Amazon: Wie die Zukäufe von Liquavista, Evi, Ivona und Goodreads den Wert steigern

IMG_5095Am Anfang des Jahres haben wir einen Überblick darüber gegeben, dass Amazon trotz seiner überragenden Marktmacht im Bereich Content-Angebot und Distribution gegenüber anderen Anbietern durchaus Schwächen hat. Gerade im Bereich Services, Mehrwertdienste und Community-Integration hat das Kindle-Ökosystem einige Lücken. Nun ist Amazon natürlich nicht untätig. Und was man nicht selber entwickeln will, kann man mit ein wenig Kleingeld ja kaufen. Die neu erworbenen Firmen bringen dann Know-how oder Technologien mit ins Portfolio ein. Hier ein Überblick über die Einkaufspolitik in 2013, neu entwickelte Angebotsformen und die strategischen Ideen, die sich dahinter erahnen lassen:

Goodreads

Mit dem Erwerb der Buch-Community Goodreads ist Amazon sicherlich einer der spektakulärsten Deals des Jahres gelungen. Das Unternehmen hat damit die Möglichkeit, zwei große Lücken im Angebot zu schließen: Zum einen kann durch die von Goodreads aggregierten Daten die traditionell eher unterirdische Qualität der Kauf-Empfehlungen verbessert werden. Der Vergleich mit Anbietern wie Spotify zeigt deutlich, wie viel besser Empfehlungen werden, wenn sie auf der Auswertung des Nutzerverhaltens basieren statt auf der Kaufhistorie. Zum anderen kann das Defizit ausgeglichen werden, dass die Amazon-Plattform bisher keinerlei Community-Integration besitzt. Die positiven Effekte von Netzwerken bleiben bisher ungenutzt.

Während in der öffentlichen Diskussion breit thematisiert wird, wie sehr sich das “gute” Goodreads durch den Aufkauf seitens des “bösen” Amazon verändern wird, wäre Amazon schlecht beraten, Goodreads zu sehr zu kommerzialisieren und zu verändern. Viel zu wertvoll sind die hier aggregierten Kundendaten. Denn klar ist: Es geht nur auf der einen Seite um Community-Integration und Netzwerke. Mindestens so nützlich wie die reine Kundenbindung über ein Empfehlungsnetzwerk sind die Analysen, die Amazon auf der Basis der Goodreads-Daten fahren kann. Und die Gründung eines eigenen Tochterunternehmens im Bereich Online-Werbung zeigt: Neben den Kaufempfehlungen für den eigenen Shop ist auch der Aufbau eines Netzwerkes für personalisierte Werbung ein Millionen-Geschäft, das Amazon sicher nicht kampflos Google überlassen wird. Strategisch klug eingesetzt,  wird sich diese Investition um ein Vielfaches wieder auszahlen.

Ivona

Im Januar gab Amazon den Kauf des polnischen Software-Anbieters Ivona bekannt. Ivona bietet Lösungen für Sprachsynthese und Text-to-Speech-Anwendungen an – mit mannigfaltigen Verwendungsmöglichkeiten im Kindle-Ökosystem. Naheliegend ist hier natürlich der Einsatz für Vorlesefunktionen und sprachunterstützte Navigation. Aus strategischer Sicht hat sich Amazon aber auch Technologie eingekauft, um zu Apple und Google mit ihren persönlichen Assistenten Siri bzw. Google Now aufzuschließen. Folgerichtig wurde die Software denn auch schnell in die Kindle-Anwendungen integriert: Zunächst wurden in der Kindle-App für iOS Funktionen für barrierefreie Navigation und zum Vorlesen von eBooks eingeführt. Erfahrungsgemäß dürften die Funktionen Stück für Stück auch auf die anderen, neueren Kindle-Plattformen, insbesondere den Kindle Fire, ausgerollt werden. Nachdem die eBook-Apps von Amazon und Google mittlerweile in Bezug auf Darstellung und Standard-Funktionen zum ehemaligen Vorreiter iBooks aufgeschlossen haben, bietet Amazon hier mit Sprachsteuerung und automatisierter Vorlesefunktion neue Alleinstellungsmerkmale.

