eBooks im Abo – Teil 2 zur Schule und Wissenschaft

Im ersten Teil zu Abomodellen sind wir auf Beispiele aus der Belletristik und Ratgeber eingegangen. Da eBook nicht gleich eBook ist, erfolgt hier eine Vertiefung zu den Geschäftsmodellen in den Bereichen Fachliteratur und Wissenschaft. Diese Märkte funktionieren ganz anders und haben dem folgend auch völlig unterschiedliche Entwicklungen im digitalen Markt genommen. Als das Buch für all diese Märkte noch das Leitmedium war, hat man oft über die Differenzen hinweggeschaut und gerne von “dem Buchmarkt” gesprochen. Mittlerweile rücken die Unterschiede viel stärker in den Mittelpunkt. Das erkennt man ganz gut, wenn man sich die unterschiedlichen Erfolgskriterien von eBook-Abos genauer ansieht.

Im vorangegangenen Artikel haben wir auf die Onleihe und Amazon als die größten Konkurrenten der etablierten Verlage verwiesen und die Notwendigkeit, nicht nur viele Titel anzubieten, sondern auch nach der Lektüre die passenden Folgetitel anzupreisen. Fachverlage werden sich hingegen auch in den nächsten Jahren immer weiter weg von der Produktform und hin zum Anbieter von Inhalten entwickeln.

Das wird deutlich, wenn man sich O’Reilly und das erste eBook-Portal in diesem Bereich von vor 16 Jahren genauer ansieht.  “Learn the way you learn best” – dieses Motto von O’Reilly verrät viel über die Wertschöpfung, die man hier für seine Kunden geben möchte: Lernte man früher aus Büchern, so sind geschriebene Informationen heute nur noch ein Teil des Angebots, weil Tutorials und Videos von Konferenzen auf das gesprochene Wort, die Grafik und die Zusammenfassungen in Präsentationen setzen.

 

Die Webseite heißt nach wie vor safaribooksonline – aber die Inhalte und Darstellungen haben sich geändert. O´Reilly hatte vor 16 Jahren diesen Aboservice gestartet und mittlerweile geht es nicht mehr um Bücher, sondern um Mitschnitte von Konferenzen, Tutorials und Schulungen. Das Motto erinnert eher an TED-Talks als an einen Buchverlag. Und für Fachinhalte ist dieser Weg auch viel sinnvoller als der Onlinevertrieb von Büchern. “Content is liquid, not bound.”

 

Das Fachbuch ist nur noch begrenzt hilfreich, wenn der Kunde zu einem Wissensgebiet die relevanten Informationen sucht. Es gibt noch einen roten Faden vor und hilft bei der Strukturierung und Orientierung. Aber es ist überfordert bei der Vermittlung von Tools und aktuellen Bezügen (siehe hierzu auch unsere Beiträge zu den Merkmalen moderner Fachbücher).  Für Fachverlage lautet die Losung deshalb nicht, wie sie noch weitere Bücher empfehlen können zu einem Thema, sondern wie sie Services rund um die Bücher entwickeln und ihren Kunden ein anderes Portfolio als bisher bieten.

 

Eine andere Möglichkeit für Fachbücher liegt im Selfpublishing. Der Verlag stellt hier nur noch die Plattform zur Verfügung und lässt den Autor bezahlen, weil dieser durch ein eigenes Buch eine Aufwertung der eigenen Marke sieht. In dieser Nische gibt es irgendwann mehr Autoren als Leser und der Verlag bedient einerseits noch einen kleinen Fachbuchmarkt mit Autoren, von deren Büchern man sich ein wenig Profit erhofft und Autoren, die man als Erlösquelle betrachtet. (Die literarische Vorlage für dieses Geschäftsmodell findet sich übrigens schon 1988 in Umberto Ecos “Das Foucaultsche Pendel”.)

