Smartwatches, smartglasses, wearables – und was ist mit dem Content?

Die Wearables sind unter uns. Als zweite Welle der mobilen Endgeräte nach Smartphone und Tablet kommen Armbanduhren und Brillen mit Betriebssystem und Internetanschluss auf uns zu. Obwohl Google Glass, das publikumswirksamste Projekt der letzten Jahre, in den USA unter dem Schlagwort der “Glassholes” bereits ein schwerwiegendes Image-Problem hat, haben die Deutschen offenbar großes Interesse an Glass:

Nach einer aktuellen Studie der BITKOM kann sich ein Drittel der Befragten vorstellen, die AR-Brillen zu nutzen. Und natürlich sind alle großen Ökosysteme dabei, ihre Systembasis auf Wearables und andere Gerätetypen wie Fernseher, Autos und Haushaltsgeräte zu erweitern. Die Liste der Android-Varianten, die jüngst auf der Google I/O vorgestellt wurde, spiegelt diesen Trend genau wieder. Was bedeutet diese Geräte-Schwemme aber für Content-Anbieter? Und wie lässt sich die Erweiterung des “internet of things” für den Kundenkontakt nutzen?

Glaubt man dem renommierten Pew Research Center und seiner Studie zum “internet of things”, so wird sich bis 2020 die Zahl der Internet-fähigen Geräte mehr als verfünffachen. Gleichzeitig nehmen dabei die Typen von Geräten, die Daten empfangen, verarbeiten, aufnehmen und senden können, immer mehr zu. Für den Nutzer können diese wearables und intelligenten Haushaltsgeräte eine spürbare Erleichterung bedeuten und viele Nutzungsszenarien erst möglich machen.

Eine Richtung von Analysten sieht in diesem Trend bereits den Niedergang des Smartphones voraus. Und auch der Handel wittert Morgenluft, wenn die Kunden viele neue Touchpoints stets mit sich herumtragen. Aber nicht erst seit dem Prism-Skandal gibt es die berechtigte Angst vor völlig entgrenzter Datensammel-Wut in den Backends der mobilen Ökosysteme. Und selbst wenn Datensammlung alleine noch keine Rolle spielen würde: Will man wirklich immer online sein? Oder, wie es netzwertig.com ausdrückte: “Wer will ein Date mit einem Cyborg?”

 

wearables

Das Kaleidoskop der Wearables: Schöne neue Geräte-Welt? Oder ein neues Bentham’sches Panoptikum? (Quelle: Google-Bildsuche)

 

Smartglasses

Das Pilotprojekt Google Glass, das vor mittlerweile über zwei Jahren das erste Mal für Furore gesorgt hat, hat inzwischen vielfache Nachahmer gefunden. Neben dem inzwischen erweiterten Glass Explorer-Programm können sich Interessierte auch an den Hardware-Alternativen von Epson oder Vuzix versuchen. Und obwohl es wohl noch etwas dauern wird, bis die AR-Brillen in Europa für den Massenmarkt verfügbar sind, konnten auch Events wie der diesjährigen re:publica schon viele Modelle parallel probiert werden.

Spannender als die Entwicklung im Hardware-Bereich ist aber, welche Anwendungen die Smartglasses im ernsthaften Einsatz finden. In den USA zeigen Projekte wie beim Rhode Island Hospital in der Intensiv-Medizin das Potenzial, wenn es auf Sekunden ankommt und punktgenaue Information eine wesentliche Rolle spielt. Und ein Projekt der Firma Itizzimo aus Deutschland versucht sich gar an einem Augmented Reality-gestützten Lagerhaltungssystem, bei dem die Logistik-Arbeiter mit 3D-Navigation und Live-Einspielung von SAP-Daten versorgt werden. Im Content-Bereich dagegen halten sich die Innovationen bisher in Grenzen: Als prominentester Vertreter der Branche kündigte zumindest der Guardian eine Glass-App für sein News-Portal an.

 

AR-gestützte Lagerhaltung – ein Pilotprojekt von Itizzimo, SAP-Integration inklusive (Quelle: http://www.cio.de)

 

Smartwatches

Seit Pebble, dem erfolgreichen Smartwatch-Projekt auf Kickstarter, hat sich einiges getan: Nahezu jeder Hardware-Hersteller, der etwas auf sich hält, arbeitet momentan an den intelligenten Uhren – bei areamobile und beim Guardian gibt es einen guten Überblick der Entwicklungsprojekte. Die jüngsten Modelle von LG, Motorola und Samsung wurden auf der Google I/O vorgestellt und zeigen den aktuellen Stand der technischen Entwicklung.

Smartwatches bieten einige Vorteile: geringes Gewicht, der “Hände frei”-Faktor und noch unmittelbarere Nähe zum Träger als beim Smartphone. Für die Entwicklung und Vernetzung von Anwendungen dürfte aber die größere Rolle spielen, dass die Körpernähe eben auch den sinnvollen Einsatz von Sensoren für Körpertemperatur, Herzschlag und andere physische Merkmale möglich macht. Wie dies genutzt werden kann, zeigen z.B. die Funktionen, die Apple mit seinem Healthkit-Modul in iOS 8 vorgesehen hat. Ein Boom von Fitness- und Gesundheits-Apps ist damit ebenso vorhersehbar wie eine Flut von Privatsphäre- und Datenschutz-Themen, die mit dieser Datensammlung einhergehen.

