Crowdsourcing in Verlagen – ein Überblick

Zwar hat Wikipedia den Niedergang der Lexika bewirkt und das Selbstverständnis der Verlage erschüttert. Aber trotzdem hat es doch recht lange gedauert, bis sich rumgesprochen hat, dass von Verlagen zusammengestellte Teams meist schlechter sind als die Dynamik der Masse. Wenn diese denn richtig gelenkt wird. Und so warten neuerdings erst etablierte Verlage mit Selfpublishing-Plattformen auf und sogar de Gruyter überrascht mit einer eigenen Plattform.
Grund genug, hier ein Update zu unserem Artikel im Frühjahr zu bieten. Saskia Letz hat beispielhafte Plattformen zusammengetragen und bietet einen Überblick der verschiedenen Formen, ideal für alle, die einen Einstieg ins Thema suchen. Und: Hier werden die Aufgaben sichtbar, die man angehen muss, wenn man als Verlag Crowdsourcing einsetzen will. Die Artikelserie wird im ersten Teil einen Überblick zu Crowdsourcing und Crowdvoting geben, dann auf Crowdfunding und Crowdcreation eingehen, um zum Abschluss der vierteiligen Serie auf die organisatorischen Voraussetzungen in den Verlagen zu kommen.

Crowdsourcing ist eine Form der interaktiven Wertschöpfung unter Einbezug von Konsu­menten in zuvor unternehmensinterne Aufgaben. Die Besonderheit besteht darin, dass es sich um eine Masse von Konsumenten handelt, die im Rahmen eines offenen Aufrufs in unternehmensinterne Aufgaben integriert wird. Unter Crowdsourcing werden vier primäre Erscheinungsformen zusammengefasst: Crowd Wisdom, Crowd Voting, Crowd Creation und Crowdfunding. Die branchenübergreifenden Crowdfunding-Einnahmen sind 2013 stark angestiegen. Daher wird das Geschäftsmodell seit Frühjahr dieses Jahres auch in der Buchbranche stark diskutiert. Angesichts der zahlreichen Crowdfunding-Aktivitäten selbstständiger Autoren liegt auf eben dieser Erscheinungsform – Crowdfunding – der Fokus. Tatsächlich finden jedoch nicht nur Crowdfunding, sondern bereits alle weiteren drei klassischen Erscheinungsformen in Buchverlagen Anwendung. Konkrete Praxisaktivitäten sind allerdings nicht in ihrer tatsächlichen Bandbreite bekannt, da viele Verlage ihre digitalen Angebote mit Crowdsourcing-Mechanismen verbinden, ohne diese (öffentlich) als solche zu bezeichnen. Zudem existieren Randformen, nämlich Verlagsangebote, die einzelne Elemente von Crowdsourcing aufweisen.

Dieser Artikel stellt das bisherige Anwendungsspektrum von Crowdsourcing in Buchverlagen vor, nennt die verlagsinternen Notwendigkeiten für eine erfolgreiche Integration der Crowd in die internen Prozesse und kommt schlussendlich zu folgendem Fazit: Um den Input der Crowd erfolgreich in die Verlagswertschöpfung einzubinden, müssen eine Vielzahl unterstützender Maßnahmen durchgeführt werden. Der Input der Crowd kann die primären Wertschöpfungsprozesse zudem nur unterstützen. Die Integration der Konsumenten in die Wertschöpfung erhöht allerdings die Kenntnis über die Kundenbedürfnisse. Daher sollte Crowdsourcing nicht mit dem Ziel der Einsparung von Ressourcen eingesetzt werden, sondern zum Zweck einer langfristig bedürfnisorientierten Leistungserstellung.

Bekannte Beispiele von Buchverlagen, die ihre Leserschaft in die Programmplanung einbeziehen, sind Droemer Knaur mit der Plattform Neobooks und die Münchner Verlagsgruppe mit ihrer Plattform 100fans. Häufig handelt es sich bei Crowdsourcing-Maßnahmen in Buchverlagen um Kombinationen von Selfpublishing-Labels etablierter Verlage und Crowdsourcing-Komponenten. Die Integration der Crowd geht jedoch über offensichtliche, naheliegende Maßnahmen deutlich hinaus:

Übersicht Crowdsourcing in der Buchbranche

Übersicht der bisherigen Verwendung von Crowdsourcing in der deutschen Buchbranche, unterteilt nach Kategorien. Quelle: Darstellung von Saskia Letz auf Basis von Gassmann/Friesike/Häuselmann, 2013, S. 6

 

 