 

Ähnlich und doch anders gelagert ist die Situation im Lehr- und Schulbuchmarkt. Hier sind die Dozenten die zentrale Anlaufstelle. Auch sie brauchen eigentlich laufend andere Services als sie ein Buch bietet. Sie benötigen für die Vermittlung ihrer Inhalte nach wie vor den roten Faden, das klassische Lehrbuch, die Orientierung für Schüler wie für Lehrer. Aber wie dieses aussehen soll, dass lässt sich nicht exakt festlegen. Denn je nach Fach sind andere Inhalte und Verweise nötig. Das führt dazu, dass es anders als beim Buch keine ideale “Normplattform” gibt, die für die Aprobationsverfahren in den Ministerien taugen würden. Dort orientiert man sich nach wie vor an den klassischen  Schulbüchern und weiß zugleich, dass die Wirklichkeit zwischen OER, Selfpublishing und den Angeboten der GAFAs liegt.

Man ist gefangen in der Aufgabe, eine für alle gleich gültige Norm vorzugeben, die die Basis für zentrale Prüfungen ist (der Ruf nach einem “Zentralabitur” erschallt immer dann am lautesten, wenn die Unsicherheit am größten ist) – und der Tatsache, dass Medienkompetenz heute vor allem Methodenkompetenz ist und viel weniger die Vorgabe von Inhalten. Und dass dem folgend jede Schule, jeder Lehrer eine für seine Schüler passende Lösung bräuchte. Betrachtet man die Anforderungen an Schulbücher und die vielen Start-ups und digitalen Lösungen in diesem Markt, dann müssen sich auch das Aprobationsverfahren und die Bewertung von Schulmedien ändern.

 

Bücher werden im Wissenschaftsbetrieb nicht einzeln verkauft und abgerechnet. Das macht im b2b-Geschäft wenig Sinn. Sie sind Teil von Paketen und den dazugehörigen Preiskategorien. Auch das kennt man aus den bekannten Flatratemodellen von Telekommunikationsanbietern: Je nach Datenvolumen zahlt man mehr oder weniger. Bücher sind hier schon längst in Bits und Bytes zerlegt worden, völlig unabhängig vom inhaltlichen Gehalt und dem Anspruch ihrer Autoren (hier z.B. das Angebotsmodell von de Gruyter).

 

Im Wissenschaftsmarkt haben sich mit Springer Nature, de Gruyter und all den anderen Anbietern leicht andere Mechanismen entwickelt. Der Zugang zu den Lesern erfolgt durch die Bibliotheken und Abomodelle sind hier durch die hohe Bedeutung der Zeitschriften immer schon präsent gewesen. Die Verlagerung von Print auf Online trifft verständlicherweise auch die Bücher. Und auch hier muss man wieder unterscheiden. Wissenschaftliche Publikationen werden von wenigen zur Kenntnis genommen und von noch weniger Lesern zitiert. Aber gerade der Impact Factor ist der häufigste Antrieb für das Schreiben: Wer hat mich wo und wie zitiert und wie bedeutend ist das für meine Stellung in der wissenschaftlichen Gemeinschaft? Denn das ist nach wie vor eines der stärksten Argumente gegen Open Access und Portale wie LibGen oder Sci-Hub, die wissenschaftliche Publikationen kostenlos einer immer größeren Community anbieten. (Die Gründerin Alexandra Elbakyan wurde von Verge kürzlich in einem längeren Artikel über Open Access zur “Science Pirate Queen” ernannt.)

Hier konnten angesehene wissenschaftliche Publikationen durch die kluge Organisation eines Beirats und prüfenden Gremiums von Experten über Jahrzehnte einen Status aufbauen. Dasselbe Prinzip wie beim PageRank, dem Kern von Googles Aufstieg zur führenden Suchmaschine der Welt, gilt auch hier: Wie bedeutend ist die Quelle, von der aus auf andere verwiesen wird und wie viel Wert wird dieser Quelle durch Käufe, Clicks oder andere Äußerungen innerhalb einer Community beigemessen?

