Kolumbien hat in den letzten zehn Jahren so viel in öffentliche Bibliotheken investiert wie kaum ein Land der Welt. Die Regierung fördert mit Kampagnen und viel Geld das Lesen und viele junge Menschen beteiligen sich an zahlreichen Projekten zur Förderung des Wissens. In Medellín und Bogotá sind Musterbauten entstanden, aber auch in den Slums und entlegenen Dörfern arbeiten viele Förderer des Lesens mit einfachen Mitteln, Tag für Tag. Sicher, die Ausbildung bleibt teuer, ist nicht allen zugänglich und die Kriminalitätsrate ist hoch. Aber es ist bewundernswert, wie man durch die Förderung des Lesens in die Bildung des Landes investiert.
Und das über Bibliotheken! Denn diese müssen sich durch die Digitalisierung ebenso neu positionieren wie Verlage: Wollen Sie der beste Aggregator sein, den schnellsten und günstigsten Zugang zum Wissen vermitteln oder lokal eine Gegenposition zu Amazon und Google sein, die schönsten Lesesäle bieten und ein Ort für Begegnungen und Austausch oder der Zugang zu allen digitalen Produktformen? Der Möglichkeiten gibt es viele und auch hier gilt, dass alles auf einmal nicht möglich ist. Bibliotheken müssen sich entscheiden. Dass Bibliotheken schon längst wie Verlage agieren, zeigt ein Blick auf das Library Publishing Directory oder die Studie The Once and Future Publishing Library von Ann Okerson und Alex Holzman.
Carlos Andrés Hoyos Pérez ist ein begeisterter Leiter seiner Bibliothek, der Biblioteca Pública Virgilio Barco in Bogotá, Kolumbien. Im Gespräch mit ihm spürt man, dass hier nicht nur ein teures Vorzeigeprojekt mit dem Stararchitekten Rogelio Salmona realisiert wurde. Diese Bibliothek lebt dadurch, dass allen im Umfeld ein Platz angeboten wird, dass die Hürden abgebaut werden, wenn sich manche nicht in die Nähe trauen, dass Projekte mit vielen Helfern die Inhalte der Bibliotheken zeigen, aber auch durch neue Projekte die Bibliothek zum Ort der Begegnung machen. Und dass die Bibliothek der Ort der vielen Sprachen ist – und nicht nur die der Schrift. Alle Formen der Kommunikation werden hier gepflegt.
Ich wünsche mir von meiner Bibliothek, dass sie nicht nur Bücher verwaltet. Sie sucht mit mir nach allen Ausdrucksformen, die das Leben reicher machen. Sie bietet Bücher, Videos, Fotos, Grafiken, Lesungen, Theater, Musik und Kunst. Alle Sprachen versammeln sich und dadurch kann sie auch all den neuen, digitalen Sprachen offen gegenüber sein.
Ihre Architektur inspiriert mich. Sie bietet mir immer wieder neue Einblicke, Ausblicke, Standpunkte.
Ich habe Lesesäle. Dort finde ich mich mit anderen auf der Suche und vertiefe mich in Texte. In der Videothek kann ich Musik oder Filme sehen.
Es gibt Bühnen für verschiedenste Vorführungen. Vorträge können dort genauso stattfinden wie Theaterstücke. Musiker fühlen sich dort so wohl wie Tänzer.
Ich erhalte einen einfachen Zugang zu allen möglichen Inhalten. Die Nutzung ist einfach und wenn ich keine Möglichkeit habe, digitale Inhalte gut anzusehen, so kann ich auf eines der Geräte der Bibliothek zugreifen. Meine Bibliothek weiß, was Metadaten bedeuten, wie man sie am besten pflegt und entwickelt und wie sie mir den besten Zugang zu dem verschaffen, was ich wissen will. Für Blinde, Gehörlose und Taube gibt es eine entsprechende Unterstützung.
Meine Bibliothek ist ein offener Raum, der die umliegenden Bewohner und deren Gäste zur Begegnung einlädt. Jedem steht es offen, hier eigene Projekte vorzustellen und mit anderen zu teilen. Die Bibliothek hilft mir dabei, die Verknüpfung zu anderen Inhalten herzustellen. Meine Ansprechpartner in der Bibliothek knüpfen feine Netze über alle Themen, die neue Verbindungen erkennen lässt. Der Kontakt zu allen in der Umgebung ist auf allen möglichen Kanälen gegeben.
Meine Bibliothek betrachtet jede Form der Kommunikation. Musik und Tanz, Theater und Kunst – sie alle sind gleichberechtigt. In den digitalen Medien kommen sie eh alle zusammen. Und die Semiotik lehrt, dass man dann die Welt besser erkennt, wenn man alle medialen Kombinationen zu deuten weiß. Deshalb schult sie Jugendliche im Gebrauch und der Entwicklung verschiedenster Ausdrucksformen.
Meine Bibliothek weiß, dass sie Teil ihrer Umgebung ist, ein Zeichen unter vielen, ein Produkt unter vielen in ihrer Gesellschaft. Sie lässt mir Platz zum atmen und fordert mich auf zum Dialog. Sie ist der Zukunft offen zugewandt und sieht die Digitalisierung als Chance. Zugleich ehrt sie das Bestehende und bewahrt es, denn das Neue ist nicht immer das Bessere. Aber sie weiß, dass jetzt die Zeit des Umbruchs ist, dass sie jetzt mit gestalten muss. Und dass Vernetzung, Multimedialität und Interaktion neue Produktformen entstehen lassen.
Meine Bibliothek ist wie ein offener Marktplatz, eine Gemeinde Gleichgesinnter, ein Ort der Begegnung. Sie ist eine Stütze meiner Gesellschaft: biblopolis.
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