Ist es wirklich so, dass die Backlist länger lebt im Netz? Nur weil der Klick auf einen seltenen Titel so leicht erscheint, heißt es noch nicht, dass dieser Klick auch stattfindet. Der Kunde muss den Titel nach wie vor erst einmal kennen, suchen und wollen.
Marcello Vena hat mit einem White Paper das Thema Long Tail noch einmal in die Diskussion gebracht und die Gegenstimmen sind auch schon erklungen. Die klassische Pareto-Regel, nach der 80% des Umsatzes mit 20% der Titel gemacht wird, galt ja für Publikumsverlage schon immer. Diese Tendenz hat sich seiner Einschätzung nach verschärft. Die Hoffnung hat sich nicht bewahrheitet, dass die scheinbar unendliche Verfügbarkeit von digitalen Produkten bei geringsten Kosten zu viel Umsatz führt. Und über die Gründe darf jetzt spekuliert werden.
Zunächst muss man wie immer den Long Tail differenziert betrachten. Die Backlist eines Fachverlages, eines literarischen Programms oder eines Schulbuchangebots sind grundsätzlich verschieden. Die Geschäftsmodelle unterscheiden sich und dem folgend sind alle Prozesse im Unternehmen je anders ausgerichtet. Lehr- und Schulbuchverlage wissen sehr wohl, wie viel Aufwand es kostet, Titel in immer neue Auflagen zu bringen. Und auch die Backlist eines Kinderbuchverlages folgt anderen Zyklen als die von Schullektüre. Selbst ein Verlag wie Bastei Lübbe, der viel in sein digitales Portfolio investiert und dort auch Zuwächse verzeichnet, wird im nächsten Jahr nach eigenen Angaben geringer Umsätze verzeichnen, weil es kein “Dan Brown-Jahr” ist.
How to discover the long tail
Hier hilft das in Mode gekommene Schlagwort “discoverability”. Denn dass man jetzt auch Titel lieferbar hat, die als gedruckte Auflage längst schon verschwunden wären, ist ja keine Garantie für einen Kundenwunsch. Dieser will nach wie vor geweckt und gepflegt werden. Ohne Fleiß gab es selten Preise.
Und dass hier von vielen Verlagen die Hausaufgaben noch zu erledigen sind, liegt auch auf der Hand. Das Projekt VLB+ gibt beredt Auskunft darüber.
Denn je mehr Produkte es gibt, desto wichtiger sind die Markenpflege, die guten Metadaten, der einfache Kaufprozess, der Aufbau einer direkten Kundenbeziehung und und und. Die Verlagsarbeit ist nicht weniger geworden. Und bitte, welcher Verlag hat sich wirklich schon Gedanken gemacht um die SEO-Optimierung seiner Backlist? Wie soll diese also auffindbar sein!
Gut sichtbar wird dies z.B. am Thema The Long Tail: Der Autor hat eine eigene Webseite gebastelt und damit auch den Verkauf des Titels und der eigenen Beratungsleistung unterstützt. Aber irgendwann hat sich das nicht mehr gerechnet und so lohnt sich auch für die beste Seite ökonomisch betrachtet der Aufwand nicht mehr.
Dann müsste das Buch auch noch im Kontext anderer Plattformen auffindbar sein, die das Thema behandeln. Das verlangt so viel Aufmerksamkeit, wie sie eigentlich nur Top-Titeln oder eben backlistfähigen Reihen zukommt. Außer man bündelt thematisch und ist damit wieder beim Thema der Fokussierung auf bestimmte Zielgruppen.
Als Werkzeuge stehen einem natürlich immer neue Möglichkeiten zur Verfügung. So müsste man nur seine Bibliothek der Titel zum Thema auch regelmäßig aktualisieren und auf andere Plattformen einstellen.
Fazit: Auch beim Long Tail gilt (fast) dasselbe wie bei den Bestsellern. Er will gepflegt werden und zeigt sich dem Kunden nicht von allein. Das erfordert Know-how und regelmäßige Arbeit. Aber im Unterschied können die richtigen Workflows und die Beherrschung der einzelnen Schritte für eine Vielzahl von Titeln genutzt werden. Die Effizienz macht´s, die hier zu Erlösen führen kann. Für die Publikumsverlage lohnt hier ein Blick über den Gartenzaun auf die Verlage, die das Geschäft mit den Nachauflagen beherrschen, denn dort ist vielfach die Organisation schon eingespielt. Ob mit dem richtigen Know-how, das ist eine andere Frage.
Pingback: Cross-Channel-Commerce – der Buchhandel zwischen Amazon und Google | smart digits
Pingback: Die Woche im Rückblick 04.07. bis 10.07.2014 | sevblog - Self-Publishing und Schreiben