unter anderem entschieden, der Version 2015 von QuarkXpress erhebliche Verbesserungen im bisher ausgesprochen rudimentären EPUB-Export zu gönnen. Der Open-Source-EPUB-Editor Sigil wird nach längerer Pause seit diesem Jahr wieder aktiv weiter entwickelt und scheint bald echte EPUB3-Fähigkeiten zu bekommen – ein EPUB3-Export ist bereits per Plugin möglich. Das Update auf iOS 9 hat wie üblich auch auf iBooks durchgeschlagen, hier allerdings sind vor allem einige Änderungen zu beobachten, die eher als Bugs denn als Verbesserung angesehen werden müssen.
Auch im Bereich Online-Plattformen gibt es einige spannende News: Pronoun (ehemals Vook) hat aktuell seine neue eBook-Publishing-Plattform vorgestellt. Von Publizard kommt eine Online-Lese-Plattform für EPUB3-eBooks, die auch Annotationen und Kommentare mit Sharing-Optionen möglich machen soll. Und auch Helicon Books will auf der Frankfurter Buchmesse seine neue Cloud-Reading-Plattform präsentieren. Electricomics dagegen gilt unter Fachleuten als das nächste große Ding im Bereich digitaler Comic-Umsetzungen – wir sind gespannt, wie sich das Modell nach vielversprechendem Start entwickelt.
Auch wenn sich an den Publishing-Modellen in diesem Bereich nach dem Ende des Apple Newsstand einiges ändern wird, so bleibt doch Adobe DPS eines der zentralen Tools für Magazin- und Zeitungs-Umsetzungen. Wie man DPS-Apps auch auf Basis von WordPress als CMS beschicken kann, zeigt Haeme Ulrich auf publishingblog.ch. Einen großen Wurf hat sich dagegen die Washington Post vorgenommen: mit “Arc” hat man sich hier nicht nur ein eigenes Highend-CMS entwickelt, sondern will dieses auch als Produkt für andere Verlage zur Verfügung stellen. “Native App oder Web-App?” ist eine klassische Frage in der Entwicklung, vor allem für Content-basierte Apps – Atavist hat sich in dieser Frage klar entschieden, lässt seine nativen Mobile-Apps auslaufen und setzt für die Zukunft komplett auf Web-Applikationen. Und für alle, die sich direkt mit App-Projekten beschäftigen müssen, gibt es im Smashing Magazine einen interessanten Erfahrungsbericht über “Rapid-Development”-Ansätze zu lesen.
Auch im Bereich Augmented Reality gibt es spannendes zu berichten. Der New Yorker hat eine App-Version seines Magazins für Virtual-Reality-Brillen wie die Oculus Rift vorgestellt und zeigt damit, wie Magazin-Lesen in Zukunft aussehen könnte:
Dieses Produkt will der Kunde
Der Deutsche eBook-Award: Auf der Frankfurter Buchmesse wird dieses Jahr zum zweiten Mal der deutsche eBook-Award verliehen, an dem wir auch in der Jury mitwirken. Die Nominierungen stehen seit letzter Woche online und zeigen, wie breit die digitalen Portfolios auhc in Deutschland mittlerweile aufgestellt sind. Eine “vielseitige Vorauswahl”, urteilt der Buchreport über die nominierten Titel – schaut man im Vergleich aber in den englischsprachigen Raum, wie es jüngst der Guardian in einem Artikel über die besten interaktiven Buch-Apps der letzten Jahre getan hat, wird auch schnell klar, wie viel Luft hier noch nach oben ist.
So erreiche ich den Kunden
Von Facebook bis zum Direktkunden-Vertrieb – Marketing für die Generation Z: Wer Content-Marketing betreibt, kommt an Facebook nicht vorbei. Und auch für den Content-Vertrieb machen die Instant Articles in diesem Jahr Furore – ob das Modell aber Segen oder Fluch für die Verlage ist, ist noch lange nicht ausgemacht. Klar entschieden hat sich in dieser Frage aktuell die Washington Post und setzt mit voller Kraft auf die News-Distribution über Facebook. Glaubt man Analysten wie Ben Thompson, hat das Unternehmen damit durchaus recht – denn seiner Ansicht nach ist das Marktpotenzial von Facebook noch lange nicht ausgeschöpft. Und auch aktuelle Studien wie die des Pew Research Center zu Mobile Messaging und Social Media zeigen die enorme Bedeutung, die die sozialen Netzwerke für die Kommunikation in allen Lebensbereichen gerade für die jüngere Generation haben.