Solange die Verlage diesen impact Factor verteidigen können, sind Bibliotheken mehr oder minder an die Bestellung der relevanten Zeitschriften gebunden – und damit an die hieran geknüpften Abomodelle. Bücher spielen dabei einen Faktor als Verhandlungs- und Verschiebemasse. Das wird am Beispiel der Angebotsformen wie hier bei de Gruyter deutlich. (Siehe zur aktuellen Diskussion um den Impact Factor z.B. diesen Blogbeitrag.)

Die Verschiebungen im Markt lassen sich an zwei Beispielen gut zeigen. Sie betreffen den Impact Factor und kollaborative Plattformen auf der einen Seite und die Bepreisung von Büchern als Teil eines Gesamtpakets zur anderen. ResearchGate (hier zu unserem Beitrag über die Entwicklung dieser kollaborativen Plattformen vor fünf Jahren) hat sich neben Academia.edu zu einer der führenden Plattformen entwickelt. Sie organisiert wie ein Facebook für Wissenschaftler den Austausch von Informationen und lässt die Organisation der eigenen Peergroup durch Foren und Follower zu. Der Impact Factor wird hier aufgrund der Daten der Plattform natürlich viel genauer bemessen als auf dem traditionellen Weg der Publikationen in Zeitschriften. Die Rückmeldungen durch andere, das Antworten auf Fragen und die Teilhabe an Gruppen sind Messgrößen, die die Qualität besser erfassen als bisher.

 

ResearchGate hat sich als Plattform zum Vertrieb von wissenschaftlichen Publikation, dem Austausch darüber und der Bewertung derselben etabliert. Sie hat das Potenzial, die bisherige Dominanz der Verlage in diesem Feld zu brechen. Denn sie folgt den Regeln der Plattformökonomie, die den Austausch und die Verteilung organisiert, ohne selber Inhalte zu erstellen. Und das ist in der heutigen Zeit zukunftsträchtiger als die geschlossenen Systeme der Verlage. An diesem Beispiel sieht man, wie viel genauer und informativer ResearchGate über Wissenschaftler berichten kann als andere, weil es deren Aktivitäten organisiert. Zusammen mit dem Google Scholar Profile ist längst eine andere Größe im Markt entstanden.

 

Iversity wurde vor ein paar Jahren zunächst als Onlineplattform für den Austausch von Wissenschaftlern gegründet und hat sich dann zur Plattform für digitale Lernangebote entwickelt, bevor sie von Springer gekauft wurde (hier unser Beitrag darüber vor knapp vier Jahren). Im letzten Jahr diente sie zur Vermarktung von eBook-Paketen.

 

Die Vermischung von Erlösmodellen zeigt sich am Beispiel iversity: Als kollaborative Plattform gestartet, entwickelte sie sich zu einem Anbieter von Onlinekursen und bietet jetzt auch im b2b-Geschäft Weiterbildung an. Bücher von Springer spielen hier im Paket und als Teil des Gesamtangebots eine Rolle. Die hier abgebildete Werbung für eBook-Abos im Paket, ohne dass einzelne Titel genannt werden und jeder Titel dasselbe kostet, bewertet die Titel nicht nach ihrem Inhalt, sondern nach ihrer Masse.

 

Ein Fazit fällt hier schwer, zu heterogen ist der Markt. Aber sicher ist: Das Buch löst sich auf und das eBook-Abo wird als Geschäftsmodell dann erfolgreich, wenn es sich weniger um die Produktform kümmert als vielmehr um den Nutzen für den Kunden. Auch wenn Analogien keine wirklich logischen Gründe sind: Die New York Times zeigt mit ihrer Digitalstrategie, dass der Wandel von der gedruckten zur digitalen “Zeitung” nötig und möglich ist.
Zentral ist dabei jedoch der Kundennutzen – und der ist bei Büchern ein anderer als bei Zeitschriften. Wie man den herausbekommt, das haben wir, liebe Leser, ganz traditionell, alles in einem Buch näher ausgeführt.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.