Sascha Lobo gründet einen Verlag, um allen Verlegern zu zeigen, dass seine Ratschläge funktionieren. Michael Krüger erinnert an den Kulturauftrag der Verlage und fürchtet den Ausverkauf der Werte im Netz. Die Reden zur Jahrestagung des AKEP (Arbeitskreis Elektronisches Publizieren) und den Buchtagen zeigen die Bandbreite der Branche. Mitarbeiter in Verlagen wissen um HTML5 und EPUB 3, iBooks Author und die Buzz-Words der Branche wie Curation, Big Data oder Content Syndication sind mittlerweile den meisten bekannt. Es gibt Verlage, die schon seit über zehn Jahren Software verkaufen und in Start-Ups investieren, denen das Urheberrecht so fremd ist wie anderen Google Currents.
Zugleich verabschieden die Mitglieder des Börsenvereins eine Kampagne für das Buch und wollen zur Buchmesse einen Vorschlag zur Gestaltung des Urheberrechts vorlegen. Es scheint, als sei die Branche in vielerlei Hinsicht auf verschiedenen Wegen unterwegs. Und uneins über die Schwerpunkte, die zu setzen sind. Sie zeigt sich so bunt wie selten zuvor.
Es gibt das böse, von Piraten bevölkerte Netz mit all seinen Bedrohungen für die gewohnten Geschäfte. Manche Verlage wirken genauso behäbig wie die englische Marine und beharren aus welchen Gründen auch immer auf angestammte Rechte für die Seewege, die die Waren aus den Kolonien in die Heimat bringen. Andere werben um die digital Natives dieser Welt und stellen sich selbst bewußt als Kreis alter Herren bloß. Haben die modernen Piraten etwa schon längst gewonnen, weil sie erst gar nicht in See stechen, sondern dem Leser auch zu Land und in der Luft ihre Dienste anbieten? Und das geruhsame Lesen im Gedruckten den Touristen der Kreuzfahrtschiffe überlassen?
Die Debatte um das Urheberrecht erscheint dabei als Projektionsfläche für all die Ängste und Wünsche in dieser Umbruchsituation. Bei dem Versuch, die aufgeheizte Debatte zu verstehen, finden sich mehrere Erklärungsversuche.
Money, money, money
Sicher ist es ein Machtkampf um die Fleischtöpfe. Bei dem mit allen Haken und Ösen gekämpft wird und bei dem es um Geld und Macht geht. Die großen Technologieriesen wollen die Inhalte (=Content) so günstig wie möglich, weil sie so ihre Ökosysteme billig speisen können. Und dann verkaufen Sie Kundendaten, Hardware oder andere Produkte und verdienen an den Werbeeinnahmen oder der Distribution. Unterstützt werden sie von all den zahlreichen Dienstleistern und Beratern, die sich mit den neuen Technologien goldene Nasen verdienen und ihren (alten) Wein in neuen Schläuchen verkaufen.
Wie jede Betrachtung greift auch diese zu kurz, trotz der Wahrheitskörnchen, die sie enthält. Sie versteht nicht, dass die Dynamik der Entwicklung nie erreicht würde, wenn sie nicht auch aus vielen anderen Motiven gespeist würde. Und dass es zum Teil dieselben sind, die die bestehende Branche groß gemacht hat.
Sascha Lobo hat in seinem Vortrag auf der AKEP-Tagung historische Beispiele aus der über 500 jährigen Geschichte der Verlage gezeigt, die belegen, dass es immer verschiedenste Ideen gab für die Verbreitung von Wissen. Und dass sich viele Argumentationsmuster und Geschäftsmodelle der digitalen Zeit schon früher zeigten. Natürlich belegen diese einzeln herausgegriffenen Beispiele nicht, dass die Vergangenheit wirklich so war und die Zukunft wirklich so sein wird. Aber sie zeigen die Vielfalt der Ideen und Motive, die am Werke sind, wenn wir über den Markt für Inhalte sprechen.
Es gibt digitale Produkte, die besser sind als ihre gedruckten Vorgänger
Zahlreiche Autoren und Anbieter von Informationen freuen sich über die Möglichkeiten der Wissensvermittlung, die ihnen jetzt geboten werden. Ein interaktives Sachbuch kann einfach ein tolles Produkt sein. Punkt. Ein Lehrwerk, das die Inhalte von Lesern einbindet und eine gute Orientierung bietet im Dschungel der Informationen aus dem Netz und von anderen Verlagen, ist per se erst einmal gut. Ein Reiseführer, der den Weg vom aktuellen Standort zur nächsten Sehenswürdigkeit anzeigt und auf Abendveranstaltungen vor Ort hinweist, erscheint vielen nützlich.
Diese Möglichkeiten ziehen kreative Geister an. Die Freude an der Gestaltung in einem Umfeld, das noch nicht beackert ist, bietet ungleich größere Anreize als vorgegebene Produktformen. Und die Verlage laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Seit Jahren zeichnet es sich schon ab, dass gute Leute immer schwerer zu finden sind. Und dass Verlage auf der Wunschliste der Universitätsabgänger weit unten stehen. Jeder der in den letzten Jahren gute Mitarbeiter gesucht hat, weiß ein Lied davon zu singen. Dass die Zukunft vieler Medienhäuser ungewiss ist, tut ihr Übriges.
Will man aber attraktiv bleiben für junge Mitarbeiter, wird man die technologischen Entwicklungen aufgreifen müssen. Oder sich bewusst für die Nische des Klosters entscheiden.
Nur für Bücher werben?
