Die Lehre der Zukunft – revisited

Im diesjährigen “annual letter” von Melinda und Bill Gates findet sich unter “surprise 8” die Aussage, “textbooks are becoming obsolete”.  Wer sagt´s denn! Grund genug, unsere Annahmen zum Lehrwerk der Zukunft von 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2017 oder 2018 nochmal zu überprüfen. Denn waren auch für uns vor ein paar Jahren die Neuerungen noch wirkliche Entdeckungen, so drängt sich jetzt der Eindruck auf, es gäbe doch nichts Neues unter der Sonne. Gerade in der aktuellen Diskussion um den Digitalpakt werfen so viele mit altbekannten Textbausteinen um sich und man fragt sich, ob in den letzten zehn Jahren wirklich etwas passiert wäre. Denn einerseits könnten wir jeden Verweis auf Neuerungen im Markt mittlerweile kinderleicht als Kopie darstellen, so viel ist im letzten Jahrzehnt passiert. Andererseits hat man den Eindruck, Bildung ziehe im Schneckentempo durch die Institutionen und nichts passiere. Beides ist falsch, hier die Thesen:

  • Es geht heute nicht mehr darum, dass es neue Formen der Lehre gibt, sondern auf welche Tools man sich fokussiert
    Neue Formen der Darstellung wachsen wie Pilze aus dem Boden. Die genannten Angebote von Gates sind gut und weisen in die richtige Richtung, vom Big History Project über zearn, i-Ready bis zu LearnZillion.  Aber das sind alles keine weltbewegenden Beispiele mehr, die wir in der ein oder anderen Ausprägung nicht schon gesehen hätten. Apple hat mit iBooks author vor sieben Jahren die Software für interaktive Lehrwerke vorgelegt und bettermarks oder smartick zeigen seit Jahren, wie man Mathematik ohne Schulbuch erfolgreich lehren kann, mit wachsendem Erfolg. Lernumgebungen für Schulen und Universitäten sind an jeder Ecke erhältlich und OER-Angebote sprießen aus dem Boden. Und Melinda Gates greift dieselben Gedanken auf wie Daphne Koller vor sieben Jahren zu coursera, wenn sie durch blended learning eine Demokratisierung der Bildung sieht.
    Wir haben die letzten Jahre die Dynamik der digitalen Plattformen erlebt: immer mehr Teilnehmer können über günstige Tools mit vielen anderen zusammen Neues entwickeln. Ein exponenzieller Anstieg an Neuerungen ist die Folge. Wir sehen das in der Musik, im Buchmarkt, im Filmgeschäft: Das Überangebot an guten Produkten macht es immer schwerer, die eigenen sichtbar zu machen und dadurch auch erfolgreich am Markt zu platzieren. Dasselbe passiert bei Bildungsmedien. Hatten wir vor zwei Jahren in den Gesprächen mit den Lehrern noch den Eindruck, dass diese gerne eine Übersicht hätten, welche Apps es auf dem Markt gibt, so wollen sie jetzt nur noch die kennen lernen, die sich durchgesetzt haben.

    In ihrem annual letter zeigen sich Bill und Melinda Gates begeistert von den neuen Möglichkeiten digitaler Lehre. Diesen Enthusiasmus teilen wir auch, sehen aber noch einige andere Hürden zu nehmen als die, neue Tools zu nutzen.

  • Um die Lehre zu verändern, braucht man Veränderungen im Personal, in der Organisation und im Angebot. Und das braucht Zeit.
    Die Lehre geht immer langsamer voran als die Technologie. Denn ein neues Angebot auf den Markt zu bringen ist leicht, es dort zum Erfolg zu führen schwer. Wie üblich setzt sich von zehn Start-ups statistisch gesehen nur eines durch. Und das liegt daran, dass es nicht jedem gelingt, die Marktbedürfnisse richtig zu erfassen und mit dem passenden Team die richtigen Entscheidungen zu treffen und dann auch mit Durchhaltevermögen zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Jeder, der in einem Unternehmen schon einmal Changeprozesse durchgeführt hat, weiß, dass es Zeit braucht. Deshalb finden sich für jeden Kritiker der jetzigen Situation an Schulen und Hochschulen ja auch genügend Beispiele für schlechte Lehre. Dass es die immer schon gegeben hat und immer geben wird ist das eine. Dass es noch keine neuen Standards gibt und vieles erst ausprobiert werden muss, das andere. Im Projekt Digitale Schule 2020 sehen wir, wie viele engagierte Pädagogen es gibt, die mit Know-how und Erfahrung die Herausforderungen annehmen. Wir machen dort die Erfahrung, dass die organisatorischen Aufgaben (wie digitale Prozesse aufbauen und mehr Effizienz gewinnen) ganz andere Fähigkeiten fordern als die Entwicklung neuer, zeitgemäßer Unterrichtseinheiten. Digitalisierung ist eben nicht gleich Digitalisierung, sondern muss je nach Situation und Ziel ganz anders gedacht und umgesetzt werden.

