Der Brexit und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten haben die Diskussion um Fake News, ethische Prinzipien und die Rolle der sozialen Netzwerke und Big Data entfacht. “Post-truth” ist vom Oxford English Dictionary in den USA wie in UK zum Wort des Jahres gekürt worden und die Firma Cambridge Analytica hat mit ihrer Form der Kundenanalyse wie kaum eine andere für viel Zündstoff gesorgt. Die Sorge geht um, dass uns auch in Deutschland in diesem Wahljahr eine Schlammschlacht bevorsteht wie nie zuvor. Die Parteien versuchen sich zu wappnen, aber natürlich ist die Strategie dafür angesichts einer für alle neuen Situation alles andere als ausgereift. Dabei geht es um zwei unterschiedliche Themen, die man nicht allzu schnell vermischen darf:
- Wo zieht man die Grenze zwischen bewussten Falschmeldungen zur Irreführung und fehlerhaften Informationen aufgrund der menschlichen Unzulänglichkeit? Und was bedeutet das für die Medien?
- Welche Rolle spielen dabei die digitale Kundenanalyse und Big Data, hier vor allem bezogen auf die sozialen Netzwerke?
Diese Themen werden uns in diesem Jahr hier beschäftigen. Zum Einstieg heute unsere Betrachtungen zu Fake News und die Konsequenzen für die Medien:
Haltung zählt – und die Quelle wird immer wichtiger
Die Quelle der Nachrichten war früher meist staatlich gesteuert oder religiös beglaubigt. Wir bezeichnen die Neuzeit nicht ohne Grund als den Eintritt in eine neue Epoche, die um 1450 mit dem Buchdruck und dem Humanismus verknüpft ist. In der Folge haben sich vor allem nach der Aufklärung eigenständige Medienunternehmen entwickelt, die für eine Vielfalt an Meinungen und eine Demokratisierung der Gesellschaft stehen. Dass Medienunternehmen als vierte Macht im Staat positiv wie negativ wirken, konnten von Nixon bis Wulff verschiedene Politiker erfahren. Medienunternehmen haben über Jahrzehnte die Kompetenz aufgebaut, zu recherchieren, auszuwählen und zu berichten.
Mit der Digitalisierung hat sich dieses Machtgefüge verändert, weil jeder Autor geworden ist und über die sozialen Netzwerke zum Distributor. Und die digitale Welt ist ebenso Ausdruck unserer Persönlichkeit wie jede andere Form der Kommunikation mit unserer Umwelt. Wir stehen, um mit dem Philosophen Luciano Floridi zu sprechen, inmitten einer “vierten Revolution”: Wir können unsere digitale Identität nicht willkürlich beschneiden, denn sie ist Teil unseres Selbst. Zugleich müssen wir uns Regeln im Umgang mit den neuen, digitalen Werkzeugen geben, die sozial verträglich sind und positiv wirken. Dabei stehen die Werkzeuge der Kommunikation und Identitätsstiftung nur zum Teil allen offen und sind vielfach die Rechte im Besitz von Wirtschaftsunternehmen. Wir sind dabei, uns neu zu erfinden.
Die Frage für Medienunternehmen ist: Wer ist der bessere Autor, der Profi oder der Laie? Denn jeder ist in Unzulänglichkeiten eigener Art verstrickt: Der Laie beherrscht oft simple Regeln der Grammatik und der Recherche, des Urheberrechts oder des Anstandes nicht. Er mag über Spezialwissen und eigene Erfahrungen verfügen, in der Regel ist er jedoch ein Amateur, wenn es um Kommunikation und die Wirkung von Medien geht. Der Profi muss Geld verdienen und hat damit immer den Erhalt des Jobs und den Euro im Kopf. Aber er hat Zeit, kennt Werkzeuge der Recherche und der Sprachgestaltung und kann Medien in ihrem Wert für Kunden besser bewerten. Keiner agiert interesselos. Und alle müssen im digitalen Raum lernen. Denn niemand hat uns das Neue beigebracht.
