Was sagen die vielen (digitalen) Daten eigentlich aus über meine Kunden?

Kundendaten sind in der Ära der Digitalisierung die Währung. Denn sie bieten Pfade für all die, die ihre Produkte zum Leuchten bringen wollen, sie sichtbar machen. Und das ist nunmal jeder. An der Entwicklung von Personas, der Auswahl des passenden CRM und dem richtige Monitoring all der (digitalen) Rückmeldungen zu den eigenen Produkten und Kunden kommt kein Unternehmen vorbei. Und auch wir bieten ein Seminar zur Kundenanalyse 3.0 an, weil wir überzeugt sind, dass sich jeder mit dem Thema auseinandersetzen muss.
Dabei kommt oft die Frage auf, ob diese data scientists und Programmierer von Algorithmen die neuen Herrscher werden und die Arbeitsplätze zerstören, die der Marketer, der Lektoren, der Autoren: die Bedrohung mal nicht in weißen Kitteln oder grauen Anzügen, sondern eher in Hoodies und einem Bier in der Hand. Und die Antwort ist regelmäßig: Die Kompetenz, Daten zu analysieren wird immer wichtiger. Das Wissen um die Methoden und Möglichkeiten in der digitalen Welt auch. Aber die Fähigkeit, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und in Handlungen umzuwandeln, wird natürlich nicht ersetzt. Und die wird wichtiger denn je. Und das setzt Erfahrungen voraus im Umgang mit den Kunden, den Märkten, den Produkten.

In diesem Zusammenhang lohnt sich der Blick auf zwei Reden aus letzter Zeit, die eines Philosophen und die eines Soziologen.

Andreas Ekström appelliert in seinem TED-Talk an das Gewissen eines jeden Google-Suchers, die Trefferliste nicht für bare Münze zu nehmen und sich selber eine Meinung zu bilden. Objektive Fakten sind, erkenntnistheoretisch betrachtet, etwas anderes als Wissen um Zusammenhänge. An den Beispielen von Michelle Obama und Anders Behring Breivik zeigt er die Eingriffe Googles in die Suchergebnisse auf und die Manipulationsmöglichkeiten. Glaube nur der Statistik, die du selber gefälscht hast.

michelle obama

Andreas Eckströms moralischer Appell an die Nutzer und Programmierer lautet: Seid euch eurer Position bewusst, der Voraussetzungen und ethischen Werte, die ihr habt! Denn sie leiten euch auch bei der Nutzung der neuen Technologien , sie leiten euch bei der täglichen Manipulation von Ergebnissen. Google griff ein, als ein verzerrtes Affenbild von zahlreichen Nutzern mit den Tags “Michelle Obama” versehen wurde und änderte in diesem Fall seinen Algorithmus. Beim Terroristen Anders Behring Breivik geschah dies nicht. Ethisch ist dies verständlich und aus meiner Sicht in diesem Fall richtig, objektiv ist es nicht. Was, wenn ich mal nicht der Meinung von Google bin?

Malcom Gladwell erinnert daran, dass mehr Daten nicht zu mehr Wissen führen, sondern eher zu mehr Sicherheit bei den Fragenden, sie wüssten jetzt doch schon mehr als vorher. Ganz gegen Sokrates “ich weiß, dass ich nicht weiß”.

Gladwell fragt zurecht am Beispiel Snapchat, ob uns die Daten zum Gebrauch dieser Apps bei Jugendlichen wirklich immer weiterhelfen. Sie beschreiben eine Situation, das häufige Fotografieren und Klicken, aber sie erklären nicht die Gründe für dieses Verhalten. Es kann ein typisches Phänomen in einer Entwicklungsstufe darstellen (so wie Autounfälle oder Morde auch, statistisch gesehen, weitaus häufiger unter Männern zwischen 17 und 25 vorkommen) oder das Merkmal im Verhalten einer bestimmten Generation sein. Aus dem reinen Nutzerverhalten und den Daten über Snapchat erfahre ich nichts über die Gründe. Und damit kann ich auch nicht erkennen, ob es eine Mode ist wie second life und andere längst vergessene Blasen, oder eine wirkliche Veränderung in unserer Haltung zum Leben darstellt wie z.B. die Gleichstellung der Homoehe oder die Anerkennung von Asylrecht.
Dazu bedarf es einer tieferen Analyse.

