Facebook Paper – eine neue Plattform für Verleger?

Wo liegt die Zukunft von Facebook? Die Kritiker der sozialen Netzwerke freuen sich darüber, dass die Nutzerzahlen bei den Jugendlichen 2013 bei Facebook rückläufig sind. Dass sich Kinder nie so gerne im Kegelclub der Eltern tummeln ist verständlich und sich mit anderen auszutauschen kann man auch über WhatsApp. Zugleich gibt es gute Gründe für eine Weiterentwicklung von Facebook zu etwas anderem als einer Austauschplattform für Jugendliche, um auf dem Unicampus neue Partner kennenzulernen. Martin Weigert hat eine Reihe von möglichen Szenarios für Facebook vorgestellt. Wir nehmen die neue App Paper von Facebook zum Anlass für einen Blick in die Zukunft.

Facebook Paper

Die neue App Paper zeigt einen möglichen Weg auf und dürfte für Verlage wichtig sein, nicht nur aufgrund der geradezu euphorischen Besprechungen in US-Techie-Blogs wie The Verge (“Facebook just blew its own iPhone app out of the water”) oder Techcrunch (“It Could Be A Facebook Replacement”). Interessant ist aber auch die Begleitmusik, mit der die Entwickler diese beschreiben. Mike Matas (Produktdesign) und Michael Reckhow (Produktmanager) nehmen im Interview Begriffe in den Mund, die stark an die Verlagsbranche erinnern:

“Reckhow says that there are “tools that were out there for sharing high-quality stuff and also the tools where you could reach an audience,” but that too often they aren’t the same thing. “We felt you shouldn’t have to choose between one or the other,” he says.
 
Matas goes so far as to say that “it’s a publishing tool, a way of publishing great content, and a way of viewing great content“. 
 
“You really want people to spend a little bit of time with it and appreciate that content,” Matas says, “almost like when you go to a museum and you spend a little bit of time with each thing.”
 
 
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Mit Paper will sich Facebook nicht nur als Treffpunkt verstehen, sondern auch als Plattform für die Gestaltung eigener Inhalte. Es ist von “storytelling” die Rede, von der Möglichkeit, dass jeder seine Geschichte schreibt. Und zwar mit Bildern, Texten, Videos…

Wie fühlt sich Paper an?

Paper: Screenshot

Die Timeline-Ansicht von Paper: Oben Top-Themen-Slider, unten Swipe-Navigation durch die Beiträge.

Obwohl die App “offiziell” nur in den USA zu bekommen ist, haben wir Paper kurz angetestet (wer wissen will wie das außerhalb der USA geht, findet hier bei The Next Web eine Schritt-für-Schritt-Anleitung):

Füttert man die App mit seinem Facebook-Account und schaut sich nur kurz um, kann man die Beurteilungen der US-Blogger relativ schnell verstehen. Obwohl die App auf den ersten Blick zunächst nichts anderes ist als ein alternatives Frontend für die Facebook-Timeline, sieht sie spektakulär aus. Die Oberfläche bietet eine tolle Ästhetik, die Blätter und Swipe-Effekte sehen klasse aus, ohne überladen oder übertrieben zu wirken.

Paper bietet in der Konfiguration zunächst die Auswahl zwischen verschiedenen Content-Channels: Die eigene Timeline ist ein möglicher davon, dazu kommen kuratierte Channels wie “News”, “Tech”, “Ideas” und andere Motto-Kanäle. Betritt man die App, findet man sich sofort intuitiv zurecht – die Navigation erfolgt ausschließlich visuell und über Touch/Swipe-Gesten. Man merkt hier sofort, dass bei der Entwicklung rein auf Tablet/Smartphone hin optimiert wurde. Die Channel-Ansicht zeigt in einem zweigeteilten Display Top-Beiträge mit großen Foto-Ansichten und in der anderen Hälfte die einzelnen Beiträge des Channels. Die Navigation erfolgt über links/rechts-Gesten.

Paper: Screenshot

Channel- und Beitrags-Ansicht von Paper. Alle zentralen Facebook-Funktionen sind vorhanden. Und sehen auch noch gut aus.

