Hatte Brockhaus überhaupt eine Chance gegen Wikipedia? Ich denke nein. Denn es ist nicht nur die Kraft der Masse, die jeder Redaktion überlegen ist, wenn die Datenmenge exponenziell anwächst. Es ist der Einsatz der richtigen Technologie zur rechten Zeit, der für einen Schwung sorgt, der traditionelle Geschäftsmodelle über den Haufen wirft. Die Weiterentwicklung der Angebote bei Wikipedia macht das deutlich, denn jetzt werden die Möglichkeiten des digitalen Publizierens weiter konsequent ausgeschöpft.
Was kann schon eine noch so gut geleitete Redaktion gegen viele begeisterte Autoren ausrichten? Nur die Inhalte sind es nicht, die entscheiden. Es ist die Möglichkeit, schnell und flexibel Inhalte auszuwählen, zu bearbeiten und in den richtigen Kontext zu stellen. Und das ist im digitalen Zeitalter nicht mehr allein eine Frage der Lektoren und Redakteure, sondern auch der richtigen Technologie. Wenn die richtigen technologischen Möglichkeiten gezielt eingesetzt werden, so kann die Arbeit auf viele Schultern verteilt werden. So wie bei Wikipedia eben alle Autoren zugleich zu Verlegern und zu Lektoren werden.
Jetzt geht Wikipedia noch einen Schritt weiter. Jeder kann sich künftig jeder sein eigenes Buch selber basteln:
Es ist der konsequente Schritt ins mobile Publishing: Der Webauftritt ist der Ausgangspunkt, der Steinbruch, aus dem sich die Kunden bedienen können. Aber die Erstellung einer eigenen Bibliothek, die Nutzung am eigenen Arbeitsplatz, die Integration in die eigene Lebenswelt, die werden weiter ausgebaut. Der Kunde soll das Wissen als Bestandteil seines Lebens nutzen können, mobil oder zu Hause. Er kann sich jeden Artikel in der Form aneignen, die er braucht. Er kann diese Artikel mit anderen, eigenen Inhalten kombinieren, so dass eine persönliche, digitale Bibliothek entsteht. Wikipedia ist dabei nur ein Teil und fördert das Teilen.
Wikipedia zeigt damit auf, dass die künftigen Publikationsprogramme auf eines nicht verzichten werden: Curation. Kein Anbieter von Inhalten wird künftig allein unterwegs sein. Die Diskussion um die neue Plattform für Lehrer und Schüler (hier nur ein Beispiel von vielen, das die bekannten Fronten wiederholt) zeigt das: Die Verlage stehen mit ihren aufwändig entwickelten und geprüften Angeboten gegen die von Lehrern (und Schülern) selbst erstellten Materialien. Noch gelten Wikipedia-Artikel in der Schule als nicht-zitierbar. Noch vertraut man der Prüfung der Richtigkeit von Inhalten durch die Verlage. Aber alle wissen, dass auch Verlage es nicht immer so genau nehmen (können) mit der Qualität, dass auch sie dem Kostendruck Tribut zahlen müssen, dass Produktmanager die Fachredakteure ersetzen, weil die Aufgaben so vielfältig geworden sind.
Aber dieses Pfund werden sie in die Wagschale werfen müssen, wollen sie auch in Zukunft ihre Inhalte zu demselben Preis verkaufen.