Mobile Publishing: Update September/Oktober 2014

September und Oktober stehen in der Branche traditionell im Zeichen der Frankfurter Buchmesse. Mit Samsung als einem der zumindest optimisch sehr dominanten Kooperationspartner standen dieses Jahr hier alle Zeichen auf “Mobile Publishing”. Daneben blieben die ganz großen Sensationen zunächst aus – unser Eindruck war eher, dass über alle Bereiche hinweg momentan konzentriert und intensiv an den Themen des digitalen Publizierens und der Transformation gearbeitet wird. Um den vielen Details gerecht zu werden, ist deswegen diese Ausgabe ein “Doppel-Update” für Mobile Publishing:

Das richtige Produkt entwickeln

Die Zukunft des Buchs: Wer über den Tellerrand einzelner Digital-Themen schauen möchte, für den haben wir eine Empfehlung für einen Überblicks-Aufsatz der besonderen Art: der Essay “The future of the book” des Economist versucht sich an der groß angelegten Perspektive und betrachtet das Buch als Medium, vom Pergament bis zur liquiden Web-Datei der Zukunft. Lohnenswert nicht nur wegen des breiten Horizonts jedenseits von jeglichem Kulturpessimismus, sondern auch wegen der exzellenten medialen Umsetzung als Web-Essay mit ungewöhnlichem und innovativem Design.

 

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“The future of the book”: inhaltlich das “big picture”, von der Form her eine großartige Web-UI (Quelle/Copyright: The Economist)

 

So entwickelt sich der Markt

Was macht der eBook-Markt? In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder eine Zahl kolportiert: die berühmten 4,9% eBook-Anteil am Gesamt-Umsatz im Publikumsmarkt, die aktuell aus den Studien von GfK und Börsenverein gemeldet wurden. Aus den USA dagegen meldet eine Nielsen-Studie einen eBook-Anteil von 23% an den Gesamtverkäufen. Unsere Meinung dazu: Solche über alle Bereich gemittelten Durchschnitts-Werte sind zwar relevant für die großen Marktbewegungen – für den einzelnen Verlag aber ist es viel relevanter, die konkrete Situation in seinem Marktsegment und seinen Zielgruppen zu kennen. Dazu hilfreich können unter anderem einige andere Studien sein:

Die BITKOM-Studie zur Nutzung von eBooks in Deutschland, die bereits letztes Jahr für Furore gesorgt hat, wurde dieses Jahr aktualisiert, diesmal mit noch differenzierten Fragestellungen. Die Ergebnisse der Studie finden sich auf dem BITKOM-Portal zum Download, wer schon einmal einen Blick auf die aktuellen Zahlen werfen möchte, kann hier jedoch auch die Slideshare-Version nutzen:

Wer die BITKOM-Zahlen und die GfK-Zahlen widersprüchlich findet: das ist so. Schließlich zählt jeder so ein bißchen anders, und natürlich hat auch jede Fragestellung ihre einen Interessenlagen, die durch Studien belegt werden sollen. Insofern ist es umso besser, je mehr Zahlen im Vergleich zur Verfügung stehen, um die Tendenzen zu erkennen.

Daneben verweisen wir auch gerne auf unsere eigene Zusammenfassung zur “Mobile Facts”-Studie der Arbeitsgemeinschaft Online Forschung zu den Nutzergewohnheiten für Mobilgeräte und Mobiles Internet, passend dazu ist auch die Studie zur Smartphone-Nutzung der britischen Marketing-Agentur Tecmark. Ebenfalls für sehr spannend halten wir die Studie zu den Einkaufspräferenzen im Online- und Versandhandel des Verbands der E-Commerce- und Versandhandelsunternehmen – erstmals abgefragt, belegt das Buch hier einen der obersten Ränge beim Online-Einkauf in Deutschland. Eine Allensbach-Studie zum eCommerce in Deutschland belegt dazu, wie sehr die Vielkäufer und Power-Shopper zum Wachstums-Treiber der Online-Wirtschaft geworden sind.

Flatrates und Abomodelle: Mit dem Start von Kindle Unlimited in Deutschland tritt der Marktkampf um die Abomodelle auch hierzulande in eine neue Phase. Amazon hat dazu neben seinem eigenen Titel-Portfolio doch einige nahmhafte Verlage gewinnen können – sicherlich ein Coup, aber ob dies ausreichen wird, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen?

Skoobe und readfy als deutsche Anbieter jedenfalls sehen sich mit ihren recht verschiedenen Ansätzen für die Auseinandersetzung gut gerüstet. Und bedenkt man deren jeweiliges Potenzial, ist hier alles andere als ein Monopol zu erwarten. Einen Überblick über den Markt der Abomodelle neben den großen Namen gibt unser Artikel zum Thema – und ganz aktuell analysiert Ralf Biesemeier von Readbox, wie Verlage von diesen Modell profitieren können. Alle genannten Ansätze sind – neben vielen anderen spannenden Themen – auch Thema bei der 7. eBook-Konferenz der frisch umfirmierten Akademie der Deutschen Medien, die im Dezember in München stattfindet.