 

Konzeptstudie iWatch

So könnte sie aussehen, die iWatch – eine aktuelle Konzeptstudie (Quelle/Copyright: Todd Hamilton, http://toddham.com)

 

Autos, Kühlschränke, Heizkörperthermostate

Nahezu unendliche Mengen Geräte neben den wearables im engeren Sinne lassen sich smart gestalten. Kann man Erfindungen wie den Android-getriebenen Reiskocher noch als Kuriosität für den asiatischen Markt belächeln, stehen die nächsten ernsthaften Kandidaten bereits vor der Tür: Sowohl Apple als auch Microsoft und Google arbeiten daran, ihre Ökosysteme auf das Auto als “Endgerät” zu erweitern. Nach Apple drängen Google und Amazon in den Markt der TV-Streaming-Anbieter – mit Nebeneffekten, die nicht so offensichtlich sind. Denn sind die großen 3 erst einmal im eigenen Heim verankert, können Geräte und Nutzer über Technologien wie die 3D-Ortung über das WLAN und 3D-Kamera-Erfassung wie bei Google und Amazon jederzeit in Echtzeit erfasst werden. Und Anbieter von “smart home”-Technologien wie Nest tun ihr übriges, um weitere Bereiche des Lebens abzudecken.

Was bedeutet diese Entwicklung für Content-Anbieter?

Content-Anbieter tun gut daran, die Entwicklung intensiv zu beobachten und Modelle zu konzipieren, mit denen ihre Inhalte auch für wearables nutzbar werden. Denn klar ist, dass mit jedem weiteren Gerät auch mehr Angebote um die begrenzte Aufmerksamkeit des Nutzers kämpfen werden – ein Trend, der schon bei Mobile Apps deutliche Folgen zeigt. Dennoch gibt es große Chancen für neue Geschäftsmodelle: Neben einem ortsbasierten Angebot von Informationen können auf Basis der Gerätedaten viele weitere Kontexte ausgewertet werden, um passgenau gewünschte Daten zum Kunden zu bringen.

Gleichzeitig werden durch integrierte Kameras und Sensoren auch immer mehr Menschen zu potenziellen Content-Autoren – eine traditionell Hardware-orientierte Firma wie der Action-Cam-Hersteller GoPro hat dies rechtzeitig erkannt und auf dieser Basis eine nahezu perfekte Content-Strategie entwickelt. Dieser Ansatz teilt sich jedoch die große Herausforderung mit allen anderen User-Generated-Content-Modellen: Ohne kuratierende Instanz verlieren sich die Kunden in der Masse der Angebote.

Aber auch ohne konkret auf der Hand liegendes Geschäftsmodell, sind die Anforderungen an Content klar, der auf wearables seinen Platz finden soll:

  • Chunkable Content: Die neuen Geräte sind klein, haben limitierte Displays und werden in der Regel nebenbei genutzt. In der Folge muss Content kleinteilig und kurz sein, um sinnvoll konsumiert zu werden. In der Content-Produktion spricht das für die Redaktion von Inhalten, die gut “portionierbar”, d.h. in kleinen Einheiten wiederverwertbar und aggregierbar sind.
  • Responsive Content: Mit der Menge der Gerätetypen wächst auch die Anzahl der Display-Größen und Auflösungen. Content muss also so aufbereitet werden, dass sich sein Layout an verschiedenste Anzeigevarianten anpassen kann. Das für mobile Angebote bereits bekannte responsive Design wird umso wichtiger, je mehr Endgeräte auf dem Markt sind. Und die konkrete Gestaltung kann sich nicht mehr an Print-Produkten orientieren, sondern muss “mobile first” erfolgen.
  • Context-oriented Content: Je mehr Daten des Nutzers auswertbar sind und je weniger Zeit dem Kunden zur Verfügung steht, umso wichtiger ist es, punktgenau die richtige Information für das Bedürfnis des Lesers zu liefern. Content muss insofern mit Metadaten angereichert werden, die eine situative Nutzung ermöglichen. Je größer die Contentmengen werden, umso mehr muss dieser Prozess mit semantischen Technologien automatisiert werden, die gleichzeitig eine Passung auf die von den Geräten gelieferten Nutzerdaten erlauben.
  • It’s the API, stupid! Viele der Anwendungen, die so aufgebaut sind, sind nicht mehr wie in der Print-Welt als “edierte Produkte” vorstellbar, die durch Redakteure komplett und in einem Stück bearbeitet werden. Die Mächtigkeit der Content-Verwendung wird sich daraus ergeben, dass die Inhalte über Schnittstellen abfragbar, neu kombinierbar und aggregierbar sind – ob dies nun im Rahmen der eigenen Produktpalette geschieht, oder durch Drittanbieter, denen nur noch Content zu ihren Fachanwendungen oder Endkunden-Plattformen zugeliefert wird.

 

[box] “Publishing Companies Are Technology Companies. Now It’s Time For Them To Act Like It.”

(Eli Horowitz)[/box]

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.