Die Kultusminister in Deutschland drängen auf “mehr” digitale Bildung und haben sechs Schlüsselkompetenzen formuliert, in denen sich Schüler künftig beweisen müssen. Die öffentliche Meinung fordert mehr Wissen (siehe die Beispiele der SZ oder von Spiegel online), die Lehrer sind oft überfordert, weil sie zwischen Inklusion, renitenten Eltern und Schülern, schlechter Infrastruktur und oft fehlendem Wissen selber ratlos sind. Die Eltern fordern einer Umfrage der BitKOM zu Folge mehr digitale Kompetenz (und wollen blauäugig zugleich aber auch keine Einbußen an anderer Stelle). Und die Schüler sind sowieso schneller auf WhatsApp als jede Lehrkraft, auch wenn das überhaupt nichts über die digitale Kompetenz aussagt, wie jüngstens wieder eine Studie bemängelt. Die Gemengelage ist alles andere als leicht. Aber was bedeutet sie für die digitalen Bildungsangebote?
Der Schulunterricht verändert sich naturgemäß langsamer als die Gesellschaft. Bis sich Ministerien, Schulen, Lehrer und Eltern gefunden haben vergeht immer Zeit. Das ist per se nicht schlecht, denn nicht jede Mode muss gleich an den Schülern ausgelassen werden. Bei der Digitalisierung macht allen Marktteilnehmern besonders der Bruch mit dem Buch zu schaffen. Es war bisher der gelernte Modell, um Schüler zu unterrichten und die Geschäfte zwischen den Verlagen, Schulen, Lehrern und Ministerien zu regeln. Das Buch war der roten Faden im Unterricht, die Vorlage für das abzufragende Wissen und die Einheit für die Verrechnung von Leistungen zwischen Verlag und Staat. Das erodiert an verschiedenen Stellen: OERs haben schon längst den Markt erobert (wir haben schon öfter darüber berichtet) und die großen Ökosysteme locken ihre Kunden mit Bildung, ob Amazon mit Inspire oder Apple, Google oder Microsoft mit ihren jeweiligen Sonderbereichen für Lehrende und Schüler. Das bringt die Verlage unter Zugzwang und erinnert an die Situation der Loseblattanbieter vor 15 Jahren: Noch verdient man am alten Produkt, aber den Markt gestaltet man damit schon lange nicht mehr. Und dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Die einen ändern sich radikal (Bsp. Haufe) und wachsen überdurchschnittlich, andere bleiben in der Nische und optimieren dort kleinteilig. Und je nach Nische kann das gut oder weniger gut ausgehen.
Zahlreiche Plattformen versuchen sich an einem neuen Geschäftsmodell: learnattack will ganz gezielt die Vorbereitung auf Prüfungen unterstützen. Die Online-Nachhilfe folgt dem klassischen Motto von Klett, “verstehen, üben, prüfen”. Multimedial, jederzeit verfügbar und über digitale Kanäle wie Laptop und Smartphone nutzbar, soll der Schüler besser werden. Sogar WhatsApp wurde integriert, um die Schüler dort anzusprechen, wo sie sind. Ähnliches bieten Westermann mit kapiert.de, FINALE online oder dem Prüfungsportal an oder eDidact (Olzog bzw. Mediengruppe Oberfranken), arbeitsblätter online (Bergmoser&Höller), skook (Cornelsen), die BiBox und learnscape (Westermann).
Folgt man dem SAMR-Modell von Puentedura, so sind das vielfach noch 1:1-Übertragungen der Angebote aus der gedruckten Welt in die digitale – mit dem Unterschied, dass man jetzt Einzelteile erhält. Das dürfte in vielen Fällen für die Suche nach einer schnellen, unkomplizierten Lösung reichen. Aber es wird mit Sicherheit nicht dem Anspruch der Kultusminister gerecht, digitale Kompetenzen zu fördern. Denn diese fordern zu Recht ein Einüben und Ausprobieren mit digitalen Tools für gleich sechs Schlüsselkompetenzen:
- Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
- Kommunizieren und Kooperieren
- Produzieren und Präsentieren
- Schützen und sicher Agieren
- Problemlösen und Handeln
- Analysieren und Reflektieren
Und das heißt, dass völlig andere didaktische Konzepte nötig sind. Denn schon ein Blick auf die Kompetenzen zeigt, dass Content alleine nicht ausreicht. Er muss erfahrbar werden, in digitale Werkzeuge eingebettet. Und die Erfahrung lehrt, dass Inhalte aus gedruckten Werken bei einer Überführung in die digitale Welt fast immer angepasst werden müssen. Das trifft sogar in überschauberem Maße auf die Belletristik zu. Es wird jetzt viel davon abhängen, wie die jeweiligen Bundesländer diese Vorsätze auch nachhaltig einfordern. Dazu bedarf es schon vorab viel digitaler Kompetenz auf beiden Seiten. Denn nicht nur der produzierende Medienanbieter muss liefern, auch der approbierende Staat muss richtig beurteilen können.
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