“Künstliche Intelligenz” – “menschliche Intelligenz” – KI und Bildung

Mit ChatGPT wird die alte Diskussion um KI gerade neu entfacht und die Frage, wo und wie uns Softwareprogramme ersetzen.
Wenn wir von ersetzen sprechen, lohnt sich also der Blick auf den Unterschied zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz.

“Intelligenz” wird gemein hin positiv bewertet. Denn dadurch unterscheiden wir Menschen uns gerne von anderen Lebewesen der Erde. Intelligenz erhöht unsere Überlebenschancen.
“Intelligenz” ist ein schillernder Begriff. Intelligent ist, wer

ein Problem lösen kann, möglichst schnell und elegant. Und das versuchen wir mit einem IQ zu messen.
Als intelligent bezeichnen wir aber auch menschliches Verhalten, das die Zukunft besser gestaltet und den Menschen nicht schadet. Hier schwingen ethische Verantwortung und ein Wissen um menschliche Werte mit, in einer Gemeinschaft. So werfen wir uns in der Diskussion um die Klimakrise wechselseitig fehlende Intelligenz und Blindheit vor, je nach Perspektive. “Dumm” ist gemeinhin, wenn man die Konsequenzen nicht erfasst, blind für die Situation ist – wenn man immer nur ein einmal gelerntes Verhalten wiederholt. Umgangssprachlich ist Intelligenz weit mehr als die Lösung eines isolierten Problems.
Weil wir der “Intelligenz” so viel Bedeutung geben, gelingt es uns nicht, “menschliche Intelligenz” für alle Menschen gleich zu definieren und schon gar nicht, sie richtig messbar zu machen. Die Reduktion von Intelligenz auf einen IQ greift nicht. Wir können von einem Kanon an abfragbarem Fachwissen sprechen und den Methoden, wie man sprachliche, mathematische oder andere, klar umrissene Probleme löst. Das allein umfasst aber noch nicht Intelligenz.

Ein Blick auf die Pädagogik lohnt sich, denn es liegt im Begriff der Intelligenz, dass wir das, was wir “intelligent” nennen, auch an unsere Nachkommen weitergeben wollen. Deshalb sprechen wir nicht nur von Fachwissen, sondern vor allem von Kompetenzen.

Was wollen Schulen und Hochschulen lehren?

Das Wissen um den Dreisatz, Grammatik, Malerei und Musik lehren wir an unseren Schulen. Zugleich sprechen wir jedoch immer mehr von Kompetenzen, die es dabei zu erwerben gilt, von sozialen und digitalen, die weit über das einzelne Fachwissen hinausgehen. Blooms Taxonomie, die noch suggeriert, “Kreativität” und “Bewertung” stünden erst auf der Spitze der Pyramide, wird schon länger als unzureichend betrachtet und durch digitale Werkzeuge regelrecht auf den Kopf gestellt. Wir sprechen von “active learning” im Gegensatz zum passiven Wissenskonsum (hier ein Beispiel aus Stanford, hier eines zur Vermittlung von Wissenschaft), wir sprechen EU-weit von Medienkompetenz, setzen uns mit Modellen wie dem SAMR-Modell von Puentedura auseinander, der Wissenschaftsrat gibt Empfehlungen zur Digitalisierung in Lehre und Studium, in denen das “selbstbestimmte, individuelle und kollaborative Lernen” (ebd. S. 8) im Zentrum steht und nicht erst seit der Pandemie sprechen wir über verschiedenste digitale und hybride Formen der Wissensvermittlung und Constructive Alignment oder wie Prüfungsformate, Lernziele und der Unterricht sinnvoll miteinander verknüpft werden.

In der Pädagogik hat man schon immer über Kompetenzen gesprochen. Durch die Digitalisierung ist noch deutlicher geworden, dass eine reine Vermittlung von Fachwissen nicht ausreicht und neben den sozialen Kompetenzen rückt die Medienkompetenz zur Zeit in den Mittelpunkt.


Was ist Intelligenz?

