Warum digital natives ihren Kindern (gedruckte) Bücher vorlesen

Ois digital? Oder doch nicht?!
Eine interessante Beobachtung machten kürzlich die Marktforscher des Pew Research Centers. Bei einer Analyse zum Leseverhalten stellten sie fest, dass doch nicht alles immer so eindeutig einseitig ist wie angenommen.
Der Kinderbuchmarkt weist ja traditionell die schrägsten Produktlebenszyklen auf. Eltern erinnern sich nach der Geburt ihrer Kinder an ihre eigene Kindheit und dann werden mit ein paar Jahrzehnten Verzögerung genau die Produkte gekauft, die man selber vorgelesen bekommen hat. Aber wie sieht das jetzt im digitalen Markt aus, der doch alles grundlegend verändert?

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Eltern sind in der Regel etwas jünger und es ist zu erwarten, dass sie auch eher eBooks lesen. Interessant wird es jetzt, wenn man die jungen Eltern befragt, was sie ihren Kindern vorlesen wollen:

 

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Auf gedruckte Bücher möchte im Kinderzimmer kaum jemand verzichten. Für die Erziehung werden sie nach wie vor als sehr wichtig erachtet. Hier, wo es wirklich ernst wird, zeigt sich die Macht der Gewohnheit. Bei Erziehungsfragen wird nicht gespaßt, denn jeder will seinem Nachwuchs die besten Möglichkeiten bieten – oder zumindest das, was man selbst erfahren hat.

 

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Nicht nur beim Teilen mit anderen Personen (das Thema DRM und die Bindung an Ökosysteme ist hier in all seiner Tragweite vielen in den USA wohl schon bewusst) ist das gedruckte Buch im Vorteil. Im Kinderzimmer ist es ganz klar die Nummer 1. Über die Gründe lässt sich trefflich spekulieren.

  • Das Angebot an guten Kinderbüchern ist noch nicht groß genug. Amazon unterstützt die interaktiven Funktionen von EPUB 3 nicht und damit fehlt der wichtigste Marktplatz. Ohne Standard für gute, multimediale Produkte im eBook-Bereich bleiben nur die Apps als Angebotsform. Und das ist zu wenig, damit viele Verlage ein breites Angebot an guten Produkten entwickelt werden. Denn noch rechnen sich die Investitionen selten. Es gibt einfach noch viel mehr gute, gedruckte Kinderbücher als eBooks. Aber das wird sich sicher in den nächsten Jahren ändern.
  • Einige Eltern verweisen darauf, dass man bei gedruckten Büchern genau sieht, was man tut. Am iPad könnte man ja auch spielen, surfen oder chatten. Aber sie wollen ihren Kindern im Lesen ein Vorbild sein. Kindheit ist geprägt von Nachahmung.
  • Das haptische Erlebnis erlaubt eine Förderung anderer Sinne und lässt sich durch kein eBook ersetzen. Die Leseerfahrung ist eine andere und diese wollen Eltern vermitteln.
  • Das Entnehmen eines Buches und das Zurückstellen schafft einen Ort für Wissen, eine Eindeutigkeit, die gerade in der Erziehung wichtig ist. Und sie gibt den Eltern eine gute Kontrolle über das, was gelernt und gewusst wird.
  • Die heutigen Eltern sind im Grunde genommen (noch) keine digital natives. Sie wurden mit gedruckten Büchern erzogen, auch wenn sie schon am Internet geschnuppert haben. Ihre prägenden Erinnerungen aus der Kindheit sind niemals virtuell gewesen. Sollten sie die Nähe zu ihren Eltern beim Vorlesen erfahren haben, so werden sie genau diese weitergeben wollen. Nähe und Ruhe in dieser Beziehung werden durch gedruckte Werke ganz anders möglich. Wer will schon darauf verzichten?
  • Kinder erfahren die Welt auch durch Geschichten, seien sie erzählt oder vorgelesen. Die reale Bezugsperson (Eltern, Verwandte, ältere Geschwister, Erzieher(in)…) bürgt für die Echtheit und führt das Kind durch die Geschichte. Und hier möchten Eltern nicht ausgeschlossen werden. Sie wollen Präsenz zeigen. Bei einem gedruckten Buch teilen Vorleser und Kind ein anfassbares Werk, das genau verortet und immer wieder hervorgeholt werden kann. Es dient nur dieser einen Geschichte und bürgt für sie. Und die Eltern können hier in einer intimen Situation dem Kind ganz nah sein. Hier ist etwas, was nur die beiden teilen. Keine fremde Stimme, keine Animation drängt sich dazwischen. Zugegeben, auch das Buch drängt sich im Vergleich zur erzählten Geschichte schon zwischen Eltern und Kind, weil es ein Medium ist, das nicht nur in dieser einen Eltern-Kind-Beziehung gilt, sondern in vielen. Aber es wird von den Eltern als intimer empfunden als die Vermittlung über ein mobiles Gerät.
  • Veränderungen in der Erziehung brauchen Zeit. Man wiederholt doch nur das, was man gelernt hat. Das wird den Kinderbuchverlagen eine kleine Verschnaufpause bieten in der digitalen Hatz.

Ob und wie schnell sich dieses ja weitgehend aus der letzten Generation tradierte Mediennutzungsverhalten ändern wird, wenn Modelle wie die Allround-Medienplattform Pottermore gängiger werden, bleibt dabei die große Frage. Auch Plattformen wie die frisch entwickelten Bridging Books, die sich an einem Modell mit dem iPad als “second screen” zum Buch versuchen, können einen Markt schnell drehen, wenn sie bei den Kindern einmal zu Mode geworden sind (man erinnere sich an den Siegeszug der Gameboy-Plattform). Für die Kinderbuch-Verlage aber bleibt nach der vorliegenden Studie die beruhigende Erkenntnis, etwas mehr Zeit zum digitalen Wandel zu haben, als andere Teile der Branche.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.