 

Innerhalb der Channel- und der Beitrags-Ansicht sind alle wesentlichen Facebook-Funktionen über kleine Piktogramme präsent: Im Channel ist “Freunde finden”, Chatten und Benachrichtigungen untergebracht, im Beitrag der übliche Like/Comment/Repost-Dreiklang. Obwohl in deutlich reduzierter Optik präsentiert, bedient sich alles komplett intuitiv, weil die Funktionalität komplett identisch zum großen Bruder implementiert ist.

Ist es wirklich die Killer-App?

Ja und nein. Die Funktionalität der App und Präsentation des Content ist einfach toll und es macht wirklich Spaß sich in den Inhalten zu bewegen. Die Entwickler haben hier eine zeitgemäße, schicke Oberfläche für die Präsentation von Themenchannels implementiert, die sich an den UI-Paradigmen von Flipboard oder Zite orientiert, ohne einen platten Klon abzuliefern. Und wer beim alltäglichen Beitrags-Overkill der normalen Facebook-Timeline verzweifelt, weil er in der Flut der News erstickt, wird von der reduzierten und kuratierten Ansicht begeistert sein.

Aber wo Licht ist, ist auch Schatten: Die kuratierten Channels sind bisher relativ wenige und decken bei weitem nicht alle relevanten Themen ab. Zumal bei den Themen-Channels das Auswahl-Prinzip weitgehend im Dunkeln bleibt. Hier wird es für den Erfolg auf Dauer darauf ankommen, mit den Themen viel mehr in die Breite zu gehen. Und natürlich wird entscheidend sein, dass sich die Masse der Nutzer im Kuratierungs-Ergebnis auch wiederfindet – die richtige Mischung aus Algorithmus und Kuratoren vorausgesetzt.

Nutzer, die Facebook eher professionell nutzen, d.h. ihre Timeline ohnehin nur sekundär verwenden, und ihre Beiträge vor allem über Gruppen und Listen organisieren und konsumieren, werden von Paper zunächst wahrscheinlich ziemlich enttäuscht sein: Zu keiner der beiden Facebook-Elemente bietet Paper eine Schnittstelle. Hier wäre sicherlich wünschenswert, beispielsweise Listen als Channels auswählen zu können oder Gruppen-Streams einbinden zu können. Insofern zielt die App zunächst eher auf den Privat- und Casual-Nutzer als auf Facebook-Profis und Social Media-Spezialisten. Kritiker bemängeln deshalb bei allem Lob auch die Grenzen bezüglich der Bilddarstellung, Navigation und Offenheit im Vergleich zu anderen News-Aggregatoren.

Bewertung & Perspektiven

In einer Hinsicht hat Facebook mit Paper einen Wurf gelandet: Es bietet einen modernen und attraktiven Zugang für alle, denen das Netzwerk in der mittlerweile reichlich komplexen und ausgefeilten Web-Oberfläche schlicht zu überladen ist und eher zu viele als zu wenig Funktionen beinhaltet.

Nicht dass Facebook damit auch sofort auch ein Verlagsprogramm aufstellt und von Selfpublishing ist (noch) nicht die Rede. Aber es hat Kuratoren eingestellt, die guten von schlechtem Inhalt unterscheiden und den Nutzern Vorschläge machen werden. Es bietet Werkzeuge zur einfachen Bearbeitung von Inhalten.

 

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All das sind Fähigkeiten, bei denen Verlage seit der Digitalisierung nicht mehr die erste Geige spielen. Sie beherrschen nicht mehr das Spiel der Plattformen. Und das heißt, dass sich die Kunden durch die Angebote von Facebook an Standards gewöhnen werden, die die Erwartungshaltung an Verlage vergrößert.

Offen ist, ob Facebook hier eine Plattform schafft, die für Verlage interessant wird. Denn hier können anspruchsvollere Inhalte besser dargestellt werden und als News-Aggregator ist es allemahl eine Konkurrenz zu Zite, Flipboard oder Feedly. Die enge Verknüpfung zum eigenen Facebook-Account ist auf alle Fälle ein Vorteil zum Start. Einig sind sich alle Kommentatoren, dass diese App eines schafft: sie verlangsamt. Der Nutzer verweilt länger bei den Inhalten und vertieft sich in diese. Vielleicht ist genau das die richtige Antwort auf den Zulauf der über 55-Jährigen und die Abwanderung unter den Jugendlichen.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.