Aber nicht nur die Vermarktung ist entscheidend für den Erfolg von digitalen Modellen, auch die Angebotsgestaltung im Detail: Unter dem Titel “6 Verlage, die eBooks verstanden haben” versammlt Johannes Haupt bei lesen.net Publishing-Modelle aus Deutschland, die sich in vollem Umfang auf die Herausforderungen des Digitalen eingelassen haben. Wie man den Kindermedien-Markt mit seinen Besonderheiten angehen kann, zeigt TISP Smartbook in einer Übersicht über Trends im digitalen Marketing für die “Generation Spongebob”. Und auch Penguin Books, über deren Content-Marketing-Strategie wir dieses Jahr bereits ausführlich berichtet haben, melden sich mit einer toll gemachten Marketing-Microsite im typischen Penguin-Stil – auf jeden Fall einen Blick wert!
So rechnet sich das
Ad-Blocker und das Ende der Werbe-Finanzierung? Mit dem Start von iOS9 ist nun auch die lange erwartete Einführung der Adblocker erfolgt. Schon länger geht die Diskussion über die lästigen Nebeneffekte der Online-Werbung durchs Netz – und mittlerweile kann man selber testen, wie sich das Surfen ohne Banner anfühlt. Natürlich wird diese Entwicklung nicht der “slow death of the web”, sie wird die Diskussion über die Effektivität von Online-Reklame noch einmal verschärfen und zeigen, dass für viele Publikationen die reine Werbefinanzierung einfach kein nachhaltiges Geschäftsmodell ist.
Neben den Artikeln empfehlen wir zur Lektüre gerne die klugen Kommentare von Baldur Bjarnasson und Seth Godin. Völlig ungerührt von dieser Debatte zeigt sich dagegen Wired: seit Jahrzehnten als Zentralorgan der digitalen Avantgarde bekannt, vermeldet das Unternehmen mittlerweile einen Umsatzanteil von 2/3 mit Digitalmedien. Das Erfolgsgeheimnis: Premium-Content unter einer gut positionierten Marke.
Wir wünschen wie immer eine spannende Lektüre!
Sie wollen mehr wissen?
Wie jedes Jahr steht die Frankfurter Buchmesse vor der Tür – Sie können uns dort bei Interesse unter anderem bei folgenden Veranstaltungen treffen:
- Vortrag und Gesprächsrunde “Mobile Publishing Trends”: am Stand von Silk Code UG (Halle 4.2 M74) am 14.10. um 10:45, sowie am 15.10. um 14:00
- Vortrag und Gesprächsrunde “Zielgruppenmarketing”: am Stand von Silk Code UG (Halle 4.2 M74) am 16.10. um 10:45
- Vortrag “Gestaltung und Typografie für eBooks”: am Stand der XML-Schule (Halle 4.2 L96) am 15.10. um 13:00
- Gesprächsrunde zur “digitalen Produktentwicklung” mit Birte Hackenjos (Chief Operating Officer Haufe Gruppe), Till Weitendorf (Geschäftsführender Gesellschafter Oetinger Verlag GmbH) und Beatrice Gerner (Director Digital Products Springer Fachmedien) am 14.10. um 14.00 Uhr in Halle 4.0 J95
- Vortrag “App-Projekte für Verlage und Medienhäuser: Trends in Markt und Technik”: am Stand der XML-Schule (Halle 4.2 L96) am 16.10. um 13:00
- Gesprächsrunde Los futuro/s del Libro: 15.10 um 15:45 (Halle 5.1 B-116)
- Preisverleihung “Deutscher eBook-Award”: im Orbanism Space (Halle 4.1 B73) am 15.10. um 18:00