Im europäischen Mittelalter wurden die artes liberales als Grundlage der Bildung betrachtet. Sie bestanden aus einem sprachlichen Trivium (Rhetorik, Grammatik, Dialektik) und einem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik). Wir haben uns zwar von der Vorstellung der Universalgelehrten verabschiedet, die alles Wissen auf sich vereinen. Aber die Frage bleibt, welches Wissen grundlegend wichtig ist und was man sich methodisch dann später aneignen kann – und ob nicht Sprache und Mathematik die Basis sind für ein Verständnis unserer selbst und der Welt.

An dieser Stelle lohnt sich noch einmal ein Blick auf Howard Gardner und sein Konzept der multiplen Intelligenz.Gardner ist der bekannteste Vertreter einer Forschungsrichtung, die von vielfältigen Formen der Intelligenz ausgeht. Der Grad der Ausprägung ist bei jedem Menschen anders: Ein hochbegabter Mathematiker muss nicht gut sein in Sport, ein Musiker nicht mehrere Sprachen können. Die Ausprägung der Intelligenz hängt vom Erbgut und dem sozialen Umfeld ab, d.h. wir sind weder determiniert aufgrund unserer Genetik, noch können wir bei allem Fleiß alles lernen. Jeder Mensch hat seine speziellen Begabungen und Fähigkeiten und irgendwo ist immer jemand besser. In seiner berühmten Rede “This is water”, die gerne von Pädagogen weltweit zitiert und genutzt wird, empfiehlt David Foster Wallace Collegeabsolventen deshalb, sich bewusst zu sein, wo sie sich befinden, über sich und ihr Umfeld zu reflektieren (“what is water?”) und auf der Basis verantwortlich Entscheidungen zu treffen. In der Folge von Gardner lassen sich die folgenden Formen von Intelligenz listen (hier ein grundlegender Artikel von 2011 von Gardner u.a. zur Theorie der multiplen Intelligenz, aus dem auch die folgende Übersicht übernommen wurde, hier eine Webseite der Harvard Graduate School of Education mit vielfachen Materialen und Verlinkungen):

  1. “linguistic”: Die Fähigkeit, Informationen zu analysieren und Produkte in mündlicher wie gesprochener Sprache zu entwickeln wie z.B. Merkzettel, Reden, Bücher.
  2. “logical-mathematical”: Die Fähigkeit, Gleichungen und Beweise aufzustellen, Berechnungen durchzuführen und abstrakte Probleme zu lösen.
  3. “spatial”: Die Fähigkeit, weiträumige und feinkörnige räumliche Bilder zu erkennen und zu bearbeiten.
  4. “musical”: Die Fähigkeit, verschiedene Klangmuster zu erzeugen, zu erinnern und ihnen eine Bedeutung zu geben.
  5. “bodily-kinesthetic”: Die Fähigkeit, den eigenen Körper zu nutzen, um Produkte herzustellen oder Probleme zu lösen.
  6. “interpersonal”: Die Fähigkeit, die Stimmungen, Wünsche, Motivationen und Absichten anderer Menschen zu erkennen und zu verstehen.
  7. “intrapersonal”: Die Fähigkeit, die eigenen Stimmungen, Wünsche, Motivationen und Absichten zu erkennen und zu verstehen.
  8. “naturalist”: Die Fähigkeit, verschiedene Arten von Pflanzen, Tieren und Wetterformationen zu identifizieren und zu unterscheiden, die in der Natur vorkommen.

