Verschwörungstheorien – Dichtung und Wahrheit – Teil 2

Andreas Edmüller hat soeben ein Buch veröffentlicht zum Thema Verschwörungstheorien. Grund genug, bei ihm nachzufragen.

Der Begriff Verschwörungstheoretiker hat Konjunktur. Dabei ist es eine seltsame Wortschöpfung, unpräzise und auch noch schwer auszusprechen. Ist das eine neue Berufsbezeichnung, muss man Verschwörungen künftig erstmal theoretisch begründen oder sind Verschwörer alle Theoretiker geworden? Also – Hand aufs Herz des Philosophen: Wie definiert man den Begriff am besten und wann spricht man von „Verschwörungstheorie“?


Für mich ist eine Verschwörungstheorie ganz einfach eine Theorie, die als Erklärung für bestimmte Geschehnisse eine Verschwörung anbietet. Das kann stimmen oder nicht – es kommt auf den Einzelfall an. Watergate ist z.B. eine wahre Verschwörungstheorie. Auch die Financial Times hat im Fall Wirecard eine Verschwörung zum Schaden zahlreicher Anleger aufgedeckt.

Dass die Welt in Wirklichkeit von außerirdischen Reptiloiden regiert wird – mit der Queen als Chefreptiloid*In – ist hingegen ganz einfach falsch. So eine Verschwörung gibt es nicht. Eigentlich ist es trivial: Wenn es Verschwörungen gibt, dann sind Verschwörungstheorien zu erwarten. Und die können stimmen oder eben nicht.

Übrigens: Den Beruf Verschwörungstheoretiker gibt es schon. Einige Leute machen mit dem Verbreiten sinnfreier Verschwörungsmärchen eine Menge Geld, z.B. Alex Jones in den USA. Es kann nicht mehr lange dauern und es wird einen Studiengang dazu geben – vermutlich an der Trump University.

Gut, wir können also festhalten, dass Verschwörungstheorien erstmal nicht falsch sind, weil es auch reale Verschwörungen gegeben hat. Und wer weiß schon, ob es sich nicht auch jetzt um eine Verschwörung handeln könnte. Was unterscheidet dann eine „Verschwörungstheorie“ von einer „wissenschaftlich haltbaren Theorie“?

Ruhig bleiben, lieber Harald: Erst einmal nichts! Verschwörungstheorien sind eine Teilmenge von Theorien. Und wie bei allen anderen Theorien gibt es gute und schlechte, haltbare und nicht haltbare Verschwörungstheorien. Und es gibt natürlich Pseudotheorien – die nenne ich Verschwörungsmärchen. Die haben wir aber auch in den Wissenschaften: An jeder Fakultät für Physik gibt es einen Ordner, in dem eingesandte Theorievorschläge zum Perpetuum Mobile abgelegt werden; bei den Mathematikern geht es um die Quadratur des Kreises.

Das ist sogar der Vorteil meines philosophisch geprägten Ansatzes: Wir können ohne Probleme die Einsichten der Wissenschaftstheorie auf Verschwörungstheorien übertragen und müssen uns keine neuen Begriffe ausdenken. Diese Disziplin beschäftigt sich ja damit, was überhaupt eine Theorie ist, wie man gute von schlechten Theorien unterscheidet, woran man Pseudotheorien erkennt, wie man Theorien überprüfen und widerlegen kann. Kurz: Die Philosophie bietet dazu eine sehr solide, ausgefeilte und bewährte Herangehensweise – warum sollten wir die ausgerechnet bei Verschwörungstheorien über Bord werfen? Außerdem wissen wir Philosophen sowieso alles besser.

So viel Raum haben wir hier gar nicht, um gute von schlechten Theorien zu unterscheiden. Halten wir es also einfacher: Wie erkennt man denn ein „Verschwörungsmärchen“?

Man sollte im ersten Schritt prüfen, ob man es überhaupt mit einer Theorie zu tun hat. Nicht jedes Sammelsurium von Aussagen, Vermutungen und unterhaltsamen Videoclips verdient diesen Namen. Daran ändern auch zwei Millionen Likes in den sozialen Medien nichts.

Bei einer Theorie müssen bestimmte Bausteine vorhanden sein, z.B.

  • eine klare Fragestellung
  • ein Theoriekern mit den wesentlichen Behauptungen der Theorie
  • Vorhersagen und
  • Muster-Erklärungen.

Muster-Erklärungen liefern die Verbindung von Theorie und Realität – dabei spielen belastbare Daten und Belege eine Schlüsselrolle. QAnon hat z.B. diese Elemente ganz klar nicht aufzuweisen – es herrscht umfassend das Prinzip Beliebigkeit: Niemand kann sagen, welche Fragen beantwortet werden sollen oder welche Behauptungen eigentlich dazugehören. In beiden Fällen ist die Antwort „irgendwie alles, wenn es grade irgendwie passt“. Anders ausgedrückt: Egal was passiert, es spricht immer irgendwie für und nie gegen QAnon. Derartige Konstrukte nenne ich deshalb Verschwörungsmärchen.

