Mobile Publishing: Update Juli 2015

Gewinnt der Algorithmus oder die Kuratierung bei der Empfehlung von Content? Entwickelt sich der eBook-Markt oder flacht er ab? Setzt sich die Dominanz von Apple und Samsung im Mobilmarkt fort oder gewinnen die kleineren Player an Boden? Die Zeit der Gewissheiten ist schon lange vorbei – und wie immer hilft nur ein breiter Blick in den Markt und das sorgfältige Beobachten der Entwicklungen. Wir kommentieren wie jeden Monat die zentralen Trends und Tendenzen im mobilen Publizieren:

So entwickelt sich der Markt

Smartphones, Tablets – und wie schnell man aus dem Spiel sein kann: Ein entscheidender Treiber für den Konsum von Digitalmedien ist die Marktpenetration mit Smartphones, Tablets und anderen Mobilgeräten – deswegen schauen wir regelmäßig auf die weltweite Marktentwicklung, die sich natürlich auch in Deutschland niederschlägt. Aktuelle Zahlen dazu kommen aktuell aus den USA von der Analystengruppe IDC, die sowohl Zahlen für Smartphones, wie auch für den Tablet-Markt vorgelegt hat.

Das wichtigste in Kürze: Wachstum im Smartphone-Markt flacht leicht ab, die kleineren Hersteller gewinnen Marktanteile und die weltweite Dominanz von Android als Betriebssystem ist ungebrochen. Der Tablet-Markt dagegen schrumpft leicht, auch hier haben kleinere Player momentan Vorteile vor Apple und Samsung – wie Nate Hoffelder betont, wird die Marktanalyse hier aber zunehmend schwierig aufgrund der Abgrenzung zwischen kleinen Tablets und großen Smartphones.

 

IDC: Smartphone OS Market Share 2015, 2014, 2013, and 2012 Chart

Der Smartphone-Markt nach Betriebssystemen (Quelle/Copyright: www.idc.com)

 

IDC: Smartphone Vendor Market Share 2015, 2014, 2013, and 2012 Chart

Der Smartphone-Markt nach Herstellern (Quelle/Copyright: www.idc.com)

 

Zu den Gewinnern dieser Entwicklung gehört trotz allem Apple: Nach einem Bericht des Wallstreet Journal kontrolliert Apple zwar nur knapp unter 20% des weltweiten Smartphone-Marktes, macht dafür aber über 90% des erzielten operativen Gewinns. Da scheint sich die Konzentration auf eine hochpreisige Markenstrategie am Ende doch sehr auszuzahlen.

Eindeutiger Verlierer im mobilen Markt ist momentan Microsoft: Die Integration von Nokia ins Portfolio kann nur als komplett gescheitert angesehen werden, mit den Surface Tablets wurde hauptsächlich sehr viel Geld verbrannt und vieles an der Strategie des neuen CEO Satya Nadella spricht für Kapitulation und Kehrwende, wie Analyst Benedict Evans treffend charakterisiert.

Zahlenspiele im deutschen eBook-Markt: Ein mittlerweile geradezu klassisches Streit-Thema ist der Blick auf den deutschen eBook-Markt. Bereits seit Jahren sind mit den eBook-Zahlen des Börsenvereins und den eBook-Studien der BITKOM zwei äußerst unterschiedliche Zahlenwerke verfügbar. Kann man die Unterschiede dieser zwei Sichten auf den Markt aber bis zu einem gewissen Grad unter dem Schlagwort “Anbieter-Sicht vs. Kundensicht” verbuchen, so kommen mittlerweile immer mehr Publikationen dazu, die das Bild eher noch vielfältiger und verwirrender machen.

Schon die Unterschiede zwischen den bei der GfK beauftragten Zahlen des Börsenvereins und der parallel durchgeführten Logistik-Umfrage innerhalb der Börsenvereins-Mitglieder konnte kaum jemand plausibel erklären. Passend dazu schlugen die Distributoren Bookwire und Readbox in die blank liegende Kerbe und veröffentlichten Umsatzzahlen, die sie und ihre Kunden doch deutlich besser dastehen lassen als im “offiziellen” Bild des Branchenverbandes – PR-technisch natürlich ein ausgesprochen geschickter Schachzug.

Ein weiterer Blick einer durchaus renommierten Quelle kommt nun aktuell dazu: Statista veröffentlichte jüngst seinen Digital Market Outlook für Deutschland und zeichnet darin ein überaus optimistisches Bild für den eBook-Markt. Bleibt die Frage: und wer hat jetzt recht? Grundsätzlich sind verschiedene Blickwinkel auf denselben Markt ja nichts schlechtes – im Gegenteil. Problematisch wird es nur, wenn sich daraus so gar kein konsistentes Bild ergeben will. Das zeigen auch die vielfältigen Kommentare zu den Zahlenspielen, etwa von Ansgar Warner, von Steffen Meier, Aljoscha Walser oder auch von Rüdiger Wischenbart. Was unserer Meinung nach fehlt: eine Studie, die mit einer breiten Basis und transparenter Methodik etwas mehr Licht ins Dunkel bringt.