Crowd Voting
Ein häufig entdeckter Einsatzort von Crowd Voting sind verlagseigene Selfpublishing-Plattformen, auf denen die Crowd zum Aufzeigen relevanter Titel genutzt wird. Auf der Selfpublishing-Plattform Neobooks der zum Georg v. Holtzbrinck-Konzern gehörenden Verlagsgruppe Droemer Knaur können Selfpublisher ihre Manuskripte nicht nur zum Verkauf anbieten, sondern mit diesen zusätzlich an Wettbewerben um die Aufnahme in den klas­sischen Verlagsprogrammen Knaur eRiginals und Knaur Taschenbuch teilnehmen. Im Rahmen des Wettbewerbs bewertet die Crowd die Manuskripte und liefert den verlagsinternen Lektoren so eine Entscheidungsgrundlage und Einblicke in die Interessen der Leserschaft. Die Plattform ermöglicht zudem einen ersten Markttest für Verlag und Autor.
Crowd Voting erfordert die Betreuung der Community sowie die Beobachtung, Betreuung und Auswertung der Wettbewerbe, sodass eine Personalaufstockung notwendig werden kann.
Die Attraktivität von Crowd Voting für Verlage zeigt sich durch die im April 2014 gestartete Kooperation zwischen Droemer Knaur und Rowohlt: Rowohlt nutzt Neobooks seither ebenfalls zu Akquise-Zwecken. Und dass wir vor zwei Jahren über neobooks berichten konnten und sich diese Plattform gut entwickelt hat, ist ein weiteres Anzeichen für die Attraktivität des Modells.

Screenshot_Neobooks

Das Beispiel neobooks: Unter die Top 10 und somit ins Visier der Lektoren kommt, wer die besten Gesamtbewertungen erhält, wobei auch der Status der Rezensenten eine Rolle spielt.

 

Die von Egmont 2014 gestartete Schreib- und Leseplattform Lyx Storyboard (wir berichteten im Mai darüber im Kontext der Entwicklungen im mobile publishing) bietet ebenfalls Wettbewerbe an. Welcher Titel einen E-Book-Vertrag im Lyx-Programm erhält, entschei­den die User allein. Die Plattform dient aus Verlagssicht in erster Linie der Kunden- und Autorenbindung.

Screenshot_Lyx

Das Beispiel Lyx: Autoren erhalten vor Veröffentlichung Feedback von ihren Lesern, diese wiederum erhalten eine aktive Stimme bei der Ausgestaltung des Verlagsprogramms.

 

Oetinger34kann als Kombination aus geschlossener Teampublishing-Plattform mit Crowd Voting-Mecha­nismen bezeichnet werden: Autoren entwickeln ihre Manuskripte in Zusammenarbeit mit kleinen verlagsexternen Teams und können durch Community-Votings die Aufmerksamkeit durch den kuratierenden Verlag Oetinger steigern. Es dürfte spannend werden, wie sich die Plattform nach Ablauf der Closed-Beta-Phase, die auf Herbst dieses Jahres datiert ist, weiterentwickeln wird.

Screenshot_Oetinger34

Das Beispiel Oetinger34: Durch die Nähe zur Zielgruppe kann Oetinger Trends frühzeitig entdecken.

 

Als Crowd Voting im weiteren Sinne kann auch das Label Active Fiction vom digitalen US-Verlag Coliloquybezeichnet werden: Leser beeinflussen durch Entscheidungen den Fort­gang der Erzählstränge. Da jeder Leser individuelle Entscheidungen für den Fortgang „seiner“ Geschichte trifft, findet jedoch keine kollektive Crowd-Aktivität statt. Zudem ist der Aufruf semi-offen, da eine Beteili­gung nur nach Erwerb der App möglich ist. Die zusätzliche „In-Book-Feedback“-Option kann jedoch zu einer crowdbasierten Anpassung der darauffolgenden Erzählstränge führen, sofern das Feedback eine kritische Menge überschreitet. In dem Fall kann bereits von „Auftragsschreiben“ gesprochen werden.

Im nächsten Beitrag mehr über Crowdwisdom, Crowdfunding und Crowdcreation.

Die Autorin dieses Artikels, Saskia Letz, untersuchte in ihrer Bachelor-Thesis die Auswirkungen und Potenziale von Crowdsourcing auf die Wertschöpfungskette in Buchverlagen. Möchten Sie mehr über diese Thematik erfahren? Auf http://saskialetz.jimdo.com/publikation/ erhalten Sie die Möglichkeit, in die Thesis hineinzulesen. Bei Fragen an die Autorin können Sie auch gerne eine E-Mail an saskialetz@yahoo.de senden.