Im zweiten Schritt sollte man die Theorie dann an bestimmten Qualitätskriterien prüfen, z.B.:

  • Liefert die Theorie zuverlässige Vorhersagen?
  • Liegt sie ständig daneben? (Der Wetterbericht nimmt hier eine Sonderstellung ein.)
  • Kann die Theorie immer neue Phänomene ihres Gebietes erklären oder stagniert sie?
  • Wie gut oder schlecht passt die Theorie mit anderen Theorien zusammen, die qualitativ hochwertig sind?

Je nach Lage der Dinge bzw. der Ergebnisse dieser Untersuchung hat man es mit einer haltbaren oder nicht haltbaren Verschwörungstheorie zu tun.

Das klingt sinnvoll, aber zeitraubend: Gibt es so etwas wie einen Schnelltest für Verschwörungstheorien?

Ja, den gibt es tatsächlich – ganz ohne Wattestäbchen in der Nase. Am
besten orientiert man sich bei einer Ersteinschätzung an den Goldenen
Regeln für Verschwörer, die in meinem Buch ausführlich erläutert werden.
Hier ein paar Beispiele:
Wenn eine Verschwörungstheorie von einem sehr großen Kreis an
Verschwörern ausgeht, dann sollten wir stutzig werden: Wie können so viele Menschen so lange „dichthalten“? Unsere Lebenserfahrung zeigt doch, wie schnell sich jemand verplappert, aus Enttäuschung oder Rache, aus
Angeberei oder ganz schnöde für Geld etwas ausplaudert.
Man kann dann auch gleich die Frage stellen, warum so ein großer
Personenkreis noch nicht von den Gegnern der Verschwörung unterwandert wurde. Es gibt doch zahlreiche Enthüllungsjournalisten, die gerade damit ihr Geld verdienen.
Außerdem braucht eine erfolgreiche Verschwörung professionelle Planung
und stringente Durchführung. Wenn eine Theorie andererseits von einer recht bunten und lockeren Gruppe von Verschwörern ausgeht, dann darf man sich zu Recht wundern, wie präzise Planung und Durchführung da funktionieren sollen. Unser aller Erfahrungen mit Projekten im Berufsalltag sprechen doch Bände!
Also, mit solchen und ähnlichen Fragen kann man sich zügig und ohne
großen Aufwand ein erstes Bild zur Plausibilität einer Verschwörungstheorie machen. Und wenn man diese Fragen in der Diskussion dem Vertreter einer Verschwörungstheorie stellt, kann man auch noch Spaß haben.

Das heißt, eine Verschwörungstheorie ist recht einfach aus dem Ärmel zu schütteln, während gut gesicherte Theorien schon mehrere Prüfungen durchlaufen haben.
Im letzten Beitrag haben wir auf die Bedeutung der Medien hingewiesen. Warum ist aus Deiner Sicht das Thema jetzt so aktuell?

Das ist eine wirklich gute Frage – Verschwörungen und somit Verschwörungstheorien hat es nämlich immer schon gegeben. Wenn Du in Latein aufgepasst hast, kannst Du Dich sicher noch an Cicero erinnern, der die Verschwörung des Catilina erfolgreich vereitelt und das bei jeder Gelegenheit erzählt hat. Allerdings haben einige dieser Theorien in letzter Zeit gesellschaftlich sehr viel bewegt und entsprechend viel Aufmerksamkeit bekommen, z.B. QAnon oder diverse Impfgegner.

Ich möchte hier einen Aspekt beleuchten, der üblicherweise neben anderen zu kurz kommt: Sinnfreie Verschwörungstheorien oder Verschwörungsmärchen wie QAnon werden erst gefährlich, wenn unsere offene und liberale Gesellschaft sich selbst schwächt, Nährboden und Freiräume für Unsinn schafft. Ganz einfach und provozierend ausgedrückt: Nur wenn wir uns dumm anstellen, können diese Märchen und Theorien wirklichen Einfluss gewinnen.

Ein sehr anschauliches Beispiel dafür liefert Corona bzw. der Umgang der Medien mit dem Thema. Ohne hier in die wissenschaftlichen Details einzusteigen, sieht man schon auf den ersten Blick, welchen Beitrag die Medien zu Verwirrung und Emotionalisierung der Debatte leisten- und damit meine ich auch die sogenannten Leitmedien.