 

Die Technologien zur Umsetzung

Jede Menge Äpfelchen – iPhones, iPad, Apple Watch, iOS8: Nachdem es längere Zeit relativ still war bei Apple, wurde im September und Oktober ein wahres Feuerwerk an Neuerungen vorgestellt. In der ersten Keynote dazu ging es um die neue iPhone-Generation, das frisch veröffentlichte iOS8 als neues Mobilbetriebssystem und natürlich um die lange erwartete Apple Watch. Für die Smartwatch gingen die Kommentare erwartungsgemäß von “riskante Wette” bis zur Vermutung eines komplett neuen Marktsegmentes.

Das Update iOS8 dagegen kommt ohne die ganz großen Sensationen aus und betreibt Produktpflege in vielen, kleinen Details. Neben einem Überblick über die wichtigsten Features ist aus unserer Sicht relevant und lesenswert der Artikel des UX Magazine über das neue iOS. Daneben empfehlen wir die Beiträge über den neuen Bezahldienst Apple Pay und über den Gesundheits-Dienst HealthKit. Für Verlage ist dazu interessant, dass die eBook-Anwendung iBooks nun als Core-App direkt mit iOS installiert wird. Und Entwickler von Web-Apps werden sich über die erweiterten Möglichkeiten freuen, die die neue WebKit-Version unter iOS8 für HTML5-Anwendungen bietet.

Weit weniger spektakulär war dagegen die Vorstellung der neuen Generation von iPads und MacBooks – auch hier überwiegt als Bild Produktpflege im Detail. Für die strategische Betrachtung empfehlen wir dagegen noch gerne den Artikel des Technologie-Experten Steve Cheney über die Zukunft von Apple und Google, sowie die exzellente Analyse von Benedict Evans über die aktuelle Entwicklung der mobilen Ökosysteme.

Adobe – Licht und Schatten in der Welt der eBook-Tools: Adobes Bedeutung fürs eBook ist unumstritten, denn sowohl für das Erstellen von eBooks, als auch für das Lesen stellt das Unternehmen zentrale Tools zur Verfügung. Für die Content-Produktion stellt Adobe InDesign in der Version für die Creative Cloud 2014 spannende neuen Features bereit. Bereits mit dem ersten Creative Cloud-Release galt der EPUB3-Export als sehr gelungen und verläßlich, mit der Version vom Sommer 2014 hat das Werkzeug nun auch den Export von Fixed Layout-EPUB gelernt: eine erhebliche Verbesserung für Gestalter, die in diesem Bereich tätig sind. Und ganz aktuell ist mit dem jüngsten Release noch die Möglichkeit hinzugekommen, Animationen und dynamische Komponenten aus Adobe Edge als HTML5-Animation in die EPUB-Daten zu exportieren – Anbieter von anspruchvollen enhanced eBooks wird es freuen.

Umso erfreulicher ist es in dieser Hinsicht, dass Adobe Digital Editions bzw. das dazugehörige Mobile Reader SDK nun endlich in einer Version vorliegen, die EPUB3 unterstützt. Sowohl die Release Notes wie auch die ersten Tests von eBook-Experten zeigen zwar, dass hier noch einiges zu tun ist, ehe man von einer 100%-Unterstützung der Features ausgehen kann – aber dass die zentrale Software-Basis für viele eReading-Anwendungen und eInk-Reader hier endlich dem Industrie-Standard für enhanced eBook folgt, kann man nur als uneingeschränkt positiv werten.

Zu einem anderen Detail hingegen hat Adobe momentan mit einem mittelgroßen Shitstorm zu kämpfen: Kurz vor der Buchmesse wurde bekannt, dass die neue Version von Adobe DE und Reader SDK nicht nur in ungeahntem Umfang Leser- und Nutzungsdaten sammelt (was für sich genommen nicht besonders verwunderlich wäre), sondern diese auch noch unverschlüsselt im Klartext über das Netz an die Adobe-Server überträgt. In den Zeiten von NSA-Skandal und Privatsphäre-Diskussion genügt natürlich bereits ein Tweet aus den USA, und innerhalb kürzester Zeit verbreitet sich die Empörung um die ganze Welt – zu Recht, wie wir meinen. Adobe musste denn auch relativ schnell zurückrudern, räumte die Vorwürfe ein und stellte einen entsprechenden Patch in Aussicht. Neben den reinen Fakten empfehlen wir zur Lektüre dazu noch den Hintergrund-Artikel von Eric Hellman zum Thema – Hellman fragt hier durchaus berechtigt, ob Adobe hier nicht ein “wer einmal lügt, dem glaubt man nicht”-Problem für die ganze Branche provoziert hat.