    Das Projekt Digitale Schule 2020 zeigt beispielhaft, wie die Digitalisierung in den verschiedenen Schularten erprobt und umgesetzt werden kann. Dabei werden die verschiedenen Möglichkeiten und Herausforderungen deutlich. Schon jetzt gibt es hervorragende Beispiele für eine gelungene Entwicklung. Und doch steht man noch am Anfang. Sicher ist eines: Es gibt keine einfachen, schnellen Lösungen.

  • Der gute Lehrer wird immer wichtiger, je anonymer man auf digitalem Wege lernen kann.
    Wenn neue Technologien die alten ersetzen, geht immer die Angst um die eigenen Arbeitsplätze um. Manche Lehrkräfte fragen sich: Was soll ich noch lehren, wenn DeepL besser übersetzt als ich, wenn photomath die Formel schon aus dem Bild heraus löst oder wenn Microsoft Power Point mir für die Präsentation zu einem Thema schon die Gliederung erstellt und passende Bilder hochlädt? Genau jetzt sind Dozenten und Lehrende gefragt die Orientierung geben, die zur Reflektion anregen und den Prozess begleiten (auf die Qualifikation der Pädagogen sind wir an anderer Stelle ausführlicher eingegangen). Die verschiedenen Modelle zu den neuen Zielen der Pädagogik (von den 6 K bis zu SAMR oder den 2 k, 2 i) kreisen alle um das Schlagwort “Kompetenzen”: Es geht immer darum, nicht mehr alleine einen Wissenskanon zu vermitteln, sondern die Methoden, sich diesen selber anzueignen und zu reflektieren. Das ist viel herausfordernder als nach einem bewährten Standard Wissen abzufragen. Gerade deshalb braucht es bessere Pädagogen als bisher. Diese müssen analoge wie digitale Lehrmethoden beherrschen und zugleich auf die Bedürfnisse der Schüler eingehen können. Beispielhaft zeigen Diskussionen um “active learning” in Stanford, dass die Herausforderungen für Pädagogen zunehmen:
    “Designing a course that includes active learning requires more content knowledge, not less, than teaching in the classic lecture mode. …If you use active learning techniques, you’re still telling students things; but it’s in response to their questions, their needs to solve a problem, and so they learn much more from it. You have to work hard to use active learning in your class. You must carefully structure problems and activities to get them to think like a scientist, mathematician, etc.” (zum active learning die Thesen des Nobelpreisträgers Carl Wiemann in der Zusammenfassung von Anna Kuchment)
    Es verwundert deshalb kaum, dass es oft gerade nicht die jungen Lehrkräfte sind, die das beherrschen. Denn diese haben oft genug damit zu tun, die Schüler richtig einzuschätzen. Der Einsatz der Technologie ist nämlich gemessen an der richtigen Einschätzung der Schüler eigentlich die leichtere Aufgabe. Einmal gelernt, kann man das. Die Schüler erfordern aber viel mehr Aufmerksamkeit.
    Interessanterweise findet man an Schulen deshalb häufiger durchdachte und kompetente digitale Angebote. Je älter die Zielgruppe, desto eher kann man sie auf den üblichen Kanälen erreichen und von Ihnen fordern, einfach mal den Text zu lesen. Eine Klasse von Kindern im Alter von 8 oder 13 im Zaum zu halten ist deutlich anspruchsvoller als an der Hochschule zu dozieren (ich lehre an verschiedenen Hochschulen und weiß, wovon ich rede). Zudem sind die Vorgaben an Schulen deutlich begrenzter und strenger, weshalb der Zweck eines Werkzeugs oft strenger beurteilt werden muss. Die besten Beispiele für digitalen Unterricht findet man deshalb eher an den Schulen und eben nicht an den Lehrstühlen für Pädagogik (siehe hierzu die gute Studie des vbw zur Lage des Lehrerbildung, der dringenden Reform der Bildung an den Universitäten sowie unsere Zusammenfassung).

Die Konsequenzen für die Lehrwerke der Zukunft liegen auf der Hand. Sie werden sichtbar an den Beispielen von Melinda und Bill Gates, aber sie gehen noch viel weiter. Künftige Lehrangebote müssen

  • interaktiv, mulitmedial, sozial vernetzt und mit den Potenzialen der KI versehen sein (siehe hierzu unser Schaubild)
  • Medienkompetenz fördern und die jeweils geforderten Kompetenzen befördern, vor allem durch Reflektion
  • die Organisation der Bildungseinrichtungen effizienter machen
  • leicht verständlich sein für Einsteiger zur einfachen Verbreitung und schnellen Nutzung
  • sich immer weiterentwickeln.


Auf der Tagung “Humboldt reloaded” werden wir vom 28.-30. März mit vielen erfahrenen Pädagogen über die Zukunft der Bildung zwischen KI und Latein, sozialen Werten und social bots diskutieren. Wir würden uns freuen, Sie dort zu treffen.

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.