Es gibt viele Gründe für das gedruckte Buch, es gibt viele Gründe für das digitale Werk. Mit dem Tablet wurde ein neues Gerät auf den Markt gebracht, das vorher niemand vermisst hat und das natürlich die Frage aufwirft, ob wir das denn wirklich alles brauchen und wollen. Damit sich Erfindungen zu Innovationen entwickeln, die eine Gesellschaft verändert, bedarf es mehrerer Faktoren. Vor allem bedarf es einiger Kunden, die das Produkt wollen. Gehört die Wissenschaft dazu?
Wer will die Digitalisierung?
Durch die Marktmacht von Apple, Amazon, Google und Co. sind Verlage und Buchhandlungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht bzw. stark betroffen. Die Geschäftsmodelle müssen verändert werden. Das bisherige Portfolio wird nur begrenzt weiterhelfen. Aus der Sicht der Verlags- und Buchhandelsbranche bedeutet das einfach verdammt viel Arbeit, Umdenken und Flexibilität. Nicht so einfach, wenn man gerne das eigene Bankkonto füllen und die Gehälter der Mitarbeiter pünktlich zahlen will.
Die Dynamik der Digitalisierung lässt sich jedoch nicht allein aus den cleveren Geschäftsstrategien einiger Konzerne erklären und als Kampf der Geschäftsmodelle. Es muss Mitläufer und Nutznießer geben, sprich Kunden, die ein digitales Produkt wollen.
Wenn es einen fassbaren Mehrwert gibt, wird sich Innovation auch langfristig durchsetzten.
Wann setzen sich Innovationen durch?
Jared Diamond hat in “Arm und Reich” aufgezeigt, dass Erfinder immer auf anderen aufbauen und eine Gesellschaft reif sein muss für das Neue. Er listet viele Beispiele auf für Erfindungen, die sich nie oder erst viel später durchgesetzt haben. Für die Verlagsbranche am eindrucksvollsten ist natürlich die “Scheibe von Phaistos”, die ca. 1700 v.Chr. entstand und das älteste Zeugnis der Druckkunst ist. Sie ist ein Beleg für die These, dass eine Erfindung allein noch keinen Sommer macht. Bis sie zu umgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft führen kann, muss ihre Anwendbarkeit noch erprobt, ja oft auch erst erfunden werden. Diamond listet vier wesentliche Gründe auf, wann eine Erfindung gesellschaftlich akzeptiert wird und damit zu durchgreifenden Veränderungen führt:
- wenn sie wirtschaftlich sinnvoll ist;
- wenn sie soziales Prestige mit sich bringt;
- wenn sie mit den Interessen mächtiger Gruppen in der Gesellschaft vereinbar ist;
- wenn die Vorzüge schnell und klar erkennbar sind.
Die ersten beiden Punkte haben sich schon bestätigt, der dritte Punkt ebenso, weil es neben der Medienindustrie viele mächtige Interessensgruppen gibt, die von der digitalen Revolution profitieren.
Bleibt also der 4. Punkt, den wir uns näher ansehen. Und hier im Besonderen die Wissenschaft als ein möglicher Kunde.
Die Wissenschaft und die Digitalisierung
Die Wissenschaft und mit ihnen die Bibliotheken verstehen sich als Bewahrer und Förderer der Kultur. Sie haben über Jahrhunderte dem gedruckten Buch vertraut. Wie sehen sie denn die Digitalisierung?
Einige Gründe für die Vorteile von digitalen Produkten haben wir schon aufgeführt:
- Universitäten können selbst verlegerisch tätig werden.
- Enhanced eBooks bieten eine didaktisch bessere Vermittlung von Wissen.
- Interaktive Plattformen bieten einen Austausch von Wissenschaftlern untereinander.
Auf einer Fachtagung mit dem Titel “Alles digital? E-Books in Studium und Forschung” meldeten sich die Wissenschaftler selbst zu Wort.
Digital wird das Buch der Wissenschaft einigen Mehrwert bieten. Als “offenes und vernetztes Medium” (Maier/Richter) ermöglicht es Lehrenden und Studierenden einen unmittelbaren Austausch. Wie dieser erfolgen wird und ob hierbei Verlage profitieren werden, ist offen. Aber aus der Sicht der Lehre zu begrüßen.
Die Qualität der Lehre kann durch enhanced eBooks und/oder Apps (Wasserek, Delius) verbessert werden, allein durch Mobilität, Personalisierung und Interaktion.
Einen Nutzen werden Bibliotheken aus der Bündelung von Angeboten ziehen können, wenn es darum geht, ganze Pakete geliefert zu bekommen statt vieler Einzelprodukte. Gerade durch Flatrates wird der Zugang zu einer größeren, schon strukturierten Datenmenge erleichtert (von Lucius, Mumenthaler und Mirallas Hernandez). Bibliotheken können ihre Rolle als Vermittler umfänglicher gestalten: sie können die exponentiell ansteigenden Informationen kostengünstiger mehr Personen zur Verfügung stellen. Vorausgesetzt, sie beherrschen die neuen Technologien. Mit Riffkin legt Trommershausen dabei den Schwerpunkt auf den Zugang zum Wissen als Herausforderung für die Bibliotheken und Verlage. Und dieser wird digital sein.
Was interessiert Wissenschaftler?
- Sie sind an einer möglichst guten Verbreitung der Inhalte interessiert. Ihrer eigenen und der der anderen. Und der Zugang sollte so einfach wie möglich sein.
- Sie wollen anerkannt werden für ihre Leistung und hüten diese deshalb so lange vor den Konkurrenten, bis sie durch eine “offizielle” Veröffentlichung belegen können, dass sie der Schöpfer sind.
- Und damit verbunden sind sie an einer Steigerung ihres Ansehens interessiert. Dieses wird bisher durch möglichst angesehene Fachzeitschriften ermöglicht.
Die Schlussfolgerung wird lauten, dass die wissenschaftliche Gemeinde ein großes Interesse haben wird, die digitalen Angebote voranzutreiben – und dadurch den Umbruch beschleunigt.
Auch hier stehen sich der Wunsch nach einer großen Verbreitung und eines einfachen Zugangs und der Wunsch nach Anerkennung des Urhebers im Weg – wenn man an die bisherigen Geschäftsmodelle denkt. Hier wird es für Verlage spannend sein, ob sie nach wie vor ihre Aufgabe als Gatekeeper wahren können, als unabhängige Prüfinstanz, die wie ein Notar ein anerkanntes Siegel verleiht. Oder ob ganz andere Notare gefragt sind. Der Protest einiger Wissenschaftler gegen Reed Elsevier könnte dann nur der Anfang sein.
Natürlich erschien der Tagungsband nicht nur in gedruckter Form, sondern ist auch kostenlos als Download erhältlich. Und die Finanzierung erfolgte zwar nicht durch crowdfunding, aber durch die schon etwas länger bekannte Förderung durch Stiftungen. Das Verlegen und Vertreiben von “Content” ist noch nie eine einfache Goldquelle gewesen.
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