Evi

In eine ähnliche Richtung geht der Erwerb der Evi-Anwendung: Die Technologie-Plattform des englischen Anbieters True Knowledge spezialisiert sich auf Internet-Suche in Kombination mit Spracherkennung. Als Gegenstück zu Ivona für die Sprachausgabe hat die Software das Potenzial, Funktionen ähnlich zu Apple’s Siri zu realisieren. Nur mit dem Unterschied, dass nach Integration ins Kindle-Ökosystem die Suchergebnisse sicherlich hauptsächlich aus den Amazon-Shop-Datenbanken erstellt werden dürften. Ähnlich wie beim Erwerb des Mobil-Such-Unternehmens SnapTell im Jahr 2009 kauft sich Amazon hier Basistechnologien und Komponenten zusammen, um seine Präsenz im Mobilbereich zu verstärken und langfristig auf strategischer Ebene den Kundenkomfort für mobile Suche und Shop-Angebote zu erhöhen.

Liquavista

Mit Liquavista dagegen hat Amazon einen innovativen Hardware-Hersteller übernommen: Das Unternehmen ist einer der wenigen Konkurrenten von E Ink im Bereich alternative Display-Technologien und hat sich insbesondere auf eine Variante der eInk-Displays spezialisiert, die besonders gut für Farbwiedergabe geeignet ist. Mit dem Ansatz von Liquavista sollen die Schnelligkeit von LCD-Displays mit Farbdarstellung und dem geringen Energie-Bedarf von eInk-Bildschirmen kombiniert werden. Die Zielrichtung dabei dürfte klar sein: ein Kindle mit Farb-Display, der dennoch dieselben Vorteile ausweist wie die heutigen Geräte. Gleichzeitig deuten sich bereits Umschichtungen in Amazons Hardware-Portfolio an.

Eigene Angebote: Musik und eBooks

Daneben sind aber auch bei den genuin von Amazon entwickelten Angeboten und Dienstleistungen interessante Tendenzen zu beobachten. Die aktuelle Preis-Offensive für den Kindle Fire HD, die klar darauf zielt, das Tablet-Sortiment zu stärken und die High-End-Geräte mit den besten Wiedergabemöglichkeiten für alle Medien in den Markt zu bringen, korrespondiert mit der Stärkung von zwei zentralen Content-Bereichen:

Für den Musik-Bereich hat Amazon mit seinem Cloud-Player allen Kunden die Möglichkeit gegeben, ihre gekauften MP3-Dateien unabhängig von der Hardware- oder Betriebssystem-Umgebung über eine Browser-Anwendung zu konsumieren. Dies zielt sowohl auf Musikhörer am PC,als auch auf Besitzer von Apple-Geräten, denen man eine Alternative zur geschlossenen iTunes/iOS-Umgebung geben möchte. Ideal ergänzt wird dieses Angebot durch die Einführung des Auto-Rip-Programms in Deutschland (CD-Käufer erhalten MP3-Dateien kostenlos dazu), wie auch durch Initiativen zur Stärkung des Hörbuch-Bereichs.

Gleichzeitig verstärkt Amazon seine Verlagsaktivitäten: Mit einer eigenen, neuen Dachseite tritt Amazon Publishing nun deutlich geschlossener auch als eigene Marke auf. Die bereits aus dem angloamerikanischen Raum bekannten Kindle Singles als Programm für Kurztexte werden nun auch in Deutschland angeboten. Neben der seit langer Zeit schon starken Plattform für Selfpublisher wird mit Kindle Worlds eine neue Marke für Fan-Fiction geschaffen, die neue Kundengruppen erschließen und gleichzeitig die Bindung an die Fernsehserien, Filme oder Buch-Serien stärken soll, in deren Universum die Fan-Fiction spielt.

Perspektiven

Amazon baut sein Ökosystem weiter klar mit folgenden Zielrichtungen aus:

  • Community-Integration und Stärkung der Produktempfehlungen
  • Optimierung für der mobile Benutzung über Funktionalität und plattformübergreifendes Content-Angebot
  • Entwicklung von Mehrwertdiensten und Alleinstellungsmerkmalen über Funktionalität
  • Entwicklung innovativer und preisgünstiger Hardware

Für Content-Anbieter bleibt dabei die Erkenntnis: Auch wenn z.B. mit der Tolino-Allianz ein vielversprechender, neuer Player im deutschen Markt angekommen ist – um Amazon als Partner wird man auch langfristig nicht herum kommen. Konkurrenten von Amazon dagegen werden den Ausbau ihrer Ökosysteme ebenfalls mit hohem Innovations-Takt betreiben müssen, um mit der Dynamik der Entwicklung mitzuhalten.

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.