Fake News, Trump und die digitale Kundenanalyse – Teil 2

Wie im letzten Artikel dargelegt, stellen die Flut an Fake News und deren Gebrauch im Wahlkampf unsere Gesellschaft vor eine Probe. In diesem Beitrag geht es um die Herausforderungen digitaler Kundenanalyse und deren Missbrauch. Im Magazin hatten Mikael Kroge und Hannes Grassegger nach Trumps Erfolg einen Artikel über Michael Kosinski und Cambridge Analytica veröffentlicht, in dem sie auf deren wissenschaftliche Erkenntnisse (Kosinski) und zweifelhafte Praktiken im Wahlkampf (CA) hinwiesen. Dem folgten eine Reihe ausgewogener Kommentare wie dem von Patrick Beuth in der Zeit und nach dem shitstorm dann auch Beschwichtigungen von CA durch z.B. Interviews in wired. Worum geht es?

  • Können Zielgruppen durch eine Analyse ihres Verhaltens in den sozialen Netzwerken besser seziert werden als durch herkömmliche Methoden?
  • Können diese Zielgruppen aufgrund dieser Analysen derart manipuliert werden, dass sie falsche Entscheidungen treffen, wie z.B. in Wahlen?

In George Orwells Roman “1984” arbeitet der Protagonist Winston im »Ministerium für Wahrheit« und schreibt dort die Geschichte um. Zeitungsartikel und andere Schriftstücke werden korrigiert und die Sprache wird so weit wie möglich reduziert. “Big brother is watching you” in dieser Welt der Fake News, in der die Gedankenpolizei das Sagen hat. Im Unterschied zum Roman sind die Machtverhältnisse in der digitalen Gesellschaft jedoch nicht so klar. Staaten teilen sich den Zugriff auf den Bürger mit Apple, Facebook, Google und Co. – und letztere ermöglichen den eigenständigen Autor und reglementieren ihn zugleich. (Bildquelle: Thenextweb)

 

Kosinski wird in dem Artikel im Magazin als Urheber des Wahlerfolgs von Trump beschrieben: Mit seiner Persönlichkeitsanalyse auf der Basis von Facebookprofilen und Interviews sowie der darauf folgenden, gezielten Beeinflussung durch Onlinekampagnen wären die Wähler falsch informiert worden und hätten für Trump gestimmt. Der Artikel sorgte für Furore, weil er Ängste und Wünsche bedient und sich auf reale Ereignisse bezieht:

  • Influencer Marketing, Microtargeting und Customer Insights gehören längst zum Standardvokabular erfolgreicher Marketingagenturen. Und natürlich wird dieses Instrumentarium auch im Wahlkampf verwendet. Und ja, natürlich funktioniert dasselbe Instrumentarium, das mich zum Kauf einer Modemarke, eines Schokoriegels oder einer Autos verleiten will, auch im Wahlkampf. Denn Politiker wirken im Wahlkampf wie inszenierte Marken.
    Aber: Hinter dem Schlagwort Big Data gibt es keinen Big Brother, der das schon alles verstünde und sein Wissen zur Vermehrung einer zentralen Macht nutzt. Sprich: Wir dilettieren alle mehr oder weniger herum und jeder versucht so nah wie möglich an seine Kunden zu kommen. Niemand hat die “Weltformel”. Und dabei haben natürlich die NSA, Google und Facebook die Nase vorn.
  • Trump schert sich nicht um Wahrheit, einzig sein Erfolg zählt. Und Falschmeldungen und Provokationen gehören zu seinen beliebtesten Mitteln. Das gezielte Ausspielen von Informationen an Zielgruppen funktioniert in den sozialen Netzwerken besser als sonstwo.
    Aber: Dass er seine Wähler mit unlauteren Mitteln beeinflusst hat darf nicht davon ablenken, dass es viele Gründe für seinen Erfolg gibt (wie die fehlende Ausstrahlung Clintons, die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, die Abgehobenheit einer politischen Kaste etc.). Es gibt keinerlei Belege dafür, dass aufgrund der Falschmeldungen bestimmte Personengruppen nicht gewählt haben und andere Trump wählten. Was man lediglich festhalten muss ist, dass Cambridge Analytica aufgrund eines vereinfachenden Modells gezielt Personen identifizieren und ansprechen konnte. Es ist eine Bestätigung der schon länger bekannten Tatsache, dass Microtargeting im Rahmen von Marketingkampagnen funktioniert. Und wie bei allen Marketingkampagnen gibt es selbst nach ausführlichen Analysen im Nachgang immer eine Reihe von unbekannten Variablen, die man in den folgenden Kampagnen zu identifizieren sucht und die sich dann mit neuen unbekannten Variablen schön vermischen.

Der Artikel ist deshalb natürlich ein gefundenes Fressen für kritischere Stimmen. Denn das Ocean-Modell ist wie alle Persönlichkeitsmodelle nur begrenzt geeignet, um erstens den Menschen zu erfassen und zweitens, ihn dann auch noch gezielt zu beeinflussen. Hier ist noch der Mythos einer alles erklärenden Theorie und Methode präsent, die den Menschen ganz erkennt. Das ist natürlich Quatsch und in einer wissenschaftliche Diskussion könnte jeder einigermaßen in Erkenntnistheorie Bewanderte schnell nachweisen, dass auch Cambridge Analytica über keine Geheimwaffen verfügt.

Aber in dieser Kritik darf eines nicht vergessen werden: Semantische Analysen der Äußerungen der Zielgruppen in den sozialen Netzwerken sind eine bessere Grundlage für Vorhersagen (wir hatten im Rahmen des Kongresses zu smart data Beispiele hierfür aufgeführt). Wenn IBM und Facebook in KI investieren, dann helfen diese Instrumente wie immer nicht nur den Guten.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Analyse des Pew Research Centers über die möglichen Gründe für das Versagen der klassischen Vorhersagen im Wahlkampf. Denn es sagt viel über die Möglichkeiten digitaler Kundenanalysen aus, denn durch eine Analyse der sozialen Netzwerke und der dort geäußerten Meinungen konnte man sehr wohl andere Tendenzen erkennen.

 

 

Was die Forscher beim Pew Research Center hier sehr klar herausarbeiten:

  • Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, die sich traditionell klassischen Umfragen entzieht, weil sie grundsätzlich der öffentlichen Meinung und öffentlichen Institutionen misstraut. Aber genau diese hat Trump angesprochen. Und genau diese Bevölkerung entlädt ihren Unmut häufig in den sozialen Netzwerken.
  • Es galt als “politically incorrect”, sich als Trump-Wähler zu outen, weil es weniger gebildet, ungehobelt und nicht kohärent wirkt. Deshalb haben bei einer Befragung nicht alle die Wahrheit gesagt – das Phänomen der sozialen Erwünschtheit wirkt gerade bei Meinungsumfragen sehr deutlich.
  • Die vermuteten Wähler sind nicht zur Wahl gegangen und unvermutete Wähler wurden nicht erfasst.

Dies offenbart die Lücken der klassischen Befragungen und Potenziale in den digitalen Kampagnen, auch wenn zu Recht die Washington Post mit etwas Abstand und genaueren Analysen darauf hinweist, dass die Abweichungen so groß nicht waren und die Interpretation eher das Problem darstellte. Und Nate Silver hat glänzend herausgearbeitet, wie auch hier die Interpretation von Statistiken durch die Medien fehlerhaft waren: Es ist einfach nicht genug Kompetenz bezüglich der Marktforschung bei Journalisten vorhanden.
In der Folge werden wir das Ocean-Modell näher betrachten und die Grenzen desselben.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.