Erstens geht es in der Berichterstattung in erster Linie um Personen – auf einmal sind Virologen prominent und die Medien reagieren in ihren Darstellungen viel zu oft und zu leicht auf das, was „die Leser“ an Prominenten interessiert: Wer kann mit wem, wer hat wen angegriffen, wer ist sympathischer, wer sagt was richtig Sensationelles …? Drosten und Streeck kennt mittlerweile fast jeder – aber wer kann sagen, wie die Umrisse ihrer Einschätzung der Pandemie aussehen und wie weit sie tatsächlich auseinanderliegen? Natürlich ist dieser Ansatz des „Reality TV“ für eine Mehrheit der Leser vermutlich unterhaltsamer als die Erläuterung von oft eher zweideutigen wissenschaftlichen Studienergebnissen oder Statistiken. Aber: Wo bleibt da die Kernaufgabe der Medien in der offenen Gesellschaft: Machtkontrolle durch zuverlässige Information der Bürger?

Zweitens wird erschreckend schablonenhaft berichtet. Aktuell geistert die These durch die Medien, die Querdenkerdemos seien von Rechtsextremen unterwandert und gesteuert. Das ist Quatsch – liest und verkauft sich aber wohl besser als eine nüchterne Analyse: Von Homöopathen, Esoterikern, Steiner-Anhängern, Verschwörungstheoretikern bis hin zu Religiösen, Impfskeptikern, Wissenschaftsskeptikern und alternativ Angehauchten läuft da alles mit. Die Rechten sind zwar dabei, aber keineswegs flächendeckend bestimmend. Aber die freuen sich natürlich über eine dermaßen inkompetente journalistische Berichterstattung: Da werden ihnen Macht und Einfluss zugeschrieben, die sie gerne hätten und indirekt ihr Einfluss gestärkt. Wo bleibt da die Kernaufgabe der Medien in der offenen Gesellschaft: Machtkontrolle durch zuverlässige Information der Bürger?

Wechseln wir doch hier die Rollen, lieber Harald – meine Frage an den Medienprofi: Was könne wir konkret tun, um diese Probleme zu meistern?

Wie bei allen komplexen Themen hilft auch hier wohl nur ein Bündel an Maßnahmen, die man ausprobieren, analysieren und dann in verbesserter Form weitern anwenden sollte. Vieles ist ja schon genannt worden:

  1. Medienkompetenz lehren, schon in der Schule und dann immer wieder an den Hochschulen, begleitend zur Arbeit (so wie wir das in München gerade als Masterstudium anbieten)
  2. journalistisch anspruchsvolle, sich der Wahrheit verpflichtet fühlende Aktivitäten, Unternehmen und Projekte fördern, auch von staatlicher Seite
  3. und im Gegenzug durch die Gesetzgebung keine steuerlichen oder sonstigen Begünstigungen anbieten, wo soziale Netzwerke und andere mediale Anbieter ungehindert Fake-News verbreiten können
  4. Faktenchecks anbieten, so häufig und so oft und so leicht wie möglich – und in dem Zusammenhang auch KI-basierte Tools entwickeln, die das unterstützen
  5. den Dialog anbieten, damit es den Menschen schwerfällt, sich als Opfer und Ausgestoßene zu betrachten, die nur in ihrer Filterblase Anerkennung erhalten.

Was ist Deiner Meinung nach die absurdeste Verschwörungstheorie?

QAnon ist da schon ein heißer Kandidat. Es verblüfft mich immer wieder, wie viele Menschen so einen Unfug glauben, auf dieser Basis handeln und z.B. das Kapitol stürmen oder eine Pizzeria überfallen – und trotzdem größtenteils unfallfrei durch ihren Alltag manövrieren. Dazu kommt, dass recht viele von ihnen Donald Trump für den gottgesandten Erlöser halten – auf die Idee muss man erst einmal kommen!

Ein zweiter Kandidat ist die Theorie bestimmter Christen, unsere Naturwissenschaftler hätten sämtliche Belege für die Evolutionstheorie erfunden oder gefälscht. Diese Verschwörungstheorie ist doppelt absurd. Gleichzeitig wird von diesen wahrhaft Gläubigen nämlich die These vertreten, die Erde sei nicht älter als etwa 6600 Jahre.

Der Argumentationsexperte Andreas Edmüller hat in München und Oxford Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie studiert. Er ist Privatdozent für Philosophie an der LMU in München und war fast 30 Jahre lang selbständiger Berater (Projekt Philosophie). Zahlreiche Buchveröffentlichungen zu Themen wie Argumentieren, Überzeugen, Manipulationstaktiken, Konfliktmanagement, Staats- und Religionsphilosophie. Hier geht es zum Blog des Autors: blog.projekt-philosophie.de, hier zur Website zum Buch: dossier-verschwoerungstheorie.de

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.