Mobile Publishing: Update August 2015

Aus Google wird Alphabet, der deutsche eBook-Markt verabschiedet sich Stück für Stück vom harten DRM und die digitalen News-Medien boomen: Von Sommerloch kann im digitalen Publizieren keine Rede sein, eher von einigen kleinen Sensationen, die das wie immer dynamische Bild der Branche prägen. Wir kommentieren wie jeden Monat die wichtigsten Trends und Entwicklungen im Mobile Publishing:

 

So entwickelt sich der Markt

Aus Google wird Alphabet: Sicherlich von langer Hand vorbereitet, aber dennoch überraschend für Märkte und Fachleute hat Google den Umbau seiner Firmenstruktur verkündet. Als zentraler Punkt wird über Google mit Alphabet eine neue Dachholding gegründet, das Kerngeschäft mit der Suchmaschine, Android, dem App-Store und Youtube verbleibt bei Google, während die Innovationsprojekte wie Nest und Calico, aber auch die Investment-Töchter als eigenständige Firmen unter dem Dach von Alphabet organisiert werden.

Als erste Einschätzungen zu den Veränderungen können wir die Artikel von The Verge und Re/Code empfehlen, für Hintergründe und Analysen die Kommentare von T3N und von Christoph Kappes zum Thema. Von der traditionell Google-kritischen FAZ kommt daneben die Diagnose der Vorgänge als “Kapitulation”, der wir uns so sicher nicht anschließen können: Egal, ob für die Umstrukturierung ein einfacheres Handling von Innovationsprojekten, bessere Aufstiegsmöglichkeiten für die eigenen Executives, klarere Markenbildung im Kerngeschäft oder Investitionssicherheit der einzelnen Firmen die größere Rolle gespielt hat – sicher erscheint uns, dass die Innovationsdynamik des Unternehmens durch den Umbau eher noch gestärkt werden wird. Als Bild dazu hier ein Überblick über die neue Firmenstruktur von Business Insider:

 

IMG_8567

Die Konzern-Struktur von Alphabet: Larry Page hält als CEO die Fäden in der Hand, Sundar Pichai übernimmt das Kerngeschäft von Google. (Quelle/Copyright: Business Insider)

 

Der eBook-Markt in der Post-DRM-Ära: Mitten ins Sommerloch platzte dieses Jahr eine kleine Sensation für den deutschen eBook-Markt: Nachdem in den letzten Monaten bereits die Bonnier-Gruppe und der Holtzbrinck-Konzern ihre Abkehr vom harten DRM im eBook-Vertrieb verkündet hatten, hat als letzte der großen Verlagsgruppen nun Random House nachgezogen. Damit haben nun alle großen Verlagsanbieter die Umstellung auf “weiches DRM” per Wasserzeichen vollzogen. Und auch wenn damit lange noch nicht der gesamte eBook-Markt erfasst ist – vor allem nicht im Amazon-Ökosystem – so ist diese Nachricht doch ein uneingeschränkter Grund zur Freude. Nach Jahren der Selbstblockade im Markt und der Belästigung zahlender Kunden mit Usability-Albträumen haben die Verlage jetzt endlich einen längst überfälligen Schritt getan, der dem eBook-Markt neuen Auftrieb geben könnte.

Nate Hoffelder spekuliert dazu bereits, wie eine Zukunft des deutschen Marktes ohne DRM aussehen könnte, daneben ist aktuell bei literaturcafe.de ein lesenswerter Exkurs darüber erschienen, was uns bis 2020 in Deutschland erwartet. Und selbst Mike Shatzkin macht sich in den USA Gedanken darüber, welche Signale diese Entwicklung in den dortigen Markt sendet.