 

Statista-Outlook-Umsatz-im_Markt_für_eBooks-Deutschland

Marktprognose eBooks nach Umsatz (Quelle/Copyright: www.statista.com)

 

Statista-Outlook-Nutzer-im_Markt_für_eBooks-Deutschland

Marktprognose eBooks nach Nutzern (Quelle/Copyright: www.statista.com)

 

Spannendes aus anderen Branchen: Auch Beispiele aus anderen Branchen können für die Entwicklung erfolgreicher Digital-Modelle immer wieder hilfreich sein. Die Netzpiloten zeigen am Beispiel Zalando, wie sich eCommerce inzwischen extrem technologiegetrieben enwickelt – und die geschäftskritischen Faktoren nur noch am Rande mit Mode zu tun haben. T3N berichtet über Facebooks Strategie bei Kauf und Aufbau von Instagram als Marke und zeigt, dass die Kannibalisierung des eigenen Geschäfts durchaus von Vorteil sein kann. Der Kamera-Hersteller GoPro dreht sein Geschäftsmodell gerade ebenfalls aktiv und versucht, vom Hardware-Anbieter zum Content-Provider zu werden. Und in der Autoindustrie sind gerade die ersten Vorboten der Disruption durch aufstrebende Mobility-Unternehmen zu verspüren – mit noch unabsehbaren Folgen.

 

Die Technologien zur Umsetzung

Das mobile Web und die Werbung – ein ungutes Verhältnis: Unter dem Schlagwort “the mobile web sucks” ging im Laufe des Juli eine heftige Diskussion über Werbung im mobilen Web durch die Medien. Der Grund: Untersuchungen von Web-Entwicklern, die klar zeigen, dass die oft kaum noch tragbaren Ladezeiten populärer Seiten in keiner Weise am Content hängen, sondern hauptsächlich von den Medien und Skripten für die Werbe-Aussteuerung verursacht werden. Werbung bekommt gerade massiven Gegenwind, was die mobile Verwendung angeht – und treibt Analysten dazu, schon aus diesem Grund Alternativen wie Facebook Instant Articles oder Apple News gar nicht so schlecht für den Kunden zu finden.

Dieser Gegenwind wird sich wahrscheinlich erst so richtig bemerkbar machen, wenn die bereits angekündigte Möglichkeit zur Nutzung von Ad-Blockern unter iOS 9 Wirklichkeit ist. Denn hier sitzt erwiesenermaßen die zahlungskräftigste und zahlungsbereiteste Kundschaft.  Auch Alternativen wie mobile Interstitials oder auch Push-Nachrichten schrecken Kunden eher ab, wie jüngste Studien zeigen. Die nächsten Jahre werden hart für Medienanbieter, die sich in ihrem Geschäftsmodell hauptsächlich auf Werbefinanzierung verlassen. Vor allem wenn immer mehr Kunden ihre News und Informationen über soziale Netzwerke erschließen und die Schnittstellen der mobilen Apps die Integration in automatisierte Dienste für Personalisierung und Aggregierung immer einfacher machen. Am Ende werden die Anbieter klare Vorteile haben, die gute Auswahl-Algorithmen mit maximalem Komfort und minimalem Nerv-Faktor verbinden. Aber, ob das klassische Publisher sein werden?

 

Dieses Produkt will der Kunde

Kuratierung vs. Algorithmen: Alle Aggregatoren leben davon, die möglichst beste Empfehlung und den optimalen Content-Zugang für den Kunden zu schaffen. Ob man sich dazu auf Kuratierung durch menschliche Redakteure verläßt oder auf spezialisierte Algorithmen, ist immer Sache der eigenen Strategie. Ben Thompson charakterisiert die beiden Extreme in seinem Artikel brilliant. Und nicht nur bei textorientierten Medien spielt dies eine Rolle, auch bei Musik und Video. Anbieter wie Apple scheinen zur Zeit für die News-App und den Musik-Dienst eher auf Kuratierung zu setzen – Konkurrenten wie Spotify setzen eher auf Algorithmen. Das Rennen ist hier sicher noch nicht ausgemacht und in ein paar Jahren wird es bestimmt spannend sein zu sehen, wer am Ende erfolgreicher war.

Ganz groß im Bereich algorithmischer Analyse ist momentan IBM: Die Deep Learning-Engine Watson bekommt nahezu monatlich Updates und neue Anwendungsfälle. Ein wirklich lustiger Use Case wurde mit “Chef Watson” implementiert – die automatisierte Kombination von Kochbuch und User-Eingaben zur Generierung neuer Kochrezepte. Andere, wahrscheinlich besser folgenreichere Anwendungsfälle sind die aktuell veröffentlichte Engine für die Auswertungen von News-Meldungen und Analyse von eMail-Texten. Vom intelligenten Mail-Filter bis hin zur algorithmisch generierten persönlichen Zeitung sind der Phantasie hier keine Grenzen gesetzt. Und zum angrenzenden Thema Roboter-Journalismus können wir den Überblick von Brand Eins zum Thema nur sehr empfehlen.

 

So erreiche ich den Kunden

Soziale Netzwerke und Vertikalisierung – so geht das zusammen: Die zentrale Bedeutung sozialer Netzwerke als Kunden-Touchpoint wird mittlerweile hoffentlich niemand mehr bestreiten wollen. Zur Rolle von Twitter und Facebook als Nachrichten-Lieferanten verweisen wir gerne auf Klaus Ecks Artikel auf Medium. Die Nutzung von Social Media für das eigene Netzwerk und die zentralen Faktoren für virale Effekte haben wir jüngst in eigenen Artikeln charakterisiert. Und als Mini-Guide zur erfolgreichen Vertikalisierung des eigenen Verlagsgeschäfts empfehlen wir den Artikel von Mike Shatzkin zum Thema – er verknappt dabei zwar sehr, bietet aber eine Strategie für Online-Marketing und SEO im Buch-Bereich, die auch mit begrenzten Ressourcen schnell und einfach umsetzbar ist.

 

Wir wünschen wie immer eine anregende Lektüre!

 

 

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.