Diese acht Formen der Intelligenz beziehen sich auf für den für Menschen wichtige Inhalte, auf Wissen, auf geistige und physisch erfahrbare Wirklichkeit. Es geht um Wissen über etwas (Sprache, Mathematik, Musik etc.) und intelligent sind wir, wenn wir uns dieses Wissen aneignen können. Je leichter, je schneller und je mehr wir uns aneignen, desto intelligenter sind wir.
Wie in einer Balanced Scorecard lassen sich für jeden Menschen die jeweiligen Ausprägungen erfassen. Was man dabei als 100% angibt, wie man genau die jeweiligen Ausprägungen misst, das hängt von der jeweiligen Theorie, den Messgrößen ab, die man zu Grunde legt, die man als Prämisse postuliert. Gardner geht davon aus, dass durch neurowissenschaftliche Forschungen in Zukunft genauere Messgrößen erfasst werden können, vielleicht auch andere Formen der Intelligenz bzw. Verschiebungen bei der Klassifizierung. So hat er die achte Fähigkeit, die Natur zu erfassen, erst später hinzugefügt. Schwierig ist dabei immer die Unterscheidung, was als menschliche Fähigkeit und was als “Intelligenz” bezeichnet werden kann.
Natur und unseren Körper erfahren wir sinnlich anders als Sprache oder Mathematik, Musik oder Kunst. Maradona gestehen wir ebenso eine “Spielintelligenz” zu wie wir Mozart als musikalisches Genie bewerten oder Alexander von Humboldt als wegweisenden Naturwissenschaftler. Aber erst das Zusammenspiel macht den Menschen aus und in diesem Zusammenspiel möchten wir unsere Nachkommen schulen.

Der Zugang zum Wissen erfolgt unterschiedlich. Dabei ist die Basis die Informationen unserer Sensoren. Ein Blinder nimmt die Welt zwangsläufig anders wahr als ein Tauber, ein Mensch anders als ein Adler. Die Intelligenz wird dabei jedoch als System getrennt betrachtet von den Sinneseindrücken, denn sonst würden wir eine Wanze für intelligenter halten als einen Menschen, weil sie bestimmte Aldehyde besser riecht. Als intelligent bezeichnen wir die Verarbeitung der Informationen, nicht die Gewinnung. Eine Kamera ist nicht intelligent, weil sie mehr Lichtsignale aufnehmen kann als ein menschliches Auge.

Wir beobachten unterschiedliche “Lerntypen” und Formen der Aneignung, was wiederum nicht die Intelligenz selber betrifft. Deshalb gelten “attention intelligence” oder “absorption intelligence” z.B. als Fähigkeiten der Aneignung, denn sie generieren kein Wissen über etwas.
Und auch die verschiedenen Ausprägungen von Intelligenz, von Gardner als “style” bezeichnet, verdeutlicht, dass sprachliche Intelligenz bei Dichterinnen genauso vorkommt wie bei Rednern oder Rechtsanwältinnen.
Auch die verschiedenen Formen des Erinnerns, der Einsatz von autobiographischem, episodischem oder semantischem Gedächtnis spielt eine Rolle.

Eine weitere Unterscheidung ergibt sich aus den “skills”, den Fertigkeiten oder den Kompetenzen, wie z.B. Schwimmen, bei dem mehrere Formen der Intelligenz zusammenkommen müssen. Bei der Entwicklung derselben spielt es eine Rolle, in welchem sozialen Umfeld man sich bewegt, welche Aufgaben man dort ausfüllt und wie diese bewertet werden.

Jede Kultur hat ihre Schwerpunkte gebildet, hat sich in der Architektur, Musik oder Malerei besonders entwickelt, dem Jagen oder dem Sport mehr Bedeutung beigemessen oder der Wirtschaft und Wissenschaft. Diese Wertschätzung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten hat in der Folge auch einen Anreiz gegeben, diese Talente zu fördern.

Sprich: Ohne die Bedeutung des Fußballs in Argentinien und weltweit wäre Maradona nie der Fußballer geworden, der er wurde. Die chinesische Mauer, die Pyramiden in Ägypten oder die Skulpturen auf den Osterinseln sind Ergebnisse einer Gemeinschaft. Und auch Mozart oder Humboldt wären ohne die frühe, gezielte Erziehung und die Bewunderung ihrer Fähigkeiten schon in frühen Jahren nie zu derartigen Leistungen fähig geworden. Kaspar Hauser ist das mahnende Beispiel fehlender Bildung.