Daneben ist es in der Diskussion einmal wieder Zeit für Grundsätzliches: Die BBC fragt in einem lesenwerten Longread “Did technology kill the book or give it new life?”, kommt dabei aber am Ende zu einem sehr versöhnlichen Schluss. Porter Anderson resümmiert die Fachdiskussionen des Jahres auf Thought Catalog und diagnostiziert eine “zweite disruptive Welle” durch die aktuellen Entwicklungen im eBook-Markt. Und das Wall Street Journal fasst mit dem vielbeachteten Artikel “The Rise of Phone Reading” die Trends um das mobile Lesen zusammen und analysiert, welche Auswirkungen die Ablösung des eReaders als dominantes Lesegerät durch das Smartphone in Zukunft haben könnte.

Digitale News im Aufschwung: Ebenfalls vom Wall Street Journal stammt die Diagnose eines Booms im Digitalmedien-Konsum, vor allem für News-orientierte Publikationen und Online-Plattformen. Auch hier ist der Smartphone-Konsum der zentrale Treiber – eine Einschätzung, die auch von diversen aktuellen Studien gestützt wird. Und auch wenn der ganz große Hype um die App-Stores aktuell abgeflaut zu sein scheint, so haben Apps vor allem für News-Medien eine besondere Bedeutung: nach der Einschätzung des Nieman Lab bringt der Browser zwar mehr Traffic auf die Seiten, aber Apps erzeugen mehr dauerhafte Kundenbindung.

Dominiert werden die App-Stores aber in den Top-Rängen nach wie vor von den sozialen Netzwerken und ihren Applikationen. Mit gewichtigen Folgen: Facebook entwickelt sich mittlerweile zur wichtigsten Traffic-Quelle für News-Seiten und auch die Verbreitung von News über Twitter durch Heavy User und Influencer sollte nach einer aktuellen Studie nicht unterschätzt werden. Natürlich wollen die Plattformen das Thema immer auch selber in die Hand nehmen: “Breaking News” entwickelt sich im Sommer zu einem neuen Schwerpunkt in den sozialen Netzwerken, denn sowohl Facebook als auch Twitter arbeiten aktuell an entsprechenden Features.

Was machen die großen mobilen Ökosysteme? Wer abseits der aktuellen News einen Überblick über die großen Entwicklungslinien bekommen will, dem empfehlen wir den Talk “The four horsemen” von der diesjährigen DLD-Konferenz. Scott Galloway gibt dabei in einem Parforce-Ritt seine Entschätzung über das Zukunftspotenzial von Amazon, Apple, Facebook und Google:

 

 

Die Technologien zur Umsetzung

Das eBook der Zukunft: Nachdem sich im Bereich der eBook-Standards lange Zeit wenig neues getan hat, kommt aktuell etwas Bewegung in die Technologie-Landschaft. Das IDPF hat gerade eine Reihe von neuen Erweiterungen für den EPUB 3-Standard beschlossen, für Funktionen wie Register, Wörterbücher und Layout-Verbesserungen. Grundsätzlich sind die Features hochinteressant, jedoch darf man nach der schleppenden Entwicklung der letzten Jahre durchaus skeptisch sein, wann die Erweiterungen auch wirklich in Markt und Technik ankommen.

Eher pragmatisch wird das Thema wie so oft von Amazon angegangen: Quasi stillschweigend wurde im August das neue KFX-Format für Kindle-eBooks ausgerollt, damit enthalten ist eine neue, eBook-optimierte Schriftart und eine verbesserte Typografie-Engine in der Kindle-Software. eBook-Futurist Peter Meyers dagegen entwirft in seinem Aufsatz “Physics and the Future of Books” ein höchst dynamisches Modell des Buchs als interaktives Datenobjekt – weit vorausgedacht und hoch innovativ, zumindest als Gedankenmodell.

Vom Hype Cycle zu den Basistechnologien: Die Analysten von Gartner haben aktuell wie jedes Jahr ihren “Hype Cycle” für Technologien veröffentlicht – von Augmented Reality über Wearables bis zum Internet of Things ist hier eine Einordnung der aktuellen Innovationen versammelt. Und wer mit der Umsetzung beschäftigt ist, wird sich sicher fragen, ob er die Einschätzungen von Gartner so teilt.

