Digitale Kompetenz – was müssen Führungskräfte, Lehrer und überhaupt alle Vorbilder wissen?

Vor fünfzehn Jahren wurde man noch als Nerd belächelt, wenn man von der Digitalisierung der Medien sprach und als Führungskraft musste man sich schwer ins Zeug legen, um zu überzeugen. Seit ca. zehn Jahren haben digitale Angebote mit dem Siegeszug der Smartphones fast jeden Haushalt erreicht. Und manche Mitarbeiter sind damit geschickter als ihre Vorgesetzten, die Schüler fast immer schneller als ihre Lehrer. Dass die Digitalisierung jeden betrifft, das braucht man niemandem mehr zu sagen. Aber was für Kompetenzen gefragt sind, das schon. Denn die Mär von den “digital natives” (sind das aus Strom geborene Softwarewesen ohne Blut und Herz, rein digitale “Produkte”?) auf der einen und den verkrusteten Alten auf der anderen Seite ist irreführend und gefährlich. Irreführend, weil digitale Kompetenzen nicht mit zwei Wischbewegungen im Babyalter oder stundenlangem Computerspielen gelernt wird und Neugier nicht altersabhängig ist. Gefährlich, weil sie den Blick auf nötige Veränderungen in der Bildung und Unternehmen verstellt. Und hier sind von Lehrern bis zu den Führungskräften in Unternehmen und der Politik alle angesprochen.

Döbeli Honegger verweist darauf, dass dem Mensch durch die Digitalisierung einiges abgenommen wird. Der Taschenrechner wird immer schneller rechnen als der Mensch. Deshalb muss er diesen nicht kopieren, sondern verstehen, wie er wann und wo funktioniert. Das ist das Grundprinzip digitaler Bildung: Begreifen, was das bedeutet, um selber darauf reagieren zu können.

 

 

Das Dagstuhl-Dreieck veranschaulicht drei wesentliche Perspektiven der digitalen Bildung: Man muss verstehen, wie etwas funktioniert, welche Auswirkungen es auf die Gesellschaft hat und wie man es für sich nutzen kann. Da man natürlich nicht in allen drei Feldern gleich gut sein wird, muss man sich jeweils genau überlegen, wie viel Wissen und Know-how man in jedem Bereich erwerben will. Das hängt immer von der Frage ab, wie man die Perspektiven und Skills für sich nutzt. Ein Handwerker wird mit dem Thema “smart home” in Zukunft ganz anders konfrontiert werden als ein Religionslehrer. Deshalb muss der Handwerker die Technologie besser verstehen und anwenden können, der Religionslehrer die gesellschaftlichen Auswirkungen erfassen und bewerten. Zentral ist hier, dass aber beide für eine Bewertung alle drei Perspektiven brauchen und diese zusammen denken müssen.

 

Das Dagstuhl-Dreieck und die drei wesentlichen Perspektiven der digitalen Bildung: Technologie, Anwendung und gesellschaftliche-kulturelle Wirkung müssen immer zusammen gedacht werden. (Quelle: http://wiki.doebe.li/Dagstuhl/WebHome)

 

Jetzt gibt es Dinge, die man gerne als “Grundlagen” bezeichnet, als für alle Menschen gleich gültige Fähigkeiten und Werte. Rechnen, schreiben und lesen gehören dazu, die Wertschätzung des anderen und ein paar Regeln im Umgang, all das, was in der “Grund”schule gelehrt werden soll. Aber es ist immer schon ein brüchiges Eis, auf dem wir hier wandern, denn was alles in den Kanon soll, darüber brütet man mit jedem neuen Lehrplan, mit jeder neuen Stellenbeschreibung – und die letzten hundert Jahre hat sich hier so einiges getan. Durch die digitalen Medien kommen hier einige Fragestellungen hinzu: Sollen die Kinder ganz früh auch Englisch lernen, mit Hilfe von Apps selber Musikstücke komponieren, im Kopf rechnen können oder ihre Handschrift verbessern? Sowohl als auch, betrachten wir einmal Modellschulen wie die in Offenstetten, die auf vorbildliche Weise “traditionelle” Unterrichtsmethoden mit digitalen Angeboten verknüpfen. Aber der Tag hat nach wie vor nur 24 Stunden, die Woche sieben Tage. Man wird also Abstriche machen müssen. Aber wo? Hier wird deutlich, dass Schulen und Unternehmen an einem Punkt vor denselben Herausforderungen stehen:

  • Man kann nicht auf einem Wissenskanon aufbauen, den anwenden und schon hat man das gewünschte Ergebnis.
    Man kann nicht mehr auf den gewohnten Geschäftsmodellen aufbauen und erwarten, dass man damit in den nächsten Jahren noch Geld verdient.
  • Man muss das Erlernte immer häufiger und schneller überprüfen und dann in einem neuen Kontext verproben.
    Man muss dauernd lernen und sich überprüfen.
  • Dafür braucht man Methoden, wie man sich selber das Neue aneignet und überträgt.
    Das Rüstzeug ist weniger gesammeltes Wissen als vielmehr erfahrenes Anwenden.

