Computer lernen schreiben und denken – kognitive Systeme

Mit dem Sieg von deep blue im Schach hatte sich IBM zurückgemeldet, vor Jahren. Jetzt bietet IBMs Dienst namens Watson, der scheinbar dumme Helfer von Sherlock Holmes, sein Wissen allen an, die erkannt haben, dass sie in der Fülle der Informationen Unterstützung brauchen, computergestützt. Und die Frage ist, ob Watson nicht mehr ist als ein Blogger und Autor, ob aus Watson Sherlock Holmes oder ein gruseliger Mr. Hyde wird, oder gar der Anfang des im Terminator beschriebenen Untergangs der Menschheit im Kampf gegen die Computer. Kognitive Computing lautet die Disziplin, die die Harvard Business Review dazu verleitet hat, im data scientist “the sexiest job of the 21st century” zu sehen. Dass Big Data auch für Verlage relevant ist, haben wir schon ausführlich behandelt. Und dabei stehen wir erst am Anfang einer Diskussion. Eine schöne Anwendung von Watson hat Goodereader kürzlich gezeigt: Eine Art Sentimentanalyse von Texten unterstützt den Autor beim Schreiben und kann ihm helfen, den richtigen Ton zu finden. Nach der Rechtschreibprüfung jetzt also die Stilberatung.

ibm watson

Die Stilberatung durch den Computer. Der hier erstellte Text wird von IBMs Watson auf seine Elemente untersucht und die Begriffe werden durch einen Vergleich ihrer bisherigen Nutzung auf ihren Stil hin bewertet. Daraus entsteht eine Empfehlung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dass wir jetzt schon auf zahlreiche Tool zurückgreifen, um das Kundenverhalten, die Kaufbereitschaft oder die Zahlungsströme zu erkennen und zu interpretieren ist klar. Dass uns die Digitalisierung zwingt, die Wertschöpfung für den Kunden neu zu definieren, ebenso. Und jetzt kommt noch hinzu, dass der ominöse “Faktor Mensch” im Zusammenspiel mit den digitalen Helferlein neu bestimmt sein will. Denn Deep Learning heißt, dass Computer aufgrund höherer Rechenleistungen und anderer Verfahren besser in der Lage sind, menschliche Denkstrukturen abzubilden und nachzubauen (wer sich für die Hintergründe der Verfahren interessiert, dem sei der umfangreiche Beitrag von Christian Herta und Alexander Löser auf golem.de empfohlen).
Was in der “hohen” Literatur schwer vorstellbar ist, stellt sich im Ratgeberbereich ganz anders dar. Authentische, nachweisbar menschliche Erfahrungen sind Grundbedingung für gute Literatur. Warum sonst sollte man sie lesen? Von Computern geschriebene Texte können höchstens als l’art pour l’art-Spielerei ein Spiegel sein, mehr aber auch nicht. Ganz anders bei Ratgebern, Quartalsberichten oder auch im wissenschaftlichen Bereich. Die exakte Überprüfbarkeit, die Verifizierung anhand vorher definierter Kriterien lassen sich gut als Parameter auf die künstliche Intelligenz übertragen. Und hier setzen die Beispiele computergestützter Texte in den Bereichen Fußballberichterstattung oder Bewerbungsschreiben an. Und auch wer der Firma retresco nicht in allen Punkten zustimmt bei der Einschätzung der Zukunft von computergestützten Texten, der muss sich zumindest mit deren Thesen auseinandersetzen.

Was macht genau einen computergestützten Text aus und worin soll er sich unterscheiden von einem vom Menschen verfassten Text?

  1. Wenn ein Computer genauso logisch und sprachlich geschickt Texte verfasst, dann zählt nicht nur der Gehalt, sondern mehr noch der Absender. Von wem kommt der Text und warum kann ich ihm trauen? Das wird die zentrale Frage. Die Überprüfung des Absenders wird immer wichtiger. Und damit der Aufbau von Marken, die ihre Herkunft nachweisen können. Und damit ist man bei der persönlichen Auffassung und Einschätzung zu einem Thema durch eine Person als wichtiges Merkmal von Texten.
  2. Jetzt schon ist Content Marketing ein zentrales Werkzeug aller Unternehmen. Sie müssen sich durch für ihre Zielgruppen relevante Inhalte im Netz zeigen. Je mehr Kontakte zum Kunden bestehen, desto unübersichtlicher wird der Auftritt. Je mehr Inhalte produziert werden, desto wichtiger wird eine klare Strategie. Und je mehr Inhalte durch Computer zur Verfügung gestellt werden können, desto wichtiger wird die Auswahl der richtigen Inhalte durch die Kunden.
    Das wird dazu führen, dass Unternehmen zweigleisig fahren müssen.
    Sie werden automatisiert erstellten Inhalte brauchen und sie werden vermehrt auf Werkzeuge zurückgreifen, die ihnen eine Analyse der Kundenwünsche bieten.
    Sie werden dem folgend genauer die Schlüsselwörter einsetzen, die ihre Kunden suchen und zu denen sie Informationen brauchen. Hier helfen Algorithmen.
    Und sie werden verstärkt darauf achten, das hervorzuheben, was sie einzigartig macht. Nämlich authentische, unvorhersehbare, eigenwillige Ansichten und Positionen. Und hier helfen ihnen nur Personen, die gegen den Strich denken. Das heißt aber für Journalisten auch, dass sie wissen müssen, wie die Algorithmen funktionieren. Nur dann können sie sich auch von ihnen absetzen.
  3. Algorithmen fallen nicht vom Himmel. Noch vermehren sich Computer nicht von alleine und die zentrale Funktion bleibt beim Menschen: die Steuerung. Die Fähigkeit wird immer wichtiger, die richtigen Algorithmen zu programmieren und die Daten zu deuten. Nur wer die Parameter erkennt, kann auch richtig interpretieren. Diese Fähigkeit wird immer wichtiger. Denn wie bei allem ist der Mensch eher faul im Denken und er wird sich gerne auf Gelerntes und Mythen verlassen wollen. Das wird schon stimmen! Und damit ist die Gefahr groß, nicht nur den Mythen des Alltags aufzusitzen, die ein Spiegel menschlicher Ängste und Aporien sind, sondern auch der vermeintlich richtigen Analyse von Superhirnen wie Watson. Denn auch Experten können irren.

Zusammen mit der Firma moresophy haben wir selbst auf der Plattform flipintu getestet, wie man durch eine semantische Analyse die Empfehlungen für Bücher verbessern kann. Und die Formel ist relativ einfach: die Bücher mit den richtigen Metadaten versehen, die Kunden den richtigen Profilen zuordnen und dann die Titel in ihrer Kommentierung im Netz bewerten. Daraus lässt sich dann eine bessere Empfehlung ableiten. Die Umsetzung erfordert jedoch ein paar mehr Schweißperlen.

 

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.