Wenn die menschliche Intelligenz so verschiedenartig ist, dann müsste es doch auch eine übergreifende Art von Intelligenz geben, die alle miteinander verknüpft. Gardner sieht diese Funktion in der interpersonalen Intelligenz verankert, als der Fähigkeit, sich selbst zu steuern.
Und auch eine “moralische Intelligenz” wird nicht eingeführt, weil die Intelligenzen bewusst nicht normativ sein wollen, während Moral immer das Verhalten in einer sozialen Gruppe steuert. Die interpersonelle Intelligenz muss man Gandhi wie Hitler zugestehen, sonst hätten sie nicht so viele Menschen um ihre Ideen versammeln können.

Menschliche Intelligenz ist vielfältig: Sie umfasst das Lernen und die Erfahrung des Zusammenlebens in der Gemeinschaft, die Verarbeitung unterschiedlichster Informationsquellen und das Verständnis des eigenen Lebens vom Tod her, den effizienten Gebrauch von Medien und die richtigen Bewertung der eigenen Fähigkeiten und Situation. Trotzdem übertragen wir den Begriff auf Algorithmen und sprechen von “künstlicher Intelligenz”, obwohl wir die menschliche noch nicht mal erfassen. In der Folge beobachten wir, dass wir rund um die Diskussionen um “künstliche Intelligenz” schaurige Dystopien wie auch gelobte Paradiese skizzieren. Und sie spiegeln zumeist eher unsere Ängste und Wünsche.

KI und Pädagogik – was wollen wir künftig lehren?

Die prinzipiellen Mechanismen digitaler Medien sind nicht neu. Bettermarks hilft Schüler:innen seit Jahren bei den Matheaufgaben, Microsoft erstellt schon lange Gliederungen für Referate und Springer hat 2019 das erste KI-erstellte Buch herausgebracht.
Aber ChatGPT hat nicht nur mehr Daten als andere noch besser aufbereitet, es hat vor allem ein gutes Interface zu den Kunden. Usability ist Trumpf bei Software: ChatGPT “kommuniziert” sehr einfach und führt Befehle so aus, dass die Ergebnisse sofort verständlich sind, in Form eines Textes, einer Präsentation, einer Melodie oder Programmiercodes.

ChatGPT liefert genau die Leistungen, die an Schulen und Hochschulen gefordert werden. Deshalb wird es noch wichtiger als je zuvor, Kompetenzen zu fördern, die uns den richtigen Umgang mit digitalen Medien lehren.

ChatGPT hat dazu geführt, dass wir die Diskussion um den Einsatz digitaler Technologien noch heftiger führen als zuvor. Diese Diskussion führen wir schon lange, allein im Markt der Bildungsmedien geht es seit über 20 Jahren um die Zukunft analoger und digitaler Medien (hier ein Blick auf das Thema über die Jahre). Die Herausforderung liegt darin, dass wir die Chancen und Risiken erfassen und lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Denn KI ist kein Nürnberger Trichter. Um sie sinnvoll zu nutzen, brauchen wir mehr denn je das Fachwissen in den Bereichen “linguistic” und “logical-mathematical”. Die Gefahr ist, dass die Schere zwischen den Gebildeten und weniger Gebildeten weiter auseinandergeht durch den Einsatz von KI.

Nur wer Sprache und Mathematik “kann”, wird auch die KI richtig einsetzen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Wird KI meinen Job machen? Nein, wenn ich meinen Job so ausfülle, dass ich die Steuerung der Werkzeuge übernehme, ihre Bewertung und sinnvollen Einsatz. Das setzt natürlich Medienkompetenz voraus und die Fähigkeit, seinen Job immer auch von einer Metaperspektive aus betrachten zu können.

Dies folgenden Empfehlungen für weiterführende Studien sind nur eine Auswahl. Bei uns an der Hochschule experimentieren wir wie viele andere auch mit dem Einsatz von KI-basierten Werkzeugen. Auf einen Austausch freuen wir uns.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.