Siri für alle, Abos im Appstore: was Apple plant

Letzte Woche fand in San Francisco mit der WWDC die jährliche Entwicklerkonferenz von Apple statt. Stets werden dort die aktuellen Neuigkeiten aus der Produktwelt vorgestellt und die Weichen für das nächste Jahr der Software-Entwicklung gestellt. Was erwartet Nutzer und Kunden des Apple-Ökosystems? Auf welche Innovationen können sich App-Entwickler und Content-Anbieter einstellen? Wir geben einen Überblick über die wichtigsten Trends der WWDC:

Traditionell beginnt die WWDC stets mit einer längeren Keynote, in der quasi im Schnelldurchlauf alle News für die mittlerweile vier Betriebssystem-Plattformen von Apple vorgestellt werden. Im Vorfeld lief natürlich die Gerüchteküche heiß und selbstverständlich brannte das Produktmanagement 2 Stunden lang ein Feuerwerk von großen und kleinen Innovation ab. Im Fokus stand vor allem das im Herbst erscheinende iOS 10, aber auch die anderen Plattformen für Desktop, Smartwatch und Fernseher kamen nicht zu kurz. Für eine schiere Aufzählung der neuen Features und Funktionen möchte ich gerne auf die hervorragende Zusammenfassung von Wired verweisen – im Nachgang erscheinen mir die grundlegenden Trends der Entwicklung bei Apple spannender:

Vernetzung der Hardware-Plattformen

In der Präsentation wird sehr viel deutlicher als sonst, wie sich Apple mit iOS, dem frisch neu gelabelten macOS, watchOS und tvOS mittlerweile als Anbieter von vier parallelen Betriebssystem-Plattformen mit jeweils eigenen Appstores und eigener Entwicklungsstrategie versteht. Und sehr viel mehr als früher werden die verschiedenen Geräte nun auch per Software miteinander verzahnt:

Das beginnt bei relativ einfachen und naheliegenden Möglichkeiten wie der Verwendung des iPhone als Fernbedienung für tvOS-Apps (natürlich mit entsprechenden Companion-Apps für iOS und Siri für die Sprachsteuerung des ganzen), geht über geräteübergreifendes Copy & Paste zwischen macOS/iOS und reicht bis zur komplexen Integration mit der Verwendung von Apple Pay zum Bezahlen im Netz am Desktop, bei dem die Authentifizierung dann aber wieder über TouchID auf dem iPhone erfolgt.

Natürlich werden nur reinrassige Apple-User an diesen Features ihre Freude haben, aber wenn man die Fallbeispiele aus der WWDC-Keynote weiter denkt, sind hier viele nützliche Use Cases vorstellbar. Die Kehrseite dieser Entwicklung ist wie immer: Noch mehr Daten in einem einzigen Ökosystem, noch mehr Lockin-Effekt für den Kunden – und dass auch die Apple-Ingenieure diese Systeme wirklich so sicher halten können, wie man sich das wünscht, will man am Ende auch nicht immer so recht glauben.

Und so schön die “Continuity” genannte Integration von macOS und iOS in der Praxis auch sein mag: iCloud-Drive dafür de facto zum Standard der Datenspeicherung zu machen (inklusive automatischer “intelligenter” Löschfunktion), ist für jeden ein Angst-Szenario, der schon einmal mit Apples bekannter Unfähigkeit konfrontiert war, halbwegs verlässliche Sync-Algorithmen zu programmieren…

 

apple-pay

Bezahlen im Internet über Apple Pay am Notebook, Authentifizierung am iPhone über TouchID: so stellt sich Apple geräteübergreifende Synergien vor. (Quelle/Copyright: www.apple.com)

 

Vernetzung der Apple-Anwendungen und Dienste

Was ebenfalls an vielen Stellen des Apple-Universums auffällt, ist die immer stärkere Vernetzung der eigenen Anwendungen und Dienste untereinander: Nahezu an allen Stellen, an denen etwas bezahlt werden könnte, liegt ApplePay als Bezahlsystem darunter. Die Siri-Engine beherrscht mittlerweile sehr viel mehr als nur Sprachsteuerung und dient mittlerweile auch zur Kontexterkennung in vielen anderen Apps, bei denen sie für intelligentere Nutzerführung eingesetzt wird, zum Beispiel für Antwort- und Phrasen-Vorschläge in Messenger-Apps. Egal ob es um Kontakte/Termine, Messaging, Mails, die Maps-Anwendung oder die Foto-App geht: an fast allen Stellen wird über versteckte KI versucht, dem Nutzer genau die Informationen zur Anwendung zu geben, die er wahrscheinlich braucht.

Gelegentlich nimmt das auch etwas erschreckende Züge an: Die Foto-App beherrscht zukünftig auch Gesichtserkennung und ist auf dieser Basis zusammen mit Geotagging, Bild-Metadaten und Transaktions-Analyse in der Lage, nicht nur Bilder nach Personen, Orten und Bildinhalten zu ordnen, sondern auch zu sogenannten “Memories” zu vernetzen – die natürlich direkt auf der sozialen Vernetzung des Benutzers basieren.

Hoffen wir nur, dass die persönlichen Daten dazu dann auch wirklich auf dem Gerät bleiben. Aber die gezeigten Fallbeispiele wie Buchungsmöglichkeit für Restaurants und Uber-Chauffeure direkt aus der Maps-App heraus machen natürlich so augenfällig Sinn, dass sich mit Sicherheit große Teile der Nutzer für Convenience und gegen Datenschutz entscheiden werden.

