Seriell, datenbasiert, subkompakt: Neue Publikationsmodelle

teaser2 In vielen – wenn nicht den meisten – Fällen resultieren Digitalmedien von Verlagen noch auf direkter Zweitverwertung von Content aus Print-Produkten. Im ungünstigsten Fall sind die Ergebnisse 1:1-Umsetzungen in Medien wie eBook oder Mobile App, die für den Nutzer wenig Mehrwerte erkennen lassen. Und wo kein Mehrwert erkennbar ist, ist natürlich auch die Zahlungsbereitschaft gering. Welche Modelle lassen sich aber entwickeln, wenn man sich auf die Konzeption generischer Digitalprodukte einlässt, wenn man die Zwänge außen vor lassen kann, die aus Erscheinungsterminen und den Produktions- und Vertriebsprozessen körperlicher Produkte resultieren? Auf das Beispiel rapid publishing von der re:publica, smart content in Lehrwerken oder neuere Apps für Content haben wir schon hingewiesen. Heute folgen weitere Beispiele aus der digitalen Welt:

Subkompaktes Publizieren

Der Publishing-Theoretiker Craig Mod hat bereits mit seinem Modell “Platforming Books” auf anschauliche und dennoch gestalterisch hochwertige Art gezeigt, wie sich das Print-Produkt Buch mit Ablegern im Web und Umsetzungen für verschiedene eReader-Plattformen in ein ganzes Portfolio verschiedener Angebotsformen verwandeln läßt.

Mit dem von ihm entwickelten Prinzip des „subkompakten Publizierens“ beschriebt er dagegen, wie eine digitale Zeitschrift aussehen könnte, die die Vorteile der neuen Medien wirklich ausnutzt: Befreit man sich vom Korsett der Konventionen, die auf formaler Ebene lediglich aus den Notwendigkeiten der Print-Produktion resultieren, werden neue Produktausprägungen möglich. Mit Produkt-Eigenschaften wie deutlich geringerem Umfang, kleineren Dateigrößen und einem fluiden Veröffentlichungsplan orientiert man sich dabei an den Bedürfnissen der Nutzer von Online-Medien und Mobilgeräten. Niedrigere Abo-Preise werden so möglich, die Aktualität wird gesteigert und der Trend zur situativen Informationsaufnahme in kleineren Portionen wird aufgenommen.

Daneben aber ist das Modell verbunden mit einer Container-Anwendung, die auf eine reduzierte Oberfläche und auf Mobilgeräte optimierte Bedienung hin entwickelt ist, und die sich so sowohl in jedem Web-Browser als auch in jedem Mobil-Betriebssystem realisieren lassen sollte. Sowohl technisch als auch gestalterisch  muss dabei ein konsequent plattformübergreifender Ansatz verwendet werden, um der Kundenerwartung eines Angebots in der Umgebung seiner Wahl entgegen zu kommen – in Reinkultur z.B. verwirklicht in der Online-Version bzw. der App von The Magazine.

 

The Magazine: Mit seiner puristischen Oberfläche nach Craig Mod die idealtypische Verwirklichung von subkompaktem Publizieren

 

Serielles Publizieren

Für den Fachbuch-Bereich hat O’Reilly mit der Neuauflage von “CSS: The Definitive Guide”, seines Referenz-Werkes zu CSS vorgemacht, wie serielles Publizieren der Zukunft aussehen kann: Das Produkt wurde bereits vor der Neuauflage kapitelweise in verschiedenen digitalen Medien angeboten, der Redaktionsprozess des Produktes dabei mit dem so eingehenden User-Feedback verzahnt. Bei einem Thema, das über den üblichen Produktionszeitraum von 1-2 Jahren auch noch erheblichen Veränderungen unterliegt, bietet sich ein solches serielles, iteratives Vorgehen an, soll das Produkt nicht zum Erscheinen schon wieder veraltet sein. Gleichzeitig kann dem Informationsbedürfnis der Zielgruppe mit einem jeweils aktuellen Angebot für kleinere Themengebiete entsprochen werden. Der Redaktionsprozess wird auf diese Weise zwar deutlich aufwändiger und muss anders organisiert werden – der Produktnutzen und die verwertbaren Produkttypen werden aber deutlich gesteigert.

Datenbasiertes Publizieren und Produktgenerierung mit Web Analytics

Aus dem Bereich der News-Medien kommt dagegen ein anderer Trend: Die Verwendung von aggregierten Nutzerdaten und Big Data-Auswertung zu Erstellung von Bedürfnis-getriebenen Produkten nach Kundenwunsch. Bei diesen Verfahren werden vom Kunden signalisierte Daten, etwa Suchanfragen oder die Art und Menge an Artikel-Klicks über bestimmte Themen-Gebiete zu Trends verdichtet, in denen offenbar ein Informationsbedürfnis besteht. Aus bestehendem News-Content und situativ zusätzlich erstellten Artikeln wird dann, ebenfalls mit maximal optimiertem Produktionszyklus, ein Neu-Produkt erstellt, das passgenau auf das Informationsbedürfnis zugeschnitten ist.

Die Online-Plattform AskMen hat auf diesem Ansatz beispielsweise ein neues eBook-Programm aufgebaut, das thematisch direkt auf ihrem Portal aufsetzt und die Inhalte aufnimmt und fortschreibt, die dort in anderer Form veröffentlicht wurden. Klar ist dabei natürlich: Je mehr Nutzer und je mehr Interaktion eine Plattform hat, umso interessanter können auch die entstehenden Produkte werden. Auch die vielen neu entstandenen eBook-Reihen in Deutschland, wie etwa bei der ZEIT, dem Spiegel oder der FAZ, zeigen das Potenzial in diesem Bereich. Hier werden zwar bisher im wesentlichen vorhandene Inhalte zweitverwertet, neu zusammengestellt und über eBook-Vertriebskanäle distribuiert – werden aber die Möglichkeiten von Analytics ausgenutzt, hätte alle genannten Plattformen sicher das Potenzial, auch generische Digitalmedien zu entwickeln.

 

Die eBook-Reihe von AskMen

 

Folgerungen für Publisher

Bei den genannten Modellen wird ein für die Print-Branche ungewohnter Faktor, das Verschwinden der Körperlichkeit des Produktes, als Vorteil für die Entwicklung anderer Produkttypen genutzt. Da keine physischen Herstellprozesse mehr zu beachten sind, kann das Produkt flexibler und ohne die natürlichen Grenzen eines Print-getriebenen Ansatzes entwickelt werden. Aspekte wie der Wegfall von festen Erscheinungsterminen und das Publizieren nach fluiden Veröffentlichungsplänen zwingen aber auch zu Änderungen in der internen Organisation, die oft schwer mit gewohnten Abläufen vereinbar sind.

Umgekehrt ermöglicht das reine ePublishing aber neue Produktmodelle, einfach weil die Kostenstruktur solcher Produkte sich ganz anders darstellt. Müssen keine Auflagen mehr vorfinanziert werden, fallen auch andere Gestehungskosten an. Dies macht es leichter, experimentelle Produktformen zu erproben. Und auch Modelle reine Promotion-Produkte, Affiliate-Programme, “Pay as you want” oder andere Vertriebsformen können besser getestet werden, wenn der Kapitaleinsatz geringer ist. Dennoch werden reine Zweitverwertungsmodelle wohl nicht lange funktionieren – je kompetenter der eLeser wird, umso mehr wird er sich Produkte mit echten Alleinstellungsmerkmalen erwarten.

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.