Augmented Reality – auch etwas für Verlage? Lange hat es gedauert, bis Augmented Reality von einer industriellen Nischenanwendung zu einem Produkt für den Massenmarkt geworden ist – doch unserer Meinung nach stehen die Zeichen auf Durchbruch. Ein erstes Zeichen war hier bereits mit der Einführung der “Firefly”-Funktion im Amazon Fire Phone zu erkennen: Bilderkennung auf Knopfdruck zum Einkaufen bei Amazon – das kann zum Schrecken des Einzelhandels werden. Doch auch aktuelle Projekte von Verlagen und Medien-Unternehmen in Deutschland zeigen, dass die Technologie mehr und mehr in der Öffentlichkeit ankommt. Sehr gespannt sind wir dazu auf die diesjährige InsideAR: auf der Fachmesse für AR stellt die Mayersche Buchhandlung als Pionier im deutschen Einzelhandel ihren Ansatz für die Anwendung von Augmented Reality vor.

Ein ausgesprochen lustiges Projekt dazu kommt aus den USA – mit “No Ad” inszeniert ein Künstlerkollektiv eine AR-App, die Plakatwerbung in öffentlichen Verkehrsmitteln mit moderner Kunst überblendet und so quasi zum Ad-Blocker für die Realität wird.

 

 

Wer bisher vor Augmented Reality aus Angst vor hohen Projektkosten und immensem Technologie-Einsatz zurückschreckte, für den gibt es ebenfalls interessante Neuigkeiten: Ein neu entwickeltes Plugin für Adobe InDesign ermöglicht es, Augmented Reality-Layer gleich direkt in der verbreiteten DTP-Umgebung zu realisieren.

 

 

Dieses Produkt will der Kunde

Crossmedial, dynamisch, interaktiv:  Mit dem Endgame-Projekt vom Oetinger Verlag kommt in diesen Tagen der nächste Versuch eines großangelegten, transmedial erzählten Romans auf den deutschen Markt. Mit aufwändiger Inszenierung wird hier ein Produktportfolio aus Buch, eBook, Mobile App, Hörbuch, Verfilmung und Web-Präsenz mit einer weltweiten Schatzsuch-Aktion kombiniert, um eine neue Art der Lese-Erfahrung zu realiseren. Die Mobile App wird dabei in Kooperation mit Niantic Labs realisiert, den Schöpfern von Ingress – bereits der erste Trailer sieht nach einem Virtual Reality-Spektakel der besonderen Art aus. Wir sind gespannt, wie dieses Projekt im Markt angenommen wird.

Von der bereits für interaktive eBook-Umsetzungen bekannten US-Firma Inkle Studios stammt eine neue Version des Klassikers “In 80 Tagen um die Welt”: In Form einer innovativen Mobile App verbindet das Projekt die Geschichte mit Rollenspiel-Elementen, Interaktionsmöglichkeiten zwischen den Lesern und einem ganz eigenen Vintage-Ästhetik:

 

 

Ebenfalls in den USA macht momentan eine interaktive eBook-Umsetzung von “Alice im Wunderland” Furore: Zwischen eBook, Spiel und Zeichentrick-Film angesiedelt, scheint diese Version laut Angaben des Herstellers auch noch außerordentlich profitabel zu sein. Wem dieser Grad an Interaktivität noch nicht reicht, für den hat der App-Anbieter ToyTalk eine spannende Neuerung: Mit SpeakaLegend kommt die erste Generation von Kinder-Apps auf den Markt, bei denen Kinder über eine Siri-ähnliche Funktion mit den Figuren der Geschichte reden können. Naturgemäß sind die Interaktionsmöglichkeiten auch hier noch begrenzt – aber so etwas kann sich schnell ändern, bedenkt man die rapide Evolution der Sprachsteuerungs-Software.

 

So erreiche ich den Kunden

Die (Wieder-)Entdeckung des Lese-Salons: Dass Lesen im Netz durch sozialen Austausch erweiterbar ist und die Diskussion über Bücher extrem fruchtbar sein kann, ist ein in den letzten Jahren vieldiskutierter Gedanke. Im deutschen Sprachraum hat ihn beispielhaft Dirk von Gehlen in seinem Buch “Eine neue Version ist verfügbar” unter dem Schlagwort “Einen Salon eröffnen” formuliert und dieses klassische bildungsbürgerliche Konzept in die Welt des liquiden Content im Web eingeführt. Passend zur Buchmesse starten in diesen Tage gleich drei Plattformen mit dieser Idee:

Zum einen wurde in Frankfurt nach langer Konzept- und Beta-Phase der Live-Start von Sobooks verkündet. Mit einer Mischung aus Web-Applikation zum Lesen und sozialem Netzwerk will die Plattform Buch und Internet verschmelzen. Als Clou aber wurde bei der Launch-Veranstaltung zeitgleich eine Kooperation von Sobooks und der FAZ bekanntgemacht. Dass sich hier das digitalkritischste Medienorgan in Deutschland mit der digitalen Avantgarde zusammentut, darf sicherlich als kleine Sensation gewertet werden. Und dass die FAZ mit der Sobooks-Technologie in die Lage versetzt wird, ihr eigenes Lesesaal-Modell zu starten, halten wir für einen höchst spannenden Ansatz für beide Seiten.