Eine Kampagne für das Buch ist verlorene Liebesmüh, wenn sie nicht die digitalen Möglichkeiten im Verbund mit bewirbt. Denn sie ginge an der Zielgruppe der jungen Kreativen vorbei. Wenn es die Medienbranche nicht schafft, weiterhin auch die Branche zu sein, die den komplexen Weg der Botschaft vom Autor zum Kunden gestaltet, dann hat sie verloren. Medienkompetenz ist wichtiger denn je. Die wenigsten Autoren und Künstler werden das gesamte Spektrum der verlegerischen Tätigkeit beherrschen wollen, sie werden Partner benötigen, die ihnen helfen bei der Gestaltung von Büchern+eBooks+Websites+…. Aber sie werden zu dem Dienstleister gehen, der ihnen die bestmögliche Betreuung garantiert. Von der kritischen Bearbeitung der Inhalte für die verschiedenen Produktformen über die Produktion bis zur Vermarktung. Vom gedruckten Buch über den Webauftritt zum enhanced eBook und mehr. Es ist eine Chance. Aber man muss sie auch ergreifen.
So wie immer, eben. Nur dass die Verlage jetzt Technologien vorgesetzt bekommen, die in ihre Produktform eingreifen, ihre eigenen Prozesse verändern und die Frage nach der Wertschöpfung und den Geschäftsmodellen stellen. Eine Druckerei konnte man abstossen. Wie man einen Autor bei der Entwicklung seiner Botschaft begleitet, das gehört zur ureigensten Wertschöpfung. Und die kann man nicht mehr auslagern.
Der Auftrag der Aufklärung
Natürlich stimmen alle Vorwürfe über die billigen Angebote im Netz, dass youporn (wir verzichten hier ausnahmsweise auf den link) weltweit für so viel Netzverkehr sorgt wie einzelne Nationen, dass der Zerstreuung durch Eitelkeiten und inhaltsleere Angeboten kein Ende gesetzt ist. Aber bitte, welche der über 70.000 Neuerscheinungen im deutschsprachigen Markt möchte man denn wirklich lesen? Es gibt im Netz viele kluge Gedanken, viele Blogs und Angebote, die sich vor keinem von einem Verlag kuratierten Inhalt verstecken müssen. Sie leben von der Bereitschaft vieler, sich mitzuteilen und mit anderen Gedanken zu entwickeln. Das ersetzt noch keinen Lektor, keine mittelfristige Entwicklung von Autoren oder Programmen. Aber die Idee dahinter ist nicht böse.
Was sich ändert sind die Geschäftsmodelle und wie man mit klugen Inhalten oder Kunst noch Geld machen kann, um sich der Entwicklung derselben zu widmen. Finanzierung durch Werbeeinnahmen, Vermarktung von Services oder Crowdfunding sind dabei Phänomene, die streng genommen den Modellen des Mäzenatentums, der gesponsorten PR oder der Finanzierung aus Drittmitteln nicht so unähnlich sind.
Wer sich einzig dabei ärgert sind die Verlage, die mit ihren bisherigen Geschäftsmodellen nicht mehr weiter kommen. Und die natürlich damit zu kämpfen haben, dass Konzerne wie Google eine Erwartungshaltung bei Kunden entwickelt haben, die zu unsinnigen Debatten und Verhaltensweisen führt. Dass Google Milliarden in Projekte investiert hat, die der Allgemeinheit kostenlos zu Gute kommen, heißt ja noch nicht, dass dieser Konzern nicht primär nach Geld und Einfluss strebt. Und dass deshalb gleich alles nichts mehr kosten soll und keinen Wert mehr hat.
Es gibt eine Zeit zu lesen und eine Zeit zu surfen
Technologische Veränderungen führen häufig dazu, dass sich schnell Befürworter und Gegner finden. Geschürt von Ängsten und Wünschen. Aber die Kunden sorgen selbst mit der Zeit für die Balance.
Natürlich bietet das gedruckte Werk Vorteile. So wie die modernen Technologien auch. Gewohnheiten verändern sich nicht von einem Tag auf den anderen und der Mensch wird gerne zu einem Buch greifen, um nicht unter Strom stehen zu müssen. So wie er gerne mit Lust das Land bepflanzt, obwohl er gerne in der Stadt wohnt. Als Verlag kann man sich in die Nische des nur gedruckten Buches begeben. Aber wenn man einen größeren Markt im Blick hat, muss man auch auf digitalen Wegen präsent sein. Hersteller von Kutschen taten auch gut daran, in einer Übergangszeit für Automobilproduzenten zu arbeiten, weil sie nur von der Landbevölkerung und den Wientouristen nicht leben konnten.
Schnellere Boote
waren schon immer wichtig für Piraten. Verlage sollten die modernen Technologien beherrschen, auch wenn sie von viel größeren Konzernen viel schneller entwickelt werden als sie es selbst könnten. Nur dann haben sie eine Chance. Wie auch immer man das Bild der Piraten interpretiert – Kathrin Passig hat in ihrem Vortrag auf der AKEP sehr schön die führenden und irreführenden Metaphern zerlegt -, will man als Kämpfer für die Freiheit der Meere überleben, muss man die Schiffe der Gegner kennen.
Der Macht großer Konzerne ist man oft ausgeliefert. Aber wo jemand zu beherrschend wird, findet sich meist bald ein Gegenspieler. Gerade im Netz! Hier können die Verlage die Position der Autoren verteidigen, sich als guter Diener der Sache etablieren, als Piraten und Kämpfer für …, ach für so vieles. Aber es wird nicht gegen die neuen Technologien gehen. Luther brauchte auch die Flugschriften, bediente sich der Drucker und verhalf der Druckkunst erst richtig zum Durchbruch.
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