malcolm gladwell

Malcolm Gladwell stellt anhand von Facebook und Snapchat die Frage, was wir durch die dort gewonnen Daten wirklich über unsere Kunden lernen. Dabei nimmt er weniger die Sicht eines Marketers ein als die eines Soziologen, der die Frage stellt, was die über diese Dienste gewonnenen Verhaltensmuster wirklich über die Einstellungen und gesellschaftlichen Veränderungen aussagen. Millennials sind eben wie alle Generationen nur zu einem bestimmten Zeitpunkt so, wie eben jüngere Menschen sind. Auch sie werden älter und verändern sich.

Er nennt drei Beispiele für Innovationen, die lange brauchten, um in der Gesellschaft anzukommen. Das Telefon wurde in den 70ern des 19. Jahrhunderts in den USA zunächst von Männern aus dem Morsezeitalter als Kommunikationsinstrument für die Geschäftswelt vermarktet. Erst 40 Jahre und mehr als eine Generation später kam man darauf, dass es auch für die Frauenwelt zum Austausch ganz anderer Themen geeignet sein kann.
Die VCH-Videos wurden von Hollywood als größte Bedrohung der eigenen Industrie gesehen, weil man ja damit die Filme alle aufnehmen kann. Erst ein paar Jahre später erkannte man, auch mit der Weiterentwicklung zu DVDs, dass hierdurch ein Distributionskanal für einen Zweitverkauf direkt an Haushalte eröffnet wurde, der dem gesamten Markt riesigen Wachstum bescherte. Und erst jetzt erkennt man, dass das der Beginn war einer neuen Art, Geschichten zu erzählen. Denn Serien werden durch die dauernde Verfügbarkeit zu einem neuen Genre für das Publikum, das jetzt einen Gesamtblick auf die Homelands und Houses of Cards erhält und sie wie Gesamtausgaben von Harry Potter konsumiert und wahrnimmt.

Die Folgerungen lauten einmal mehr: Interpretiere richtig! Denn erst der Zusammenhang von Daten in einem Kontext ermöglicht eine Bewertung.
Kontext heißt z.B. in längeren Zeitreihen zu denken, dieselben Aussagen von Personen zu vergleichen in ihrer Zeit und an dem Ort. Vor allem heißt es aber, die Beweggründe zu verstehen für ein Verhalten. Daten alleine sind Indikatoren, aber erklären nicht die emotionalen Bewegungen dahinter.

Das löst noch nicht die Frage nach dem ethischen Standpunkt.
Denn ob der Datenhandel als prägendes Merkmal des 21. Jahrhunderts auch zum Menschenhandel wird, das ist eine der großen Fragen unserer Zeit. Ersterer kommt jetzt so richtig in Schwung und kein Land, kein Unternehmen will und kann auf ihn verzichten. Apple dient sich mir mit seiner health-App an, Google verspricht mir ein längeres Leben, Facebook den Zugang zu den Nachrichten, die auch meine Freunde toll finden und Amazon noch besseren Service – alles gegen ein paar mehr Fakten über mich und für mein Wohl. Informationen waren schon immer eine entscheidende Ware in der Menschheitsgeschichte. Und es lohnt ein Blick in Münklers neues Buch “Kriegssplitter”, in dem er auf die neue Formen der Kriegsführung hinweist, die nicht auf territoriale Gewinne aus sind, sondern die neuen, digitalen Räume belegen. Obama setzt auf die NSA, Bush hatte noch auf Bodentruppen gewettet.

In diesem Kontext kann man Gladwell verstehen, wenn er nach seiner Einschätzung gefragt wird zur Zukunft von Facebook, Snapchat und Co.: Ob sich diese Geschäftsmodelle auch noch länger in der jetzigen Form halten werden, wird stark davon abhängen, wie die Gesellschaft mit dem Thema Privatsphäre umgehen wird.

Und, Hand aufs Herz, wünschen Sie sich auch manchmal ein Unternehmen, das ehrlich sagt, der Kunde sei ihm egal. Es ist sowas von politisch korrekt, “kundenorientiert” zu sein und in seiner “Firmenphilosophie” den “Kunden in den Mittelpunkt” zu stellen, dass es verdächtig philantropisch geworden ist um einen herum.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.