eBooks an Schulen? So ein Quatsch!

Die Forderungen nach mehr Digitalisierung in der Schule erfreut sich zur Zeit großer Beliebtheit. Denn eigentlich kann man da nicht viel falsch machen: Man schwimmt im Mainstream. Selbst die Kultusministerkonferenz hat das mit ihrer Darstellung der sechs zu erwerbenden Kompetenzen abgesegnet. Alles klar also?
Leider nein, denn wie so oft rühren dann schnell Köche den Brei, die weder den Markt noch die Bedingungen an Schulen richtig im Blick haben. Es vergeht kein Tag, an dem nicht an irgendeiner Stelle mehr Digitalkompetenz an Schulen gefordert wird. Dann entstehen Halbwahrheiten, die den Blick auf das verstellen, was wirklich getan werden muss. Aktuell lässt PWC z.B. verlautbaren, dass eBooks an Schulen vor dem Durchbruch stehen. 59% Zustimmung für eBooks bestünden einer eigenen Studie zufolge in Haushalten mit schulpflichtigen Kindern. Und die Digitalisierung verlange nächste Schritte, denn das Gedruckte geht zurück. Das lenkt die Diskussion in die falsche Richtung.

PwC hat in einer Studie festgestellt, dass die Mehrheit in Deutschland für den Einsatz von eBooks in Schulen sei. Die Befragung wurde Online erhoben und es gibt keine weiteren Angaben zur Auswahl, dem Kontext der Befragung bzw. dem Interesse, das die Befragten zum Ausfüllen geleitet hat (um den Hawthorne-Effekt wenigsten einschätzen zu können). Es ist davon auszugehen, dass eine Offline-Befragung noch andere Ergebnisse gezeigt hätte. Wie wir aus zahlreichen anderen Studien wissen, ist den meisten Befragten nicht ganz klar, was unter eBooks gemeint ist. Auch hier scheint die Bandbreite von den üblichen eBooks (EPUB 2.0 oder PDF) zum Lesen von Text über enhanced eBooks bis hin zu interaktiven Plattformen im Blick zu sein, betrachtet man unten die erwähnten Vor- und Nachteile von eBooks. Das entspräche dann nicht mehr dem heute in der Verlagsbranche üblichen Gebrauch des Begriffs. (Quelle: PwC)

Hier liegen mehrere Missverständnisse zugrunde, die leider dann zu falschen Forderungen führen könnten.

Missverständnis 1: eBooks = Digitalisierung

Wenn wir in den letzten zehn Jahren eines gelernt haben, dann das: EBooks sind eine Verlängerung des klassischen Buches, aber heben weder die Potenziale des Digitalen, noch verändern sie das Lesen. Sie funktionieren dort gut, wo wir entweder in der Belletristik statt Gedrucktes eben lieber auf anderen Geräten lesen oder in der Wissenschaft, wo wir eh den Zugang zu Informationen an einem digitalen Arbeitsplatz gestalten. Aber eBooks haben das Lesen nicht im Wesen verändert. Es ist eine neue Technik für gewohnte Verhaltensweisen. Die sogenannten enhanced eBooks haben sich nie durchgesetzt. Und all das Gewürge um EPUB 3.0 (für die Laien zur Erinnerung: das ist das Format für eBooks, mit dem deutlich mehr Funktionalitäten möglich sind als dem reinen Lesen) der letzten zehn Jahre zeigt uns, dass kaum ein Anbieter dieses Format richtig unterstützt und auch daran glaubt, sonst wären wir hier schon viel weiter. Sprich: Die Potenziale der Digitalisierung werden an ganz anderen Stellen sichtbar als in eBooks. Und wenn wir über social reading und kollaboratives Schreiben sprechen als neue Formen des Lesens, dann sind damit immer auch andere Tools als nur eBooks nötig und die Produktion von Texten muss auch garantiert sein.
Betrachtet man zudem all die Marktstudien der letzten Jahre, dann wird deutlich, dass insgesamt mehr gelesen wird, aber weniger Bücher (siehe unseren Artikel zu den aktuellen Studien des Börsenvereins). Dabei brechen den Verlagen die Buchkäufer weg, obwohl vor allem die Jugendlichen noch relativ stabil bleiben. Der Hauptgrund für das Wegbrechen sind auf den ersten Blick Serien und Spiele sowie die sozialen Netzwerke, weil sie Zeit rauben. Auf den zweiten Blick sind es rein digitale Werkzeuge, die mir etwas abnehmen, was ich mir vorher lesend aneignen musste. Jeder Schüler weiß, wo er nachsieht, wenn der Lehrer das Prozentrechnen nicht erklären konnte – auf YouTube.