Das macht mehr als 50% der Miete aus. Und das zeigt, dass Erfahrung und die Vermittlung derselben wichtiger geworden ist als reines Faktenwissen. Mal schnell ein paar Vokabeln trainieren oder wissen, wie man ein PDF konvertiert – dazu findet sich alles Nötige im Netz. Aber zu wissen, ob das auch nötig ist und in welchem Umfang, dazu braucht es Unterstützung.

 

Das TPACK-Modell wurde für Pädagogen entwickelt, lässt sich aber genauso gut auf alle Führungskräfte erweitern. Um lehren und führen zu können, müssen immer drei Fähigkeiten zusammenspielen: Das Verständnis für die Technologie, den Inhalt und die Vermittlung. Beim Lehrer nennt man das die pädagogischen Fähigkeiten, bei der Führungskraft neudeutsch “Leadership”.

 

Auch hier wird deutlich, dass im Idealfall genau die Fähigkeiten vorhanden sind, die zur Führung der Mitarbeiter oder zur Bildung der Schüler gefragt sind. Das heißt eben nicht, dass man in Bezug auf die Technologie und die Inhalte alles wissen und können muss. Man muss das Zusammenspiel verstehen und entsprechend vermitteln. Eine gute Führungskraft ist immer schon stolz gewesen auf Mitarbeiter, die mehr wissen als sie selbst. Ein guter Lehrer will immer, dass seine besten Schüler einmal besser werden als er. Ihre Aufgabe ist die Steuerung. Das heißt, auf einer Metaebene das Zusammenspiel zu verstehen und in der Vermittlung den Schwerpunkt zu setzen. Es ist der gezielte Einsatz der Kräfte am richtigen Ort zur rechten Zeit, die Mitarbeiter und Schüler befähigen, selbst Verantwortung zu übernehmen in einem Umfeld, in dem sie selber Maßstäbe setzen müssen.

 

Will man heute seinem Job als Führungskraft und Lehrer gerecht werden, dann hat man mit fünf Herausforderungen zu tun. Diese im Blick zu haben ist wichtig. Denn Veränderungen an einer Stelle verändern das Gleichgewicht. Und dann ist es wichtig zu wissen, woher die Unwucht kommt, um reagieren zu können.

 

Als Führungskraft und Lehrer muss man deshalb auf diese fünf Felder achten und dabei selber festlegen, bis zu welchem Grad man die eigenen Kompetenzen hier aufbaut und wo die Schüler und Mitarbeiter durchaus besser sein sollen.

  1. Ein Verständnis für die technologischen Entwicklungen ist unverzichtbar. Sonst lässt sich nicht einschätzen, ob AR, VR oder KI wirklich das eigene Geschäft und die Weiterbildung verändern oder nicht. Zumindest braucht man eine Haltung gegenüber Facebook und IBM und muss verstehen, warum Microsoft auf Office 365 setzt.
  2. Die Haltung der Gesellschaft zur Digitalisierung prägt. Ob es die Gewohnheiten der Kunden sind, im Appstore nicht mehr als 1,49 € zu zahlen oder automatisch mit der Suche auch eine personalisierte Trefferliste zu erhalten, oder ob es rechtliche Rahmenbedingungen für die Privatsphäre und Fake-News sind – davon hängt viel ab.
  3. Die eigene Identität wird zunehmend auch durch die digitale Präsenz geformt. Der Schule kommt hier eine besondere Bedeutung bei der Führung zu, den Unternehmen bei der Gestaltung von Rahmenbedingungen für die Vermischung von Beruf und Privatem.
  4. Durch die Digitalisierung werden neue Erkenntnisse in allen Fächern möglich – zumindest ändert sich die Perspektive auf das Wissen. Und in Verlagen ändert sich z.B. das Handwerkszeug für Lektoren oder Marketer durch automatisiertes Schreiben, Keyword-Analysen oder CRM-Systeme.
  5. Als Führungskraft wie auch als Lehrer muss man jetzt seinen Baukasten der Methoden (lehre ich nur online, blended, flipped oder wie auch immer) und der Zugänge zu den Kollegen und Mitarbeitern (kollaborativ? alleine? vernetzt?) jeweils neu definieren und durch Erfahrungen lernen.

In manchen Schulen und Unternehmen scheint es leider noch so, als ob Schüler und Mitarbeiter auch in Zukunft besser als Waschmaschinen waschen sollten.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.