Content-Empfehlungen sind dagegen ein weniger gehyptes, aber umso öfter implementiertes Thema. Dazu hat die New York Times jüngst einen langen Artikel über die Entwicklung ihrer Recommendation Engine veröffentlicht – ein faszinierender Use Case, der auch zeigt, wie komplex das Thema im Detail ist.

Zurück zu den Wurzeln der Basistechnologien geht dagegen Bob Oeste, Entwickler an der Johns Hoskins University: im bereits etwas älteren, aber dennoch hochaktuellen Talk “Explaining XML for publishers” von der Digital Book World 2013 zeigt er anschaulich, was jeder Publisher über XML wissen sollte. Wer für sich selbst oder für sein Unternehmen einmal eine 15min-Business-Summary benötigt, sollte sich den Talk unbedingt ansehen:

 

 

So erreiche ich den Kunden

Neue Wege zum Kunden: Ein zentraler Kunden-Touchpoint im Digitalen ist und bleibt eine starke eigene Web-Präsenz – warum so viele tolle Verlage so relativ schlechte Websites haben, fragt dazu Digital Bookworld und gibt Ideen, wie man das ändern könnte. Die News-Plattform Blendle aus den Niederlanden gilt seit einer Zeit als neue Hoffnung für das Online-Publishing im Magazin-Bereich. Nun ist Blendle auch für Deutschland verfügbar, erste Tests und Einschätzungen können beim Spiegel und bei Meedia nachgelesen werden – auch wenn diese nicht allzu euphorisch klingen. Die durch iOS 9 ausgelöste Diskussion um mobiles Ad-Blocking/Content-Blocking scheint so schnell auch kein Ende zu nehmen: The Next Web zeigt sehr anschaulich, wie sich die praktischen Auswirkungen gestalten und der Guardian kommentiert die Entwicklung bereits als “Beginning of the end for web ads”. Man darf gespannt bleiben.

Content-Marketing und Content-Kuratierung: Für einen Überblick des in den letzten Jahren enorm gewachsenen Kosmos der Techniken und Strategien im Content-Marketing kann das “Periodensystem des Content-Marketing” dienen, das jüngst bei T3N veröffentlicht wurde. Mirko Lange von Talkabout stellt aktuell zwei neue Tools und Modelle fürs strategische Content-Marketing vor, die wir zur Lektüre sehr empfehlen möchten.

Ein anderer wichtiger Zweig im Publishing ist die Content-Kuratierung. Joe Wickert geht im Book Business Mag soweit zu fragen, ob Kuratoren bald wichtiger werden als Content-Autoren. Bei diesen Überlegungen müssen wir doch sehr an Ben Thompson und sein Modell der “Smiling Curve” denken, das Publishern durchaus zu denken geben sollte. Und dass Kuratierung weit mehr bedeutet als nur Auswahl und Sammeln von Content, sondern sich zu einer ganz eigenständigen Kulturtechnik entwickeln könnte, zeigen die Netzpiloten in einem überaus lesenwerten Artikel.

 

Die Umsetzung

Der Weg zu einer innovativen Firmenkultur: Ein guter Teil der nachhaltigen Umsetzung von Digitalstrategien basiert darauf, eine Firmen- und Team-Kultur zu schaffen, die innovativen und dynamischen Mitarbeitern genug Raum für neue Entwicklungen lässt. Und gleichzeitig durch Adaption von Methoden wie der agilen Projektsteuerung die strukturellen Voraussetzungen für ständige Veränderung schafft. Zu diesem Thema hat Spotify zwei bemerkenswerte Videos veröffentlicht, in denen sehr anschaulich die gelebte “Engineering Culture” des Unternehmens deutlich wird. Teil 1 ist gleich hier verlinkt, Teil 2 findet sich auf Vimeo:

 

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.