Curation – können Algorithmen die Verleger ersetzen?

In der Verfilmung von 2002 des Klassikers “Die Zeitmaschine” von H.G. Wells ist es ein Avatar, der in einer fernem Zukunft die Kinder lehrt. Er verfügt über das gesamte Wissen der nicht mehr existierenden Bibliotheken und führt geschickt alle Informationen zusammen.
Er ist das Schreckgespinst aller Verleger! Was, wenn ein Algorithmus all die Mühen eines Verlages ersetzt? Wenn der Leser der Zukunft von einem Computerprogramm geleitet immer genau das erhält, was er braucht, was er wünscht? Wenn er nicht nur wie bei Amazon andere Titel empfohlen bekommt, sondern direkt zu dem geführt wird, was er wirklich will? Algorithem statt Verleger.

Die Herausforderung für Verlage lässt sich so auf den Punkt bringen:

  1. Warum sind die Inhalte, die mir ein Verlag anbietet, besser als die, die ich im Netz kostenlos erhalte, bzw. die mir von anderen Anbietern wie Firmen, Universitäten oder Autoren angeboten werden?
  2. Warum soll ich als Autor zu einem Verlag gehen?

Irgendwas muss ja ein Verlag besser machen in der Selektion der vorhandenen Informationen als eine Suchmaschine und ein Autor im Eigenverlag.
Der Verlag hat sich im Laufe von Jahren eine Marke aufgebaut, die für bestimmte Inhalte und eine bestimmte Art der Qualität steht. Er hat die Vorschläge von Autoren geprüft und abgewägt und sie dann durch das Lektorat, die Gestaltung und die Vermarktung zu einem guten Produkt gemacht. Er hat für den Leser selektiert. Und für den Autor vermarktet.

Die Grenzen der Suchmaschine
Jetzt sorgen Suchmaschinen in Kombination mit all den von Kunden selbst abgegebenen Daten dafür, dass sie mehr wissen als jeder Verlag. Aber sie können sich nur auf die Vergangenheit beziehen. Und so wie kaum ein Controller für die Innovationen in einem Verlag verantwortlich zeichnet, so werden auch Suchmaschinen nicht in der Lage sein, Neues zu produzieren.  Sie können Fundstücke aus dem Netz miteinander verknüpfen, weil diese mit denselben Metadaten versehen wurden. Aber den inneren, logischen Zusammenhang, der zu einer Innovation führt, der kann nur zufällig erfolgen. Sie können im Wesentlichen nur Zugang verschaffen.

Es bleibt also die Aufgabe der Verlage, den Kunden, den Leser zu überraschen. Durch neue Gedanken, durch eine überraschende Kombination von Vorhandenem, die mehr als eine Zufälligkeit ist. Und durch die kritische Prüfung dessen, was sonst so im Netz kostenlos eingestellt wird, so wie es Corinna Milborn am Beispiel eines Fotos aufzeigt. Im Journalismus ist man oft bei der Formulierung des eigenen Mehrwerts im Netz schon einen Schritt weiter als in den Buchverlagen, weil die Konkurrenz der Hobbyreporter schon länger zu spüren ist als die der Hobbyverleger.

Was bedeutet das für die multimediale Aufbereitung von Inhalten und der guten Verlinkung dieser Inhalte mit dem Wissen im Netz?
Verlage verfügen über das Know How, Inhalte so zu veredeln, dass Wissen daraus wird. Sie sind die Experten der Vermittlung. Aber sie müssen die multimedialen Plattformen bedienen lernen. Und sie müssen die Grenzen ihrer eigenen Arbeit akzeptieren und den Leser zu anderen Quellen führen. Denn kein Verlag wird gleichermaßen gut Texte, Bilder, Filme und Audio beherrschen. Er wird mit diesen Spezialisten zusammenarbeiten müssen. Er wird kooperieren müssen mit anderen. Das fällt schwer, weil man bisher die Oberhoheit hatte, die schöpferische Leistung und Botschaft des eigenen Autors unters Volk zu bringen.

Die Vermarktung
Bisher war der Autor glücklich, wenn ihm der Verlag das Buch gedruckt und in den Handel gestellt hat. Ein eBook kann er selber herstellen. Es bei Amazon oder Apple in den digitalen Handel zu schleusen ist ein Kinderspiel. Seinen Freunden auf Facebook kann er auch davon erzählen. Und jetzt will er wissen, wo der Verlag das Buch vermarktet. Konnte der Einkauf von Büchertischen bei Thalia und Hugendubel bisher dem Autor noch als Geheimwissenschaft verkauft werden, so steht der Verlag jetzt gehörig unter Druck. Er muss beweisen, dass er die Botschaft des Autors noch besser aufbereiten kann als dieser selbst, und dass er auch besser an die Zielgruppen gelangt als die Autoren.

Der Verleger muss sein Team neu formieren
Wir müssen Abschied nehmen von einem lang gepflegten Bild, dass das Abendessen mit dem Autor, dem Experten, dem Wissenden auch die Geburt des Neuen ist. Das zähe Ringen von Lektor und Autor sind nur noch ein Teil einer Wertschöpfung, die im digitalen Umfeld ein ganzes Team von Kreativen fordert. Die Veredelung der Information braucht heute mehrere Teilnehmer als bisher. Und den ständigen Austausch von Wissen. Das kann keiner mehr alleine.
Das heißt Curation: Das Richtige auswählen aus der Fülle der Informationen, es gut aufbereiten und in einen neuen Zusammenhang stellen und es gut zugänglich machen für die passende Zielgruppe.

Hier liegt die Chance für das, was in fünf Jahren vielleicht noch Verlag oder Medienhaus heißt, aber eine andere Wertschöpfungskette anbieten wird.
Immerhin ist das noch mehr als in der Verfilmung “Die Zeitmaschine” von 1962, in der die Bibliothek zu Staub verfällt. Und damit für immer verloren ist.

Mehr zum Thema Curation steht in unserem Aufsatz “Curation – die neue Wertschöpfung von Verlagen”. Dieser ist im Special von mobile zeitgeist zum Thema “digital publishing” nachzulesen. Und auch das ist eine neue Form der Vermarktung: Leser können das Heft kaufen oder einfach per tweet zahlen.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.