Fake News sind nicht neu und jedem bekannt (“Schatz, ich mach das gleich”, “Wenn du nicht sofort dein Zimmer aufräumst, dann…”, “Der Zug kommt pünktlich.” etc.). Man muss nicht erst den linguistic turn in der Philosophie des 20. Jahrhunderts bemühen, um zu erkennen, dass Wahrheit nicht so einfach zu haben ist und relativ zu Zeit und Ort, sprich nur im Kontext zu verstehen. Von Popper (“nur Falsifikation ist in der Wissenschaft noch möglich”) über Kuhn (“je nach Paradigma ergibt sich ein anderer Blick auf die Welt”) bis Mercier/Sperber als aktuelle Vertreter des “confirmation bias” (“Argumentation sucht nur nach Bestätigung”), von Freud (“man ist nicht der Herr über das Ich”) über Derrida (“jede Entität ist ein Konstrukt und Sprache nur als “différance” zu verstehen, die niemals die Wirklichkeit repräsentiert”) und Roth als Vertreter der Neurowissenschaften (“das Gehirn konstruiert die einzige für uns erfahrbare Wirklichkeit”) geht keine ernst zu nehmende Wissenschaft mehr von allgemein gültigen Wahrheiten mehr aus, am wenigsten die Wissenschaftstheoretiker, die eigentlichen Profis dieser Disziplin. Und es sind deshalb nicht nur amerikanische Schüler, die Fake News von realen nicht unterscheiden können, wie das Interview mit Sam Wineburg in der Zeit verdeutlicht. Zu begrüßen sind deshalb Initiativen wie die von GlobalVoices, die sich um eine genauere Begrifflichkeit bemühen und unter dem Schlagwort “Fabricated News” untersuchen, wie Falschmeldungen eine eigene Wirklichkeit im Netz erschaffen, die Orwells 1984 sehr nahe kommt.
Das ist wichtig festzuhalten, denn das wird auch bei der Bewertung von Kundenanalysen durch künstliche Intelligenz eine große Rolle spielen. “Pizzagate” ist schon längst ein geflügeltes Wort und nach einer Untersuchung des Pew Research Centers teilen nach wie vor zu viele Bürger Fake News. Denn wir teilen sowieso alle tagtäglich mehr oder minder “wahre” Aussagen mit unserer Umwelt. Aber: Es ist ein Unterschied, ob man bewusst lügt und Falschmeldungen verbreitet oder unbewusst auf einen Holzweg geraten ist. Die Praktiken der Ersteller von Fake News wurden im Tagesspiegel oder der Washington Post in Gestalt von Ben Goldman aufgezeigt – und hiergegen muss sich seriöser Journalismus behaupten, wie es z.B. Claus Kleber in seiner Antrittsvorlesung fordert. Er betont zu Recht, dass zwischen einer schnell geäußerten Meinung und einer guten Recherche einfach viel Schweiß und professionelle Erfahrung liegen. Und wenn wir uns schon nicht auf absolute Wahrheiten beziehen können in unserer Bewertung von Informationen, so können wir sehr wohl die Haltung zu dieser Suche und ihrer Erstellung beurteilen.
Jacob Nelson hat auf CJR detailliert gezeigt, dass man dabei keine schöne Zuordnung machen kann zwischen Fake-News-Lesern in ihrer vermeintlichen Blase und anderen: Die meisten Fake-News werden zwar über die sozialen Netzwerke geteilt und lanziert, aber die meisten Menschen nehmen auch andere Quellen wahr. Und die “reinen” Anhänger von Fake-News, d.h. solche, die nur die entsprechenden Seiten wahrnehmen, sind in der Minderheit.
Zurück zur Ausgangsfrage: Wo zieht man die Grenze zwischen bewussten Falschmeldungen zur Irreführung und fehlerhaften Informationen aufgrund der menschlichen Unzulänglichkeit? Und was bedeutet das für die Medien?
Festzuhalten ist:
- Es gibt keine absolute Wahrheit, keinen Kodex, kein festes Fundament, auf dessen Basis man wahr und falsch für alle gleichermaßen trennen kann. Es gibt aber sehr wohl eine moralische Haltung zur Wahrheit und damit der Nutzung von Medien, die Persönlichkeitsrechte aber auch den Anspruch auf Meinungsäußerung umschließen. Wir haben das im Grundgesetz gar nicht mal so schlecht verankert.
- Es gibt keine Erfahrungswerte, denn wir befinden uns in einem radikalen Umbruch durch die digitalen Medien, in dem wir den Gebrauch erst erlernen und im Ausprobieren sinnvolle Grenzen erfassen müssen.
Daraus folgt:
- Medienkompetenz muss in den Schulen gelehrt werden (wir hatten das schon mehrfach erwähnt). Dazu gehören Quellenkunde und rechtliche Fragen, Technologieverständnis und die Fähigkeit, Algorithmen in ihrer Wirkung zu bewerten. Die Kultusministerkonferenz hat eine Strategie entwickelt für die “Bildung in der digitalen Welt” und Aufklärungskampagnen wie die von bildungsklick sind Zeichen für eine Veränderung. Das sind die richtigen Signale. Denn die Lage ist mittlerweile auch in Deutschland so angespannt, dass z.B. der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) in seinem Manifest HALTUNG ZÄHLT zu einem “respektvollen Miteinander” aufgefordert hat, um der Verrohung im Umgangston schon in der Schule entgegenzutreten. So sinnvoll das Manifest ist – es muss begleitet werden mit einer Lehre über den richtigen Umgang mit den Medien – und zwar schon in der Schule.
