Der November war kein guter Monat für ePublishing-Startups: Mit Readfy und Oolipo in Deutschland sowie Pronoun in den USA haben innerhalb kurzer Zeit gleich drei Unternehmen, die mit viel Hoffnung in den Markt für digitales Lesen gestartet sind, ihr Scheitern verkündet. In der Branche ist seitdem immer wieder in Diskussionen zu hören, die Zeit für Experimente sei vorbei. Das wäre fatal, denn in der dynamischen Medienentwicklung der aktuellen Zeit wird es ohne immer weiteres Ausprobieren von neuen Ideen und Modellen nicht weitergehen. Aber auch experimentieren muss man lernen.
Im Nachhinein erklärt sich Scheitern natürlich sehr viel einfacher als im Vorhinein. Und wir wollen auf keinen Fall in den Chor der “wir haben es ja von Anfang an gesagt”-Rufer einstimmen. Denn es ist zunächst einmal immens schade um die Energie und Lebenszeit aller Beteiligten, von den z.T. erheblichen Investionen ganz zu schweigen. Die hier geschilderten Experimente sollten Anlass sein, die nächsten Schritte anders zu setzen.
Modelle organisch oder schnell aufbauen?
Schnell geht der Plattform-Aufbau nur, wenn man genug Ressourcen hat, um intensives Marketing über alle denkbaren Kanäle zu betreiben. Das ist vor allem dann zentral, wenn das gesamte Erlösmodell nur über ausreichend Masse und Durchsatz funktioniert. Dies war z.B. bei Readfy der Fall: Werbefinanzierung als Erlösmodell kann nur über entsprechende Reichweite klappen – und das Gesamtkapital war wohl am Ende bei weitem nicht hoch genug, um die Plattform schnell genug auch groß genug zu entwickeln.
Mutig ist dagegen, wie im Fall von Pronoun, eine Plattform so zu entwickeln, dass ein Erlösmodell fast ausgeschlossen erscheint. Das Unternehmens-Modell wurde im Laufe der Entwicklung gleich mehrmals komplett gedreht, ohne dass jemals eine nachhaltige Finanzierung in Reichweite gewesen wäre. Oder, wie es Nate Hoffelder in seinem Artikel zu Pronoun ausgedrückt hat:
Pronoun was a singularly unique startup in that it encapsulated almost every way you can’t make money in the book industry.
Der letzte Versuch zum Pivot bestand darin, Daten-Dienstleister für den Käufer Macmillan zu werden – aber auch das hat am Ende nicht für eine nachhaltige Existenz ausgereicht. Andrew Rhomberg vermutet in seinem Artikel zu Pronoun denn auch, dass es Macmillan eventuell ohnehin nur um die Analytics-Tools und die angesammelten Daten gegangen sein könnte – während die Plattform als solche einfach wenig interessant war.
Nischenmodell oder Massenmodell?
Die Entscheidung, ob Nische oder Massenmarkt das Ziel ist, ist natürlich absolut zentral für jedes Modell. Nischenmodelle können dabei bei weitem einfacher zu kalkulieren und zu realisieren sein. Aber man muss sie natürlich auch als solche rechnen – und im Produkt entsprechend umsetzen. Oolipo hat nicht ohne Grund den deutschen eBook-Award 2017 im Bereich Fiction gewonnen – das Modell ist innovativ und charmant, was digitales Storytelling angeht. Aber Oolipo zielt so klar auf eine Nische im Markt, dass die hohen Erlöserwartungen nur bei viel Glück aufgehen. Hier wäre ein “kleiner Start” vielleicht angemessener gewesen. Oder, wie Carel Hauff auf der Hauptversammlung von Bastei-Lübbe resümiert hat:
„Eine ungetestete Idee wie oolipo nicht schrittweise an den Markt zu bringen, sondern hoch zu investieren, war – rückblickend betrachtet – sicher kritisch.“
Das MVP-Modell ernst nehmen. Und besser machen.
In einem unserer letzten Artikel haben wir das Minimal Viable Product und seine Implikationen in den Blick genommen. Auch hier ist es durchaus eine ganz eigene Kunst, das “minimal” und das “viable” so in Einklang zu bringen, dass ein für den Kunden sinnvolles Modell dabei herauskommt und ein Markttest überhaupt lohnt. Ein üblicher Fehler ist, das “minimal” im MVP nicht ernst zu nehmen – und eben doch auf das ganze Produkt zu zielen. Dann werden mit hoher Sicherheit auf dem Weg die Ressourcen ausgehen – oder man macht eben doch keinen Produkttest, sondern eine sehr teuere Produktentwicklung im Live-Betrieb. Denn die Erfahrung sagt klar, dass man nichts dafür tun muss, dass Projekte groß werden – das tun sie von ganz alleine. Nur wenn man sie am Anfang wirklich “minimal” hält, bleiben sie auch “viable” für das eigene Budget.
Auf der anderen Seite muss ein MVP vor allem “viable” für den Kunden sein – das heißt, es muss einen guten Schnitt durch alle Teile der Nutzer-Erfahrung gewährleisten. Dieses Schaubild des finnischen UX-Designers Jussi Pasanen visualisiert das Problem deutlich:
Ein großer Fehler wäre es, das MVP so anzulegen, dass nur Teile der funktionalen Anforderungen abgedeckt werden (und womöglich auch die noch schlecht). Ein gutes MVP macht einen Schnitt durch die funktionalen Anforderungen, die Verlässlichkeits-Anforderungen, Usability und das emotionale Produkt-Design – in wenigen, aber zentralen Teilen des Modells. Mit anderen Worten: Es kommt darauf an, im MVP ganz wenig zu machen. Aber das, was man macht, mit höchstem Qualitätsanspruch zu realisieren. Anspruchsvoll ist das deswegen, weil man sich dabei sehr klar darüber sein muss, was man alles weglassen kann (und muss).
Scheitern, aber richtig
Gelingt es nicht, bis zum Ende der Entwurfsphase ein stimmiges MVP und Geschäftsmodell zu entwickeln: Lieber mal ein Modell sein lassen und am Ende der Überlegungen nicht realisieren.
Und wenn doch: Ein Modell darf ja gerne experimentell sein – es sollte aber auch realistisch sein. Eine Alternative kann immer noch sein, ein Projekt auch einmal ohne Erwartung eigenständiger Erlöse zu realisieren: Als Marketing-Channel, als R&D-Projekt oder auch als Innovation-Lab – dann aber mit klaren Lernzielen für die eigene Organisation. Voraussetzungen für ein sinnvolles Experimente dieser Art:
- Klar begrenzte Budgets für das Projekt – die dem Wert des Experiments angemessen sind
- Handlungsfelder, die echte Innovation und Learnings erlauben – und nicht nur die eigenen Vorurteile bestätigen
- Projektauftrag mit formulierten Hypothesen und Kriterien zu ihrer Verifizierung
Denn Lernerfahrungen für Mitarbeiter und Organisation können ja durchaus wertvolle Projektergebnisse sein. Das wird aber nur gelingen, wenn das Projekt-Setup es auch zulässt, zu lernen. Für die Zukunft – und für bessere Experimente.
P.S. Und es gibt auch Start-ups im Verlagsbereich, die es geschafft haben, wie Laura Dawson aufzeigt.