Die aktuelle Aufbereitung zur Befragung von PWC bei statista behauptet doch wirklich, eBooks seien “immer aktuell” im Vergleich zu gedruckten Büchern. Das zeugt von großer Unkenntnis bezüglich der Prozesse in Verlagen, denn in eBooks können Änderungen zwar schneller eingearbeitet werden. Aber ob das dann auch wirklich passiert, hängt vom ökonomischen Interesse des Verlags, der Geschwindigkeit der Autoren und den Prozessen in Verlagen ab. Allein unser Buch zum Thema “Mobile Publishing” ist in vielen Punkten nicht mehr “aktuell” und unsere Webseite der Ort der aktuellen Bezüge. Noch kruder sind die Vorurteile bei den Nachteilen: “Technik-Abhängigkeit” bei eBooks zu konstatieren, wenn die App-Ökonomie ganz andere Lösungen bereit hält als eBooks, verkennt völlig, dass eBooks zum Lesen genutzt werden, sprich einem ganz traditionellen Weg der Wissensvermittlung.

Missverständnis 2: eBooks bringen die Schüler voran

Jeder, der sich einmal die sechs von der Kultusministerkonferenz geforderten Kompetenzen näher angesehen hat, müsste auf den ersten Blick erkennen, dass eBooks keine dieser Kompetenzen wirklich fördert. Betrachtet man die Empfehlungen genau und die verschiedenen Modelle zur Entwicklung dieser Kompetenzen (SAMR, 4K, Dagstuhl-Dreieck etc. – siehe hierzu unseren zusammenfassenden Artikel), dann benötigt man hier Kollaboration und Präsentation, Recherche und Problemlösung und vieles mehr. Dazu gibt es seit Jahren zahlreiche Plattformen und Möglichkeiten; so wie Bettermarks oder Kahoot!, writereader, scratch oder lectory (siehe unsere Artikel zu Bettermarks oder write reader und andere Plattformen). Diese werden an Pilot- und Netzwerkschulen schon längst getestet und lassen Pädagogen wie Schüler ganz andere Dinge erfahren als reine eBooks. Hier liegen die Chancen. Jetzt eBooks als Lösung zu empfehlen wäre gleichbedeutend mit der Empfehlung, Digitalisierung mit Hilfe von Taschenrechnern zu lehren. Nicht falsch, aber am Markt vorbei. Nicht auszudenken, das wenige Geld würde an Schulen jetzt zum Erwerb von eReadern genutzt, dem wichtigsten Lesegerät für eBooks! Und zum Glück sind die Lehrer hier ein paar Schritte weiter als die oben genannte Befragung suggeriert.

Missverständnis 3: die Schulen müssten mehr eBooks anbieten

Und damit kommen wir zum dritten Punkt. Das Scheitern der Whiteboards hat gezeigt, dass eine Technologie noch keinen Sommer macht. Erst wenn das didaktische Konzept klar ist, die Pädagogen überzeugt sind und die entsprechenden Inhalte (durch Verlage oder Lehrer oder andere Anbieter) in anderen Formaten vorliegen, dann können die nächsten Schritte gemacht werden. Den Whiteboards fehlten die Inhalte und die Pädagogen, von einem didaktischen Faden ganz zu schweigen. Anstatt an eBooks zu denken, sollte man sich der Kompetenzen bewusst werden, die gefordert sind: und dem folgend den pädagogischen Leitfaden ableiten und die Lehrer befähigen. Nichts anderes wird in den Schulversuchen mit Pilotschulen gemacht (wir berichteten z.B. über die Erfahrungen an der Grundschule in Offenstetten). Und Studien wie die von Professor Fischer verdienen diesen Namen zu Recht, weisen Sie doch auf die wirklichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung hin.
Es gibt viel zu tun. Es gibt an Schulen und in Ministerien Vorreiter und Bedenkenträger, wie überall in der Gesellschaft. Und es gibt einen hohen Bedarf an Know-how-Aufbau. Aber bitte nicht mit Halbwissen, das in seltsame Richtungen weist.

 

Meine Schwerpunkte sind die strategische Entwicklung von Unternehmen, die Gestaltung der passenden Geschäftsmodelle und die Kundenanalyse - das klingt nach trockenem Brot. Aber es kann sehr kreativ, anregend und erfüllend sein. Mit dem Master "Digital Media Manager" in München lehre ich Medienkompetenz als Zusammenspiel von Geschäftsmodellen, Technologiebewertung und medialer Kommunikation. Aus meiner Erfahrung als Produktmanager, Verlagsleiter und Geschäftsführer beim Carl Hanser Verlag und Haufe-Lexware kenne ich das Mediengeschäft und die Herausforderungen durch die Digitalisierung. Mit Partnern entwickle ich Plattformen wie flipintu oder lectory und digitale Lernmethoden mit dem Goethe-Institut und verschiedenen Universitäten. Man muss etwas selber erfahren, um es auch vermitteln zu können. Nicht dass ich ein Fan von Steve Jobs wäre, aber seine legendäre Rede in Stanford ist klug und das Motto passt: Stay hungry. Stay foolish. Das Leben ist zu kurz, um es mit sinnlosen Meetings und Phrasen zu vergeuden.