Beinahe zeitgleich zum FAZ-Lesesalon macht auch Dirk von Gehlen bei der SZ online ernst mit dem Gedanken des Salons: In einer moderierten Online-Diskussion soll im SZ-Lesesalon eine kollektive Buchkritik von Lesern und Redaktion für Chris Andersons “Makers” entstehen. Auch hier wünschen wir dem Experiment viel Erfolg und sind gespannt auf die Ergebnisse.

Und auch Flipintu bietet erstmals mit der Integration eines social readers die Möglichkeit, dass Kunden zusammen ein Buch oder einen Artikel innerhalb einer Plattform kaufen, lesen und kommentieren können. Für die gemeinsame Klassenlektüre, die Vermarktung von Themen durch eine anregende Diskussion oder das persönliche Lesen zusammen mit einem Autor oder Autorin folgen in Kürze zahlreiche Beispiele.

Crowdsourcing: Nach einer Welle von Crowdfunding-Projekten in Deutschland scheint momentan Crowdsourcing und Crowdwriting das Thema der Stunde zu sein. Neben Wattpad, das bereits geraume Zeit als Trend gehandelt wird, überraschte im September Penguin Random House mit einem groß anlegten Crowdsourcing-Projekt, das zusammen mit Stephen Fry kuratiert wird. Mit Storium dagegen versucht sich ein US-Startup am Modell eines “Online Storytelling Game”. Finanziert durch ein Kickstarter-Projekt, werden hier Elemente von Rollenspiel mit kollektivem Schreiben und Geschichten erzählen zu einer Art “virtuellem Lagerfeuer” verbunden.

Eher um den Auswahlprozess von Themen, Geschichten und Büchern geht es dagegen bei Kindle Scout, dem neuen Crowdsourcing-Modell von Amazon – letztlich ein Versuch der Medienriesen, die Manuskript-Sichtung an die Crowd auszulagern und mit einem besonderen Vertragsmodell Autoren zu akqurieren. In dieser Hinsicht ist der Ansatz relativ ähnlich dem Modell von Oetinger34, bei dem die verschiedenen Mitarbeiter an Kinderbüchern über eine Netzplattform zusammenarbeiten können, um kollaboratives Arbeiten mit Verlags-Kuratierung zu verbinden. Um einen Wattpad-ähnlichen Ansatz geht es dagegen bei Amazons WriteOn – die Plattform für kollektives Schreiben ist aktuell in die Beta-Phase gestartet.

Wer bei diesen vielen verschiedenen Ansätzen die Übersicht behalten möchte, dem empfehlen wir zum Einstieg gerne unsere Artikel vom Anfang des Jahres zu Crowdsourcing und Crowfunding. Daneben veröffentlichen wir aktuell eine Artikelserie unserer Gast-Autorin Saskia Letz zu Crowdsourcing in Verlagen, beginnend mit einem Überblick über die Ansätze in Deutschland – Fortsetzungen folgen in den nächsten Wochen.

Big Data im Einsatz: Bereits letztes Jahr hatten wir darüber berichtet, wie mit Spotify ein Anbieter aus der Musikbranche Big Data-Methoden sehr erfolgreich für Empfehlungsfunktionen und Nutzer-Features einsetzt. Auf der diesjährigen Berlin Music Week plauderte dazu einer der Chef-Entwickler aus dem Nähkästchen und berichtet über seine Arbeit. Eine ähnliche Perspektive auf das Thema hat der österreichische Big Data-Experte Viktor Mayer-Schönberger – neben seiner exzellenten Buchpublikation zum Thema war sein Vortrag auf der diesjährigen Contec in Frankfurt einer der interessantesten Panels des Tages, hier zusammengefasst von Marcello Vena auf Digital Book World.

 

Wir wünschen wie immer eine anregende Lektüre!

 

Veröffentlicht von

www.dpc-consulting.de

XML- und Digital-Publishing-Professional mit Leib & Seele, seit Berufseinstieg in verschiedensten Projekten rund um Content-Management und Datenbank-basiertes Publizieren unterwegs. Seit 2012 selbständig als Berater und Trainer für digitales Publizieren.