 

messenger

Vernetzung galore: die Messenger-Apps bekommen eine gemeinsame Schnittstelle. Damit behandelt iOS in Zukunft Telefonanrufe und Nachrichten der Messenger auf Systemebene gleich – wie hier auf dem Lockscreen. (Quelle/Copyright: www.apple.com)

 

iOS als Integrationplattform für Drittanbieter-Anwendungen

Mit iOS 10 wird Apple auch immer mehr zur Integrationplattform für Drittanbieter-Anwendungen: Begonnen hat diese Entwicklung mit HealthKit als zentraler Anwendung und API für Fitness- und Gesundheits-Apps. Und die logische Fortsetzung folgt nun mit HomeKit – damit stellt Apple eine ähnliche Plattform für die Steuerung von Smart-Home-Geräten vor. HomeKit ist sozusagen die vollintegrierte Fernbedienung für das gesamte smarte Haus – Siri zur Steuerung mal wieder inbegriffen.

Ähnlich intelligent ist die Einbindung der diversen verbreitetenden Messenger-Anwendungen auf System-Ebene gehalten: Über eine einheitliche Schnittstelle ist iOS nun in der Lage, z.B. einen Anruf per Telefon und einen Skype-Call für Funktionen wie die Lockscreen-UI identisch zu behandeln und erst beim Abnehmen in die eigentliche App durchzustellen. In dieselbe Richtung geht die Tatsache, dass die meisten zentralen System-Apps und Siri nun auch als Entwicklungsumgebung für Drittanbieter-Dienste und Apps genutzt werden können: Überall da, wo Konkurrenz nicht einzudämmen ist (und Apps wie der iOS-Messenger trotz noch so viel Weiterentwicklung einfach von kaum jemandem genutzt werden), baut Apple sozusagen die Integrationplattform drum herum auf. Der Vorteil: Die Kundenbindung bleibt damit bei Apple.

 

homekit

Mit HomeKit wird iOS zu Universal-Fernbedienung für das smarte Heim. (Quelle/Copyright: www.apple.com)

 

Das Medien-Echo

Die einschlägigen Tech-Blogs kommentierten die News von iOS 10 bisher zurückhaltend bis enttäuscht, denn klar ist: die ganz großen Überraschungen und Sensationen hatte die WWDC nicht zu bieten. Aber die Bewertung von The Verge mit “renovation over innovation” trifft es ganz gut: Anstelle von großen Innovationen betreibt Apple Produktpflege im Detail, verfolgt aber auch konsequent einen Ökosystem-Ansatz, bei dem das Ganze eben mehr ist als die Summe seiner Teile. Und in den heutigen Zeiten macht dieser Ansatz ausgesprochen Sinn.

Aber ein Wunsch aus der Entwickler-Community wird wohl vorerst unerfüllt bleiben:

 

Appstore 2.0? Was sich für Entwickler und Content-Anbieter tut:

Eine große Neuerung wurde bereits im Vorfeld der WWDC kommuniziert, auf der Keynote dann aber mit keinem Wort erwähnt: Nach 8 Jahren Appstore wird mit den nun möglichen Abos ein neues Geschäftsmodell weiträumig ausgerollt. Entwickler haben nun in allen App-Kategorien die Möglichkeit, ihre Kunden langfristig durch Abonnements zu binden und Apps so ganz anders zu monetarisieren. Dazu kommt, dass bei Laufzeit über einem Jahr Apple auf einen Teil seines Erlöses verzichtet und dem Entwickler danach 85% der Umsätze überlässt – damit kommt der aus dem Zeitschriften-Bereich bekannte Faktor der Abo-Haltbarkeit zu neuen Ehren.

Zusammen mit geplanten Verbesserungen bei der Prüfung von Apps und bei Suche/Kategorisierung im Appstore – beides dringend nötige Veränderungen – soll das Geschäft im Appstore so neuen Schwung bekommen. Und das tut not, denn trotz der präsentierten Umsatzzahlen im Appstore kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass hier aktuell eher Katerstimmung angesagt ist: Den wesentlichen Teil dieser Umsätze machen wenige Anbieter aus dem Spielebereich – und wer nicht Uber oder Snapchat heisst, hat es schwer im Appstore.

Aber auch für Content-Anbieter tut sich etwas: Auch bei Apple News gibt es in Zukunft konsequenterweise Abo-Modelle – und der hausinterne Kanal für News-Anbieter wird zusätzlich über eigene Push-Notifications für “breaking news” inklusive Video-Feed aufgewertet und mit Apple Pay als Bezahlweg unterfüttert. Nach dem eher daneben gegangenen Versuch mit dem Newsstand versucht Apple damit also, Zeitungs- und Zeitschriften-Anbieter weiter im Boot zu halten.

Für Entwickler inbesondere interessant dürften die vielen neuen Schnittstellen sein, die Apple mit iOS 10 einführt: von der Verwendung der Siri-API bis zu den vielen Apple-Apps, die nun Drittanbieter-Plugins zulassen, bis hin zu den zentralen Hubs für Gesundheits-, Smart-Home- und Messenger-Apps – hier kommen viele wirklich attraktive Funktionen neu ins System.

 

Fazit

Apple hat mit iOS 10 wahrlich keinen revolutionären Neuentwurf vorgelegt – aber eben doch mehr als nur Produktpflege im Detail: Mit der auf vielen Ebenen umgesetzten Vernetzung von Content und Funktionen und mit der Interoperabilität seiner vielen eigenen Dienste liegt das Unternehmen genau im Trend der Zeit. Denn erst wenn es nicht nur viele Angebote gibt, sondern diese auch alle untereinander nahtlos kommunizieren können, ergibt sich die Dynamik, durch die das Ganze mehr wird als die Summe seiner Teile.

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.