- Guter Journalismus muss zeigen, warum er gut ist und seine Arbeit darlegen. Quellenkunde heißt auch, dass man immer darstellt, wo man wie gearbeitet hat. Redlich nach dem richtigen Blick auf die Welt zu trachten ist keine schlechte Haltung. Das heißt aber auch, dass man eine Marke im Netz aufbaut, die beachtet wird. Digitale Kompetenzen sind für den Journalismus genauso wichtig wie Markenführung und eine transparente Haltung. Und vor allem muss klug in neuen Geschäftsmodellen gedacht werden, die eine Finanzierung ermöglichen. Die Zukunft kann nicht heißen, dass guter Content nichts wert sei. Sie muss heißen, dass durch kluge Geschäftsmodelle der Aufwand für guten Journalismus bezahlbar wird. Stefan Plöchinger und Volker Schütz mögen mit ihren klugen Aufrufen stellvertretend stehen für einen kritischen Journalismus, der digitale Medien sinnvoll zu nutzen sucht und nicht in die Falle tappt, Qualitätsjournalismus mit dem Geschäftsmodell gedruckter Zeitungen zu verknüpfen. Die “10 resolutions for managers leading newsrooms in 2017” der traditionell lesenswerten Columbia Journalism Review zeigen, wie man nach Niederlagen erst recht Kräfte bündeln soll.
- Die Rolle der sozialen Netzwerke und von Google müssen kritisch kommentiert und in ihrer gesellschaftlichen Rolle neu bewertet werden. Carol Cadwalladr hatte im Guardian schon Anfang Dezember gegen die Netzwerke der rechten Populisten und die Untätigkeit von Google und Co. gewütet (die Autocomplete-Funktion ist in Deutschland aufgrund eines Urteils des BGH eingeschränkt, wenn sie Persönlichkeitsrechte verletzt). Jens Schröder fordert auf meedia zu Recht eine andere Haltung von Zuckerberg und Co.: Facebook ist nicht nur ein soziales Netzwerk und Google keine reine Suchmaschine. Sie agieren durch ihre Auswahl an Informationen wie Verleger, durch ihre Größe wie Staatsapparate mit viel Macht (wir verweisen einmal mehr auf Ekströms klaren Blick auf Googles Bedeutung bei der Bewertung von wahr und falsch). Sie müssen deshalb auch wie solche behandelt werden und man darf auf die rechtlichen Schritte gespannt sein vor dem Wahlkampf 2017. Gegen Firmen und Personen, die bewusst Falschmeldungen verbreiten, muss man sich wehren. Rechtliche Schritte wie die der Rosenheimer Polizei sind Beispiele. Dabei ist Fingerspitzengefühl nötiger denn je. Den Postillon oder die Heute-Show sollte niemand meiden müssen – diffamierende Hetze schon. Hier stehen wir erst am Anfang einer Debatte, die nicht trivial ist. Zensur will niemand, Propaganda aber ebenso wenig. Allein rechtliche Mittel werden das nicht lösen.
Und dass die Zusammenarbeit von Facebook mit Correctiv alles andere als die ideale Lösung ist zur Bekämpfung falscher Nachrichten, wird sehr schnell in der aktuellen Diskussion sichtbar (hier auf KenFM oder hier auf telepolis von Heise). - Die Verantwortlichen im Marketing müssen gut überlegen, wem sie ihr Budget überlassen. Die Finanzierung von Marketingunternehmen wie dem von Breitbart hat die NYT in einem Artikel von Pagan Kennedy ausführlich dargelegt. Wer nicht will, dass seine Werbung auf rassistischen und frauenfeindlichen Seiten gezeigt wird und wer nicht will, dass Populisten und Erfinder von Fake-News wie Breitbart und Co. Geld und Macht gewinnen, der muss Haltung zeigen. Denn die Reichweiten dieser Seiten steigen und in den USA auch der politische Einfluss. Da werden gerne “Kompromisse” gemacht. Geld stinkt nicht.
Im zweiten Teil geht es nächste Woche um die Möglichkeit, durch digitale Kundenanalyse und das geschickte Zuspielen von Informationen (über bots) die öffentliche Meinung gezielt zu manipulieren. 1984 lässt grüßen.
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